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# taz.de -- Hurra, wir rocken noch!
> Pula – Mostar – Sarajevo – Tuzla: Die Tour der „Berliner Bands für
> Bosnien“ ist vorbei. Szene-Betriebsausflug oder der Versuch, Jugendlichen
> in Exjugoslawien mit Rock'n'Roll „ein Stück Normalität“ zurückzubringe…
> Ein Tourtagebuch  ■ Von Thomas Groß
Nichts verbindet mehr als eine gute Party – unter diesem Motto brachen am
30.3. rund 50 Berliner Musiker, unterstützt von Graswurzelinitiativen und
Non-Government-Organisations, per Bus nach Bosnien auf, um in den Städten
Pula, Mostar und Tuzla kostenlose Konzerte zu geben (siehe auch taz vom
1.4. und 6./7.4.). Unterwegs ergab sich durch Kontakte mit bosnischen
Musikern noch die Gelegenheit, in Sarajevo zu spielen. Die taz fuhr mit, um
zu sehen, wie die Verständigung im Basismedium Rock'n'Roll funktioniert.
## 31.3., Pula
Die erste Reaktion eines Einheimischen, die ich beobachten kann, stammt von
dem Wirt der einfachen Pension, in der wir nach der langen Fahrt zu Abend
essen. „Rockeri“, sagt er verstehend, nachdem einer der Musiker dem anderen
über zwei Tische hinweg das Salzfäßchen zugeworfen hat. Es klingt ein wenig
wie: Das hat uns hier gerade noch gefehlt. Kommt aber auch von einem Mann
mittleren Alters, der für „Rockeri“ wahrscheinlich noch nie etwas übrig
gehabt hat.
Für die zahlreich erschienenen Jugendlichen im Club „Uljanik“ scheint es
schon eine kleine Sensation zu sein, daß ein Bus voll Deutscher nebst
Begleitfahrzeug und Presse-PKW angereist ist, um in ihrer Stadt ein Konzert
zu geben. Nur wenige Ausländer zieht es noch nach Pula, die
Provinzmetropole mit dem römischen Amphitheater, obwohl hier, im Nordwesten
Kroatiens, keine Häuser zerstört wurden und auf den ersten Blick nichts an
den Bürgerkrieg erinnert. Man meint, in den Jugendzentren von Remscheid
oder Gütersloh müsse es nicht viel anders zugehen: Jungpunks haben sich mit
Waverjacken und Holzfällerhemden zu arrangieren, weil nur ein Treff für
alle da ist.
Vielleicht zerreißt man sich die Hosen hier noch nicht freiwillig, das
Technoshirt ist eine Errungenschaft weniger und Dreadlocks, wie einige der
Deutschen sie tragen, beißen sich auf unabsehbare Zeit mit südlichen
Männlichkeitsidealen. Der Basiscode ist Rock'n'Roll – was auch das Konzert
bestätigt. Bert'z Rache, die nach einer lokalen Punkband namens K-15
spielen, sind mit ihrem straighten Spaßrock die Abräumer, C.W. Moss, sechs
Avantgarde-Individualisten aus Berlin und St. Petersburg, treiben die Leute
aus der Halle.
In einem Nebenraum treffe ich die Musiker von K-15 (das Kürzel für die
sozialistische Leistungsprämie unter Tito), die mir ihre Musik als
Rebellion gegen die soziale Lage erklären. Es sei langweilig in Pula, für
eine Billiggitarre muß man fünf Monate arbeiten, ein eigenes Zimmer ist
unbezahlbar, man ist auf die Familie angewiesen. Die Runde, zu der noch die
Schwester eines der Musiker und eine Art Manager hinzugezogen werden, macht
tatsächlich den Eindruck einer Notgemeinschaft – mehr Clan als Band. Über
den Krieg will keiner reden, Politik ist verpönt. Moco, der 18jährige
Gitarrist, der aus Sarajevo hierher geflohen ist, übersetzt mir einige
Songzeilen ins Englische: „We need someone to help us / we feel broken and
weak / We look for someone to help us / We are going poor and miserable“.
Später spricht er mich noch einmal an, weil ihm noch eine wichtige Zeile
eingefallen ist: „Everywhere darkness, and there is no way out“ – schreib
das, schreib das!
