# taz.de -- Auf einem vergessenen Lager im Lager | |
> In Mauthausen, Dachau, Auschwitz und sieben weiteren KZs wurden weibliche | |
> Häftlinge ab 1942 zur Prostitution in Lagerbordellen gezwungen. Die SS | |
> hatte die sogenannten Sonderbauten eingerichtet, um internierte Männer | |
> durch ein perfides Prämiensystem zu besserer Leistung anzuspornen | |
VON WALTRAUD SCHWAB | |
In NS-Konzentrationslagern gab es Bordelle. Dort wurden weibliche Häftlinge | |
zur Prostitution gezwungen. Nutznießer waren männliche KZ-Internierte – vor | |
allem Leute, die in der Lagerhierarchie oben standen. Kapos, Lager- oder | |
Blockälteste. Keine Russen, keine Juden. | |
Wenig ist bisher über dieses Kapitel nationalsozialistischer Unterdrückung | |
bekannt. Frauen, die zur Sex-Sklaverei gezwungen wurden und überlebt | |
hatten, schwiegen aus Scham. Überlebende Männer wiederum, die die Dienste | |
in Anspruch genommen hatten, schwiegen auch. Denn es passte nicht ins Bild | |
der männlichen Opfer, vom Unterdrückungsapparat der Nazis profitiert zu | |
haben. Weil die meisten Frauen für die Häftlingsbordelle im | |
Frauenkonzentrationslager Ravensbrück rekrutiert wurden, zeigt die | |
Gedenkstätte nun zum ersten Mal in einer der ehemaligen SS-Garagen die | |
Ausstellung „Sex-Zwangsarbeit in NS-Konzentrationslagern“. | |
Ravensbrück, etwa 90 Kilometer nördlich von Berlin gelegen, war das einzige | |
große Frauen-KZ in Deutschland. Zwischen Mai 1939 und April 1945 waren dort | |
über 130.000 Frauen und hunderte von Kindern aus 20 Ländern inhaftiert. | |
Zwischen 20.000 und 30.000 Häftlinge wurden ermordet. Ihre Asche wurde in | |
den idyllischen angrenzenden Schwedtsee geworfen. | |
Aufgabe der Gedenkstättenarbeit ist es, das Schicksal der in Ravensbrück | |
internierten Frauen dem kollektiven Erinnern zurückzugeben. „Aber wie | |
zeigen Sie etwas, das schon so lange mit dem Mantel des Schweigens | |
zugedeckt ist, wie die Zwangsprostitution?“ fragt Insa Eschebach, die | |
Leiterin der Gedenkstätte Ravensbrück, zu Recht. | |
Es gibt keine Bilder, es gibt kaum Zeugnisse, niemand hat Anklage erhoben, | |
betroffene Zeitzeuginnen geben sich, sofern sie überhaupt überlebt haben | |
und noch leben, auch heute nicht zu erkennen. Ohnehin ist sexuelle Gewalt | |
erst seit 1. Juli 2002 völkerrechtlich als Verbrechen gegen die | |
Menschlichkeit und als Kriegsverbrechen anerkannt. „Wir gehen von ungefähr | |
300 betroffenen Frauen aus, die zur Zwangsprostitution in | |
Häftlingsbordellen gezwungen wurden“, sagt Eschebach. | |
Die Bilderlosigkeit des Themas wurde von einer Projektgruppe der | |
Universität der Künste, die die Ausstellung zusammen mit der Gedenkstätte | |
erarbeitete, zum Gerüst der Präsentation gemacht. Denn wo keine Bilder | |
sind, müssen Bilder im Kopf entstehen. Deshalb wurden auf einer Wand nur | |
Wörter aus dem Lagerbordellalltag geschrieben: Rassenschande. Hurenblock. | |
Koberzimmer. Kontrolldirne. Sonderkommando. Prämiensystem. Vergewaltigung. | |
Bettpolitische. Tripper. Vergünstigung. Und so weiter. | |
Jedes dieser Worte wirkt wie ein Menetekel und vermischt sich mit Bildern, | |
die im kulturellen Gedächtnis gespeichert sind. „Rassenschande“, das weiß | |
man, wurde „arischen“ Leuten vorgeworfen, wenn sie sich mit „nichtarische… | |
einließen. In jedem Geschichtsbuch ist ein Foto von Menschen mit Schildern | |
um den Hals, auf denen steht: „Ich bin im Land das größte Schwein, lass | |
mich nur mit Juden ein“. Die neue Information, die durch die Ausstellung | |
dazukommt: Neben Frauen, die wegen Prostitution im KZ waren, und die in die | |
Lagerbordelle geschickt wurden, traf dieses Schicksal auch Frauen, denen | |
„Rassenschande“ vorgeworfen wurde. | |
„Vergünstigung“ wiederum ist ein Wort, das harmlos, fast universell wirkt. | |
So wie „Rabatt“, wie „Nachlass“, wie „Bonus“. Im Lageralltag zeigt … | |
schonungslose Seite. Frauen, die in die Bordelle geschickt wurden, wurden | |
mit besserem Essen, mit Seife und Kosmetika versorgt, durften sich die | |
Haare wachsen lassen, ihnen wurde versprochen, dass sie nach einem | |
sechsmonatigen Einsatz freikämen. | |
Eine Täuschung. Die meisten landeten psychisch zerstört wieder in | |
Ravensbrück. Oft hatten sie Geschlechtskrankheiten. Wenn sie schwanger | |
waren, mussten sie das Kind abtreiben lassen. „Zurückgekommen sind sie als | |
Wrack. Die mussten am Tag weiß ich wievielmal die Männer empfangen, sie | |
waren ruiniert, krank, einige sind nachher gestorben“, heißt es in den | |
