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# taz.de -- Stunde null zwischen Krieg und Frieden
> Gorillas im Park, Bauern in Kooperativen, medizinisch nutzbare Bäume in
> Plantagen: Im Rebellengebiet des Kongo entfalten deutsche Organisationen
> vielfältige Aktivitäten    ■ Aus Bukavu Dominic Johnson
Auf dem Tresen liegt ein Affenschädel, von dem schwarzes Fell
herunterhängt. Blutspuren zieren die Wände des ehemaligen Restaurants. Hier
und da sind Einschusslöcher zu sehen.
Das Informationszentrum des Nationalparks Kahuzi-Biega im Osten der
Demokratischen Republik Kongo informiert auf ganz eigene Weise über das
Chaos, das diese Region in den letzten Jahren heimgesucht hat. „Was Sie
hier auf dem Boden sehen, sind Menschenknochen“, warnte der Angestellte
noch draußen vor der Tür und suchte aus dem Kies ein paar Splitter hervor,
die möglicherweise von einem Unterkiefer gestammt haben könnten.
Drinnen erklärt Empfangsleiter Pierre Rukika, wie vor drei Jahren der
Einmarsch der damaligen Rebellenbewegung AFDL (Allianz Demokratischer
Kräfte zur Befreiung des Kongo) von Laurent Kabila vonstatten ging: „Das
Restaurant wurde in einen Kuhstall verwandelt. Sie haben ihr Vieh
hineingepfercht. Die Scheiße stand bis hier“ – und er zeigt auf einen
braunen Rand, etwa einen Meter die einst weiße Wand hoch.
Kabila regiert hier nicht mehr. Seit 1998 hat die Rebellenbewegung
„Kongolesische Sammlung für Demokratie“ (RCD) das Sagen. Zwar konnte damit
der Wiederaufbau der zerstörten Einrichtungen des Parks beginnen, aber die
meisten der seltenen Tiere wurden erschossen.
In einem Seitenzimmer hat das Parkpersonal Knochen gestapelt, die es bei
seinen Rundgängen eingesammelt hat – ein makabrer Haufen von
Gorillaschädeln, Antilopenbeinen, sogar Skeletten ungeborener Elefanten.
Die Elefanten des Parks, sagt ein Wächter, sind alle tot. Ihr Elfenbein
kann man auf ostafrikanischen Souvenirmärkten in Form von Schmückstücken
erwerben.
Die Landschaft von Kahuzi, das 1970 als Nationalpark eingerichtet wurde,
ist ein atemberaubendes Kaleidoskop aller Schattierungen von Grün.
Graugrüne Bergkuppen erstrecken sich in den Himmel. Tiefgrüne Wälder
verbergen eine artenreiche Vegetation. Hier und da bieten blassgrüne
Bambusstauden ein wenig Licht, und ab und zu geben hellgrüne Lichtungen den
Blick frei. Leuchtend grün schillern dann irgendwo tief unten Sümpfe in den
Tälern. Die Luft ist frisch und klar.
Es dauert nicht einmal lange, die Berggorillas zu finden. Da sitzt
plötzlich einer der letzten zwei ausgewachsenen Gorillaväter des Parks
mitten in der Lichtung und hält sorgenvoll Ausschau nach seinen Frauen und
Kindern, die sich vor den Menschen in den Bäumen verstecken.
Der Gorilla hat recht. „Wenn diese Familie getötet wird“, sagt Tourführer
John, „ist alles aus.“ Die Gorillabevölkerung des Parks ist auf etwas mehr
als ein Zehntel des Vorkriegsbestandes von 280 geschrumpft. Einer der
bekanntesten und ältesten Gorillaväter namens „Ninja“ soll letztes Jahr v…
einem ruandischen Soldaten erschossen worden sein, als er die Straße
überquerte.
Die Bemühungen eines Schweizer Vertreters der deutschen Gesellschaft für
Technische Zusammenarbeit (GTZ) zusammen mit den verbliebenen einheimischen
Parkwächtern, Kahuzi-Biéga am Leben zu erhalten, verhindern jetzt zumindest
das völlige Verschwinden dieser im Kongo einmaligen Berggorillabevölkerung.
Wilderer wurden als Wächter eingestellt und gehen zusammen mit
RCD-Einheiten auf Patrouille, um Überfälle der im Wald lebenden ruandischen
Hutu-Milizionäre und kongolesischen Mayi-Mayi-Kämpfer abzuwehren.