## 1.4., Fähre nach Split
Schon am zweiten Tag geht der erste Berliner verloren. Als wir, die wir mit
dem taz-Auto noch einmal zurückgefahren sind, um ihn verwirrt in Pula
aufzulesen, endlich auch auf der Fähre eintreffen, bietet sich dort das
Bild eines Betriebsausflugs der Prenzelbergszene. Es wird getrommelt und
gebongot, auf dem Zwischendeck kriegt einer die Haare geschnitten, und die
Schiffsbar wird von dem mitgereisten DJ-Team gerade zur Disko
umfunktioniert. Einen Moment lang packt mich die Angst, das „Stück
Normalität“ (Initiator Frank Hofmann), das die Berliner hier in
Exjugoslawien abstrahlen wollen, bestünde vor allem in der typisch
deutschen Ungezwungenheit, die eigenen Sitten raumgreifend mit sich zu
führen. Bolle reiste jüngst zu Ostern ...
Doch nicht nur beweist die Besatzung der „Jadrolinija“ durch freundliches
Gewährenlassen eindrücklich ein Stück Normalität – was deutsch begonnen
hat, entwickelt sich später auf offenem Deck sogar zum gelungenen,
international begeisternden Party-Allnighter. Weißbekittelte Kellner
swingen im Fahrtwind. Vom Achterndeck schallt's lange noch, DJ „Rolle“ lebe
hoch.
## 2.4., Mostar
Kurz vor Mostar, mittlerweile auf bosnischem Gebiet, erhält der
übernächtigte Bus voll Musiker letzte Instruktionen: Bloß nicht
drogenauffällig werden, nicht jenseits befestigter Straßen in die Büsche
pinkeln (Tretminen!), im Falle des Verlorengehens bei der EU-Administration
der geteilten Stadt anrufen.
Von Mostar wird an diesem Tag keiner viel zu Gesicht bekommen außer einer
kahlen Halle im Westteil, über der die kroatische Nationalflagge hängt: der
Veranstaltungsort. Uniformierte stehen breitbeinig in der Mitte des Raumes
rum. „More Police than people“, scherzt einer der wenigen Besucher, die
schon um sieben den Weg durch Regen und – falls aus Ost-Mostar – zerbombte
Straßenzüge gefunden haben. Erst allmählich füllt sich der Raum vor der
Bühne, die vier Jahre kein Konzert mehr gesehen hat.
Die Jungmänner (und die bestimmen überall die Szenerie) wirken in Mostar
soldatischer, haben nur notdürftig modisch kaschierte Kommißfrisuren – mit
Ausnahme der ganz jungen, die wahrscheinlich noch niemanden totgeschossen
haben. Hala, 17, hat einen Mäxchenhaarschnitt und hört gern klassischen
Hardrock, Ernest, auch 17, steht mehr auf HipHop und findet den Song „Cop
Killer“ gut. Man müßte die Schweine abknallen, meint er lachend mit Blick
auf die Polizisten, und ich habe ziemliche Schwierigkeiten, das mit ähnlich
gelagertem „Bullenschweine“-Spruchgut deutschen Politpunks zu verrechnen.
Überhaupt stellt sich allmählich heraus, wo Verständnis und Mißverständnis
im Basismedium Rock'n'Roll liegen. „Wollt ihr mit uns fröhlich sein“ –
diese Botschaft von Bert'z Rache wird auch ohne Übersetzung verstanden.
Schwieriger wird es, als sich jemand aus dem Publikum „I Shot The Sherrif“
wünscht“: Time Tough, die mit geschmacklich spezialisiertem Raggamuffin
angereist sind, können das nicht nur nicht spielen, es ist auch so ziemlich
das letzte, was sie gerne im Repertoire hätten. Bei C.W. Moss schließlich,
die nach Einschätzung des für die Wochenpost berichtenden Eberhard
Seidel-Pielen klingen, als würden Dostojewski, Kafka und Bärbel Bohley in
einer Band spielen (und man mag ihm nicht widersprechen), recken einige
grinsend die Hand zum Faschistengruß – wo die deutsch-russische
Freundschaft von C.W. Moss Avantgardistisch- Tiefes zu wagen meint, hören
sie nur The Sound of Totalitarismus.
Am Ende des Abends wagt sich Hala auf die Bühne. Die Interpretation von
„Knocking On Heaven's Door“, die er mit seiner Band abliefert, ist ziemlich
grauenhaft, aber wahrscheinlich sind es Erlebnisse dieser Art, die
„bleiben“ werden bei West-Mostarer Jugendlichen wie Hala.