Erinnerungen von Irma Trksak, einer ehemalige Häftlingsfrau aus | |
Ravensbrück. | |
Die Ausstellung schenkt den Besucherinnen und Besuchern nichts. An kühlen | |
Arbeitstischen sitzend, muss man sich das verschüttete Thema selbst | |
erarbeiten. So kann man sich durch einen Stapel Zeitzeugenberichte lesen, | |
in denen die Rekrutierung der Frauen für die Bordelle beschrieben ist. Die | |
Erinnerungen wirken oft wie Randbemerkungen, obwohl sie von tiefgründiger | |
Einsicht sind. So etwa jene halbseitige Erklärung der Journalistin Nanda | |
Hebermann. In Ravensbrück wurde die Katholikin „Blockälteste“ in einer | |
Baracke, in der Prostituierte inhaftiert waren. Hebermann weist in ihrem | |
Bericht sehr klar auf die Doppelmoral des NS-Regimes hin: Die Frauen kamen | |
ins KZ, weil man ihnen Prostitution vorwarf. Im Lager jedoch wurden sie | |
dann zur Prostitution gezwungen. | |
Am nächsten Tisch wird man in das System der Häftlingskarteien eingeführt. | |
Namen sind nicht mehr darauf, nur noch die Nummer, die jeder Internierten | |
zugeordnet war. Auf den Karteikarten wurden die Arbeitseinsätze, zu denen | |
die Betroffenen abkommandiert wurden, verzeichnet. „Bordellfrau“, „für | |
Sonderzwecke“, „Prostituierte“ oder „Hilfsarbeiterin“ lautete der NS-… | |
für Frauen, die in die Häftlingsbordelle abkommandiert wurden. | |
Wie die SS die Einrichtung der Häftlingsbordelle ab 1942 vorantrieb, kann | |
man an einem weiteren Tisch nachlesen. Anfänglich war Arbeit in den KZs | |
dazu da, Menschen zu vernichten. Je länger der Krieg andauerte und je | |
größer der Arbeitskräftemangel wurde, desto wichtiger wurde die | |
Zwangsarbeit der Internierten. Durch ein perfides Prämiensystem sollte | |
deren Bereitschaft, sich effektiver in die zunehmend kriegswichtiger | |
werdende Produktion einspannen zu lassen, gesteigert werden. Auf der | |
fünfstufigen Prämienleiter war der Bordellbesuch, neben größeren | |
Essenszuteilungen oder Zigaretten, die höchste Vergütung, die ein Häftling | |
erhalten konnte. Dokumente aus den zehn Lagern, in denen es | |
Häftlingsbordelle gab, sind ebenfalls ausgestellt. Man erfährt, wie die | |
Männer in den Genuss eines maximal 20-minütigen Besuchs gelangten, dass | |
Verkehr nur im Liegen erlaubt war, dass in den Zimmertüren Gucklöcher | |
waren, um das Geschehen von außen zu verfolgen. Außerdem gibt es Fotos der | |
Bordellbaracken von damals und Bilder von heute. In Flossenbürg, | |
Sachsenhausen, Mittelbau-Dora, Buchenwald, Neuengamme und Dachau erinnern | |
Wiesen, Ruinen oder Gedenktafeln an die ehemaligen Bordellbaracken. In | |
Auschwitz-Monowitz ist die Fläche überbaut. In Gusen in Österreich ist der | |
sogenannte Sonderbau heute ein Wohnhaus. Die Architektur von damals ist | |
unverändert beibehalten. Nur in Mauthausen und Auschwitz-Birkenau sind in | |
den ehemaligen Bordellen nun Museen. | |
Tadeusz Borowski, Auschwitz-Überlebender, beschrieb bereits kurz nach der | |
Befreiung in dem Buch „Wir in Auschwitz“ das Szenario so. „Um den Puff | |
steht die Lagerprominenz Schlange. Auf zehn Julias kommen tausend Romeos | |
und was für welche.“ Dass es die Bordelle gab, war also bekannt. | |
Viel wissen wollte man davon nach dem Krieg dennoch nicht mehr. Männer, die | |
danach befragt wurden, ob sie zu den Frauen gingen, erinnern sich, wie aus | |
Protokollen von Kommunisten 1946 hervorgeht, die in der Ausstellung zu | |
hören sind, lieber an andere als an sich selbst. | |
Die Ausstellung ist nicht für schnelle Einsichten gemacht und niemand ist | |
da, in dessen Gesicht die Spuren des Ungeheuerlichen eingeschrieben sind. | |
Die Abwesenheit der Zeitzeuginnen weist einen schmerzlichen Weg in die | |
Zukunft der Erinnerungsarbeit generell. Denn nicht nur die | |
Zwangsprostituierten können nicht mehr befragt werden, alle Opfer sind | |
mittlerweile in hohem Alter, viele tot. „Ohne sie werden wir mehr allein | |
sein als vorher“, sagt Insa Eschebach, die Gedenkstättenleiterin. „Aber | |
jede Zeit stellt neue Fragen an die Geschichte. Zwangsprostitution ist auch | |
erst durch die Geschehnisse im Krieg in Bosnien richtig ins | |
gesellschaftliche Bewusstsein gedrungen.“ | |
Bis 30. September, Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, | |
[1][www.ravensbrueck.de] | |
5 Feb 2007 | |
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[1] http://www.ravensbrueck.de | |
## AUTOREN | |
WALTRAUD SCHWAB | |
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