Gegen Krieg und Mord setzt die GTZ, die hier eigentlich gar nicht offiziell
tätig sein soll, europäische Normalität. An der Einfahrt zu Kahuzi steht
ein frisch gepinseltes Hinweisschild, die Häuser sind neu aufgebaut und
getüncht. Dass die auf den Schildern angegebenen Bars und Duschen nicht
existieren, merkt man erst, wenn man sie sucht. Aber ein bisschen Fassade
muss sein. Ein bisschen Fassade, das an eine bessere Vergangenheit erinnert
und den Traum von einer besseren Zukunft am Leben erhalten soll.
Der Osten des Kongo mit den beiden Kivu-Provinzen war einst ein Schwerpunkt
deutscher Entwicklungshilfe. Hunderte von Millionen Mark flossen in dieses
fruchtbare und wohlhabende Gebiet, bevor Flüchtlingsströme und Kriege ab
1994 nach und nach die wirtschaftlichen Aktivitäten zum Erliegen brachten.
Die Hilfe verlagerte sich nach der Ankunft Hunderttausender ruandischer
Hutu-Flüchtlinge 1994 auf Nothilfe, die einheimische Bevölkerung wurde
vernachlässigt. Jetzt, mehrere Kriege später, braucht auch sie Nothilfe.
Die offizielle deutsche Präsenz in der Region reduziert sich aber immer
weiter. Die deutsche Botschaft im Nachbarland Burundi ist in diesem Herbst
geschlossen worden, ebenso das ständige deutsche Konsulat in Bukavu.
Inoffiziell öffnet der Rückzug der Diplomatie Freiräume für die wenigen
Ausländer, die noch an die Zukunft des Afrika der Großen Seen glauben. Für
sie ist die kongolesische Gegenwart, mit ihrer Abwesenheit geordneter
politischer Strukturen, eine permanente und wunderbare Stunde null. Und für
die Kongolesen, mit denen sie arbeiten, ist das ein Vertrauensbeweis. „Wenn
die Deutschen gehen“, so hört man immer wieder in Bukavu, „dann gehen wir
alle.“
Nicht nur der Nationalpark Kahuzi-Biéga zeugt davon. Deutsche
Organisationen halten das Gesundheitswesen von Bukavu finanziell am Laufen
und unterstützen die sozialen Dienste der Kirchen. Und das größte
Privatunternehmen Bukavus steht fest in deutscher Tradition und ist zum
Teil noch immer in deutscher Hand: Die „Pharmakina“, die in der belgischen
Kolonialzeit für den großflächigen Anbau von Chinin zur Bekämpfung von
Malaria gegründet wurde und in den 60er Jahren dem Aufstieg des deutschen
Chemiekonzerns Boehringer-Mannheim zu Weltniveau zugrunde lag.
Von der Pharmakina gehen heute vielfältige Aktivitäten aus. Eigentlich
hätte die Firma während der Kriege der letzten Jahre zugrunde gehen müssen.
1997 stand ihre Zukunft auf dem Spiel, als Boehringer-Mannheim vom
Schweizer Konzern Hoffmann-LaRoche übernommen wurde, der an der
kongolesischen Filiale kein Interesse mehr zeigte. 1998 kam es zu einem
Management-Buyout. Nun leiten ein Deutscher und ein Franzose die Pharmakina
in Eigenregie.
Ihren Einrichtungen außerhalb der Stadt Bukavu war es während des Krieges
nicht besser ergangen als denen des Nationalparks. In den Gebäuden der
Plantage Karashomwa direkt neben dem Park fehlen sogar Dachziegeln und
Stromkabel; von einem Haus stehen nur noch die Grundmauern. „Erinnert euch
an Ngali 98“ (die Ereignisse von 1998) steht in weißer Schrift an einer
Mauer geschrieben. Nur noch auf 39 der 270 Hektar von Karashomwa stehen die
Chinchona-Bäume, aus deren Rinde in der zentralen Pharmakina-Fabrik in
Bukavu Chinin extrahiert wird.
Nicht nur an solchen Orten muss die Pharmakina heute wieder bei null
anfangen, sondern in der gesamten Konzernstruktur. Im April 1999 wurden
nahezu die Hälfte der damals noch 1.300 Angestellten entlassen, die 700
restlichen wurden alle auf das erste Dienstjahr zurückgestuft. „Wir haben
den Arbeitern erklärt, dass wir sonst schließen müssen“, sagt Personalchef
Pierre Kafura Kasongo. „Sie haben verstanden.“ Sie hatten ja auch gar keine
Wahl.