## 3.4., Mostar
Das für den nächsten Abend angesetzte Konzert im muslimischen Ost-Mostar
wirkt – trotz ähnlich massiver Polizeipräsenz – irgendwie friedlicher, und
man vermag nicht zu sagen, ob das daran liegt, daß man hier, wo viel mehr
zerstört wurde als im Westteil, doch eher die Opfer vermutet oder ob man
sich nach einem Tag Aufenthalt schon eigenartig gewöhnt hat an den Anblick
von schwarzverbrannten Bäumen, Ruinen und Einschußlöchermustern in
Häuserwänden. Bei der notdürftig geflickten modernen Brücke im
Zentralbezirk herrscht jedenfalls schon wieder ein reger Grenzverkehr, in
der Nähe von „Stari Most“, dem zerstörten Wahrzeichen Mostars, haben
einzelne Cafés wiedereröffnet. Man kann Postkarten kaufen, sogar solche von
zerbombten Fassaden – eine geschäftstüchtige Methode, Besucher darauf
hinzuweisen, was sie, „Anliegen“ hin oder her, immer auch sind:
Katastrophentouristen.
Daß die Bewohner Mostars von einem Zustand der „Normalität“ noch weit
entfernt sind, ist auch bei „Mladi Most“ (Junge Brücke) zu spüren, einer
Non-Government- Organisation mit mehreren ausländischen Helfern, die in
einem halbzerstörten Gebäude am Rand West-Mostars arbeitet. Zwar behaupten
die Jugendlichen, die hier Kurse besuchen können, die ganze Stadt sei
mittlerweile mehr „open- minded“, und „no problem“ ist auch bei Mladi M…
eine beliebte Wendung, aber dann bestehen sie doch darauf, zum Konzert im
Osten mit dem Bus abgeholt zu werden. Es könnte sie einer als West-Mostarer
erkennen und zusammenschlagen. Oder Schlimmeres. Ein anderer, noch
komplizierter, wohnt als Muslim im Westteil und hat Angst, später
zurückzugehen: Man könnte ihn versehentlich für einen aus Ost-Mostar halten
– also für das, was er eigentlich ja ist.
Wie wenig abwegig die Idee, mit Rockbands aus Deutschland anzureisen, im
Grunde ist, wird klar, als einer auf die Idee kommt, die aus etwa 30 CDs
bestehende Plattensammlung zu zeigen: Nirvana, Cranberries, The Best of
Hard Rock u.ä., neben Obskurem, das auf Spendenwegen hier gelandet sein
mag. Das Gespräch wird mit einem Schlag engagierter: „Kurt Cobain is my
idol“, bekennt ein 14jähriger ungefragt und mit äußerstem Ernst. Sein
Lieblingslied sei aber „Zombie“ von den Cranberries, weil Sängerin Dolores
O'Riordan auf MTV gesagt hat, dies sei „for the children of Bosnia“. Daß
ich das Stück genau deswegen nie gemocht habe, sage ich lieber nicht.
Die Gruppe der Berliner, die einem vor dem Konzert an verschieden Punkten
Mostars leicht geisterhaft begegnet, hat sich indessen nicht nur
gruppendynamisch in die verschiedenen Rollen ausdifferenziert – Boß,
Unterbosse, Bierholer, Spaßmacher, Techniker, ein „Sicherheitschef“ –,
unter dem Ansturm der Eindrücke hat sich auch sehr schnell herausgestellt,
wer bei der Bundeswehr war und wer nicht. Der „Sicherheitschef“ gerät mit
dem Busfahrer aneinander, der in einem früheren Leben mal Oberstleutnant
war.
Selbst Wolf, einer der Hausmeister der taz und gewiß ein friedlicher
Mensch, redet an einer Kreuzung, die er, um den Anschluß an die anderen
Wagen zu wahren, bei Rot passiert, somnambules Zeug: „Ein Konvoi ist als
ein Fahrzeug anzusehen.“
So tief gehen die Konditionierungen, wenn man einmal den wackligen Boden
der Zivilisation verlassen hat.
