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# taz.de -- Der alte Mann kann es nicht ändern
> „Der alte Mann spricht mit seiner Seele“, so heißt der Gedichtband übers
> Altern, den Günter Kunert jüngst veröffentlicht hat. Und wie geht es ihm
> selbst damit? „Ich bin ein alt gewordenes Kind“, sagt der 77-Jährige, das
> sei wohl die Grundbedingung für Literatur, „zumindest für Lyrik“. Ein
> Hausbesuch
von FRIEDERIKE GRÄFF
Günter Kunert sitzt in seinem Wohnzimmer an einem langen Holztisch, und von
den Wänden blicken andere Günter Kunerts auf ihn herab. Auf einem der
Bilder sitzt ein Hahn auf seinem Kopf, auf einem anderen steht er vor einer
Moschee, einmal vor einem Wolkenkratzer. Kunert hat sich selbst gemalt,
immer wieder und er scheint darauf von seltsam unbestimmbaren Alter,
vielleicht Ende vierzig, vielleicht aber auch Ende sechzig.
Man denkt, dass Schriftsteller Glück haben. Dass das Alter sie weniger
treffen kann, weil sich ihr Leben sowieso vor allem im Kopf abspielt. Weil
der Körper für sie nie mehr war als ein Vehikel, das jetzt mühseliger in
der Handhabung ist. Der Schriftsteller Günter Kunert ist 77 Jahre alt und
hat gerade einen Gedichtband über das Alter veröffentlicht. „Der alte Mann
spricht mit seiner Seele“ heißt er, und auf dem Titelblatt ist ein Porträt
Kunerts zu sehen, mit dem Kopf in der aufgestützten Hand und zweifelndem
Blick. „Man kann es nicht ändern“, sagt Günter Kunert. Er habe beim
Treppengehen gemerkt, dass er alt geworden ist. „So simpel ist es“, sagt
er. Das Hochsteigen geht nach wie vor gut, aber das Abwärtssteigen macht
ihm Angst. Das alte Ich, das mühelos Treppen herunterlief, ist verschwunden
und zwar so vollständig, dass er nicht mehr nachempfinden kann, wie es sich
früher anfühlte. „Aber alles andere funktioniert noch. Und ich kann mich
immer noch am Kopf kratzen“, sagt er dann mit der Ironie, die die Kritiker
an seinen Altersgedichten loben.
„DER ALTE MANN / ist ein Totschläger: / seine Feinde die Stunden / und
Tage“, schreibt er. Er schreibt sehr explizit über das Körperliche. Das
sei, wie er sagt, das Einzige, was sich ändere. Der Kopf sei der gleiche
geblieben. „Ich bin ein alt gewordenes Kind. Das ist wohl die
Grundbedingung für Literatur, zumindest für Lyrik.“ In seinen Gedichten
betrachtet DER ALTE MANN mit einem gewissen Erstaunen seinen alten Körper,
als habe er sich ihm durch einen schlechten Trick untergeschoben. Es ist
ein sehr klarer Blick, so klar und so unappetitlich, wie es die Werbefotos
für Seniorenheime nie sein werden: „DER ALTE MANN / betrachtet seine Zehen.
Wie schnell / die Nägel wachsen. Regelrechte / Krallen. Ist das krankhaft
oder / biologisch bedingt?“ Manchmal nähert sich das Ganze auch dem
Kalauer. Zum Beispiel, wenn es um Potenzprobleme geht, wo Lyrik sowieso
eine eher schwierige Form ist: „DER ALTE MANN / kommuniziert mit seinem
Gliedling: Auf, auf / Wer immer / strebend sich bemüht, / der findet auch
noch Ösen“.
Kunert schreibt nicht über Demenz, nicht über Frauen, die ihren Ehemann
nach 50 Jahren Ehe nicht erkennen, nicht mehr erkennen. Auch nicht über
Menschen, die im Pflegeheim verrotten, weil ihre Kinder finden, dass sich
vor der Beerdigung kein Besuch lohnt. Er schreibt vorsichtiger. Über die
Mühe, den richtigen Schuh anzuziehen, über das Befremden gegenüber dem
Anrufbeantworter. Und wenn er über Lebensüberdruss schreibt, dann mündet
der in der Buchung einer Busreise.
„Ich denke heute nicht öfter an den Tod als früher“, sagt Günter Kunert.
Auch seine Eltern sehe er als alter Mann nicht in einem neuen Licht. Kunert
ist Sohn einer jüdischen Mutter, dem die Nationalsozialisten den Besuch der
Oberschule verwehrten. Sie fuhr für ihn jede Woche zu einem Antiquar, Herrn
Wiese, „ein anständiger Mann“, der ihr heimlich unter dem Ladentisch die
Bücher verkaufte, die das Regime verboten hatten.
Es klingt der nationalsozialistische Terror indes nur einmal an in einem
der Altersgedichte: In einer Unterwelt, in der DER ALTE MANN Berge von
Schuhen Abgeschiedener findet und fragt: „Wer zählt die Toten / nennt die
Namen / solcher, die barfuß zu Asche / verkamen“. Im Übrigen ist Kunerts
Alter Mann, der in manchem Züge des Autors zu tragen scheint, von
verblüffender Jetztzeitigkeit.
Selbst das Leben in der DDR, das mit der Unterzeichnung der
Biermann-Petition für Kunert und seine Frau Marianne endete, hinterlässt in
den Altersgedichten keine Spuren. Wohl aber bei Günter Kunert selbst. „Es
war, auch in negativer Hinsicht, eine dichte Zeit“, sagt er. Ungleich
dichter als diejenige in Itzehoe nach 1979, über die Kunert sagt: „Es
ereignete sich nichts.“ Es scheint nichts darüber zu erzählen geben, außer
vielleicht der Tatsache, dass Kunert seit 2005 Präsident des PEN-Zentrums
für deutschsprachige Autoren im Ausland ist. Ein Club mit 80 Mitgliedern,
die sich „entheimatet fühlen und in der Fremde“.
Günter Kunert, Der alte Mann spricht mit seiner Seele. Wallstein Verlag
2006, 104 S., 18 Euro
1 Feb 2007
## AUTOREN
FRIEDERIKE GRÄFF
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