Für die Entlassenen organisiert die Pharmakina zusammen mit der GTZ
Landkooperativen auf brachliegenden Konzernplantagen. Dort sollen sie
Gemüse und auch einige Nutzbäume anbauen, und wenn die Projekte sich
tragen, gehört das Land nach zwölf Jahren ihnen. Als Anschub kriegen sie
Samen und Lebensmittelvorräte. Im Gegenzug müssen sie sich an agronomische
Auflagen halten. Das Konzept ist der belgischen Kolonialzeit entlehnt.
„In einem typischen Dorf hat jede Familie einen halben Hektar Land zur
Verfügung“, erklärt Charles Bisimwa, Leiter des
Pharmakina-Landkooperativennetzwerks ACAP. „Hier geben wir jeder Familie
einen Hektar für Grundnahrungsmittel: Maniok, Mais, Bohnen. Was sie nicht
selber brauchen, können sie auf den Markt bringen oder über uns verkaufen.“
Das kommt bei Behörden und Bürgern gut an. Der Kooperativenstatus ist
begehrt, mit Tricks versuchen sich arbeitslose Einwohner von Bukavu in eine
solche Kooperative einzuschmuggeln.
Sechs Kooperativen gibt es bisher – wieder ein wenig europäische Ordnung
inmitten des Chaos: Kleinbauernansiedlung in einem Kriegsgebiet, wo man auf
dem Weg ins Feld Straßensperren passieren muss. In der Kooperative
Nyantende, südlich der Provinzhauptstadt Bukavu, erstrecken sich kleine
Felder über steile Hügel. Eine matschige Straße schlängelt sich durch das
Gebüsch, hier und da führt ein Pfad hinunter in das Tal, wo Frauen und
Männer mit einfachen Hacken den Boden bearbeiten. 90 Familien leben hier
auf 90 Hektar, etwa 500 Menschen insgesamt – eine pastorale Idylle in einem
Gebiet, wo fruchtbares Land knapp ist und die Unterernährung hoch.
Nyantende liegt im traditionellen Königtum Kabare, das vom Krieg besonders
schwer getroffen war und sogar seinen König verlor. Nur wenig weiter
bergauf verläuft die Hauptstraße von Bukavu nach Uvira und Burundi, eine
der unsichersten Strecken der Region. Aber der Schutz des mächtigen
Chemiekonzerns ist offenbar Sicherheit genug.
Pharmakina hat noch weiter gehende Pläne. Wurde bisher nur Chinin angebaut,
sollen in Zukunft weitere medizinisch nutzbare Bäume in Plantagen
kultiviert und damit das traditionelle Wissen über die Heilkraft der
einheimischen Flora kommerziell genutzt werden. Statt nur einer Baumart wie
bisher würde die Plantage der Zukunft dann 300 haben.
Denn die Urwaldbäume des Kongo haben großes medizinisches Potential. Aus
der Rinde des Prunus africana wird ein Prostatamittel gewonnen. Santoxilum
hat traditionell vielfältige Anwendungen, von Grippe über Magenbeschwerden
bis zu Karies.
Vorsichtig entfernt der Chemiker Maurice Mbiridindi im Wald von Karashomwa
einige Santoxilum-Rindeproben für das Zentrallabor in Bukavu. Die helle,
innen leuchtend gelbe Rinde ist essbar, mit leicht bitterem Geschmack. „Das
ist viel billiger als die chemischen Medikamente“, sagt er. „Kaum jemand
nutzt noch die traditionelle Medizin. Am ehesten noch die Alten, aber viele
von denen sind ja schon tot.“
Eine Schatzkammer afrikanischer Medizin, umgeben von Nationalparks voller
Gorillas: Mitten in einem der schlimmsten Kriegsgebiete der Welt wächst
eine merkwürdige kleine Utopie heran. Sie gedeiht im Reagenzglas des
rechtsfreien Raumes, den der Zustand von weder Krieg noch Frieden mit sich
bringt. Sollte der Kongo einmal eine Friedensordnung bekommen, sähe die
Welt wieder anders aus. Und heute steht der nächste Kongo-Krieg vor der
Tür, der sämtliche Anstrengungen zunichte machen könnte.
12 Nov 1999
## AUTOREN
Dominic Johnson
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