## 4.4., Sarajevo
Vom Bus aus direkt in den Jugendclub „Kuk“ (Hüfte) hinein, der erst vor
einer Woche wiedereröffnet wurde. Der erste Abend in Sarajevo wird ein
Riesenerfolg. Eine einheimische Band, die Moron Brothers (Ärgerbrüder),
schon beim zweiten Konzert in Mostar dabei, räumen neben Bert'z Rache ab;
alle spielen gut, selbst C.W. Moss werden allmählich lockerer, drehen ihren
Avantgardistenrücken dem Publikum zu. Begeisterte Menschen folgen den Bands
in den draußen geparkten, als Backstage- Bereich dienenden Bus, wo sie
ihnen um den Hals fallen: Hurra, wir rocken noch! Bier fließt in Strömen,
erhitzte Gesichter, bestes Konzert seit 100 Jahren!
An diesem Abend der Berlin- Sarajevoer Freundschaft, der an der Oberfläche
wirkt wie eine gelungene Party in einer x-beliebigen Großstadt, wird es von
deutscher Seite noch zum beliebten Spaß, aus dem Bauch des Clubs heraus mit
markiger Stimme die Berichterstattung eines öffentlich-rechtlichen
Reporters zu verhöhnen: „Verzweifelte Menschen suchen in den Trümmern nach
einem letzten Stück Holz – aus Sarajevo Friedhelm Brebeck ...“
## 5.4., Sarajevo
Aber so einfach sind die Verhältnisse natürlich nicht. In Sarajevo gibt es
eine Art Rockbeauftragten. Er heißt Simon Glinn, ist 33, mindestens zwei
Meter groß und trägt einen schütteren Pferdeschwanz. Mitten im Krieg kam er
mit einem Londoner Doppeldeckerbus in die belagerte Stadt. Seither kümmert
er sich als Projektleiter der NG- Organisation „Serious Road Trip“ um
Musiker, die im Krieg Finger verloren haben, die traumatisiert sind,
sprach- oder gehörgeschädigt. „Serious Road Trip“ betreibt auch den
Kuk-Club, in dessen oberen Stockwerken demnächst Kurse installiert werden
sollen – und zwar „regardless of wealth, race, gender, physical ability“,
wie die Satzung vorsieht.
Glinn ist alles andere als ein Träumer. Zwar sind die Chancen auf die
Entwicklung einer nichtkommerziellen Musikszene seit dem Abkommen von
Dayton gestiegen; Glinn hofft, dauerhaft mit der Universität von Sarajevo
in eine Kooperation zu kommen und wechselnde „artists in residence“ für das
Projekt gewinnen zu können, doch vorerst ist überall Mangel. Man kann so
simple Dinge wie Gitarrensaiten nicht kaufen in der Stadt. Bis auf
Ausnahmen gilt nach wie vor die Sperrstunde aus Kriegszeiten (10 Uhr
abends). Auch für Musiker, die keine physischen Verletzungen davongetragen
haben, ist der Wechsel von der Uniform ins zivile Leben schwierig: Sie
fühlen sich alt, ausgenutzt und ohne Ideen.
In einer Situation wie dieser hat sich die Funktion von Rock'n'Roll
umgekehrt: Statt gegen das zivilisatorische Korsett zu rebellieren, dient
er hier gerade der Erhaltung (oder Wiedergewinnung) eines zivilen urbanen
Rahmens: Freie Ausgehkultur, Großstadtindivduum unter Großstadtindividuen
sein – gegen die Herrschaft der Clans, der nationalstaatlichen Ideologie,
der Blut-und-Boden- Politiker an allen Fronten.
Was Doma, 21 und Bassist bei den Moron Brothers, erzählt, bestätigt Simon
Glinns Bericht in vielem: Die anderen „Brothers“ lernte er im
Schützengraben kennen, geprobt wird noch heute in demselben Keller, in dem
seine Eltern während der Granatennächte hockten. Doma sagt, daß er den
Krieg haßt, aber den Frieden kann er auch nicht aushalten. Das
Vietnamsyndrom: Als bewaffneter Kämpfer war man mit der Macht über Leben
und Tod ausgestattet, hatte einen Auftrag im Rücken; jetzt, im Frieden,
will plötzlich niemand mehr dabeigewesen sein, keine(n) getötet haben, noch
nicht einmal mehr über den Krieg reden. Es ist, als wäre da nie etwas
gewesen, und deshalb, erzählt Doma, müsse er nachts auf Friedhöfen
gelegentlich eine Handgranate zünden – einfach, um den Sound noch einmal zu
hören.
Die Geschichte macht Eindruck auf die Berliner Musiker – weil sie
authentisch ist, vielleicht aber auch, weil sie als Parabel auf Krieg,
Frieden und Rock'n'Roll zu verstehen ist. Rock'n'Roll, das wird während
dieser Tour immer klarer, erzählt von der Domestizierung der Männerhorde
durch eine Kultur, die Gewalt in dem Maße ausschließt, in dem sie sie
symbolisch zuläßt – als Bühnengeschehen, als Sound. Am Ende der
Kulturarbeit stehen nette Rock- oder Reggae- Jungs mit Dreadlocks und
lustigen Namen wie Bert'z Rache, Time Tough oder Ragga Tacke.
Daß aber auch bei Prenzlberger Spaßrockern die Männerhorde nicht überwunden
ist, läßt sich schon am Geschlechterverhältnis ablesen. Mit Ausnahme der
zwei afrodeutschen DJanes, die nach ganz eigenen Gesetzen funktionieren,
finden sich die wenigen Frauen der Gruppe samt und sonders in
krankenschwesternartiger Position wieder: Sie müssen Trost spenden,
Notambulanz spielen oder den Helden, wenn sie sich mal wieder kampfunfähig
gekifft und gesoffen haben, mildtätig ein Pflaster aufs Auge drücken.
## 6.4., Tuzla
Das „Sportski Centar“ sieht aus, als wäre ein Teil des Berliner ICC
entschwebt und in Tuzla gelandet, wo vor kurzem noch 40 Jugendliche von
einer Granate zerfetzt wurden (auf einem der österlich mit Blumen
geschmückten Holzkreuze steht auch der Name „Elvis“). 4.000 Leute passen in
das Renommierobjekt der Tito-Ära, etwa 1.000 sind gekommen und füllen den
Raum vor der Bühne, die von Polizisten abgeschirmt wird, als gelte es, Mick
Jagger vor einem Stadion voll ausflippender Fans zu schützen. Tatsächlich
hat das Aufgebot seinen Grund in einer Bombendrohung, die vor 14 Tagen,
beim Auftritt eines kroatischen Schlagersängers, eingegangen ist.
Doch auch der letzte Auftritt der „Berlin Bands for Bosnia“ verläuft
friedlich. Die Moron Brothers haben eine gute Show, Ragga Tacke bringen die
1.000 zum Schunkeln, Bert'z Rache geben ihr erstes Stadionrockkonzert. Es
werden Jungs mit „Chiemsee“-Jacke sowie Mädchen mit kurzen Röcken und –
gewagt! – „Show Your Tits“-T-Shirt-Aufdruck gesichtet. Eine Combo namens
„Protest“ protestiert lautstark auf der Bühne gegen irgend etwas
Unnennbares. Eine lokale Kinderband spielt Nirvana-Songs originalgetreu
nach und wird dafür von den auf den Rängen wartenden Eltern mit leicht
unverständigen, aber warmen Blicken empfangen – man muß ja mit der Zeit
gehen.
Nur zum Schluß, als ein paar Unverdrossene selbst beim Auftritt von C.W.
Moss nicht gehen wollen, kommt noch einmal Spannung auf.
Die Polizei findet, jetzt sei Schluß, die Tuzlaer Party-Crowd macht,
unterstützt von den Deutschen, weiter. Es entsteht jene Mischung aus
Sandkastenspiel und zivilem Ungehorsam, die mitteleuropäische Jugendliche
seit mindestens 25 Jahren proben dürfen – und zwar ohne Krieg. Womöglich
heißen solche mikropolitischen Akte wirklich, „ein Stück Normalität“
wiederzugewinnen.
## 8.4., Berlin
Ob es für sie ein persönliches Fazit gibt, habe ich die Prenzlmusiker nicht
mehr gefragt, nach acht Tagen auf Achse schienen sie genug von der Sache zu
haben – und ich von ihnen. Mit dem PKW fuhren wir dem Bus davon.
Tuzla liegt bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 90 Stundenkilometer
24 Autostunden von Berlin entfernt. „Hey children, it's just a shot away,
it's just a shot away ...“ (Rolling Stones).
Bands aus Sarajevo werden voraussichtlich am 25. Mai (dem Tag des „Fests
der Jugend“ unter Tito) nach Berlin kommen
12 Apr 1996
## AUTOREN
Thomas Groß
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