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# taz.de -- Der Kunstbetrieb als Problemzone
> Fast schon ein Nationalkünstler: Seit den 60er-Jahren hat Hans Haacke
> sich Umweltprozessen gewidmet, die Rolle der Museen hinterfragt – und
> sich mit Politikern und Sammlern angelegt. Jetzt wird er mit
> Ausstellungen in Hamburg und Berlin gefeiert
Ein Hügel mit frischem grünem Gras, ein im Ventilatorenwind über dem Boden
wellig flatterndes Tuch, das wie im Barocktheater den Eindruck eines
ständig bewegten Flusses erweckt. Dazu physikalische Demonstrationen, etwa
ein Glasrohr mit einer wandernden Hochspannungsentladung oder ein
Plexiglaswürfel, der sich wie von selbst mit Kondenswasser füllt: Derartige
Installationen und Objekte verblüffen diejenigen, die in der Hamburger
Deichtorhalle von einer Ausstellung des Kölner Künstlers Hans Haacke vor
allem politische Statements erwarten. Der seit 1965 in New York lebende
Haacke wurde schon in den 80er- und 90er-Jahren für jüngere Künstler zum
Vorbild einer investigativen und engagierten Kunst. Doch ihn nur als eine
Ikone der politischen Kunst zu verehren ist ganz gegen sein Wesen und seine
Arbeit.
Prominent auf der documenta vertreten war Haacke bereits 1972, 1982 und
1997. Größere Ausstellungen, die sein Werk im Zusammenhang sichtbar werden
lassen, sind trotzdem selten. Und sein minimalistisches Frühwerk der
60er-Jahre im Umkreis der Gruppe „Zero“, das zeigt, wie Haacke mit
Spiegelfolien und Acryl, mit Wasser und Wind als plastischer Künstler die
Grenzen der Skulptur erweitern wollte, blieb bisher ohnehin fast unbekannt.
Jetzt, zu seinem 70. Geburtstag, zeigt zeitgleich in Berlin und Hamburg
eine erste deutsche Überblicksausstellung alle Aspekte des Werkes.
Bereits 1959 beobachtete der Kunststudent Publikumsreaktionen auf der
documenta 2 mit der Kamera. Diese Fotos sind die frühesten Reflexionen über
den Kunstbetrieb, dessen Strukturen er bis heute immer wieder untersucht.
Seine Kritik an den Institutionen brachte ihm mehrfach Probleme: In den
70er-Jahren wurde Haacke sowohl vom Guggenheim Museum als auch vom Museum
Ludwig ausgeladen, weil er deren jeweilige finanzielle Verflechtungen offen
gelegt hatte. Institutionskritik ist aber inzwischen ein anerkannter
Begriff, sozusagen ein Fachbereich der Kunst geworden – und ist somit als
Teil des Betriebs durchaus auch vom Kunstmarkt konsumierbar. In
unaufgeregter, keineswegs fundamentalistischer Haltung räumt Haacke selbst
ein, die Platzierung seiner Arbeiten zwar weitgehend, aber nicht gänzlich
kontrollieren zu können. Seine moralischen Appelle sind anders als bei den
Theorie-Performances des gleich alten Bazon Brock immer noch in handelbaren
Objekten manifestiert. Doch befragt, wie man mit einer derartig
grundsätzlichen Kritik überhaupt im Kunstbetrieb agieren könne, meint
Haacke altersweise, „dass jeder zwischen den Stühlen sitzt, ist doch wohl
uns allen klar“. Trotzdem bleibt seine Position unbeirrt die des Mahners,
der stets den politökonomischen Aspekt der Kunst und ihres Booms ins
Gewissen ruft. Das einzig gewissermaßen saubere Geld scheint ihm dabei das
demokratische legitimierte Geld der öffentlichen Hand.
Die geschlagenen Schlachten aus den späten 70er- und 80er-Jahren – gegen
Reagan oder in gleich vier Installationen gegen die Kooperation der
deutschen und europäischen Wirtschaft mit dem südafrikanischen
Apartheidsystem – wirken dagegen nur noch wie Beispiele für pädagogische
Formfindungen angesichts politischer Ohnmacht. Sie funktionieren nicht mehr
als direkte Provokation, als unmittelbare Nachforschung über das Gebaren
von Daimler und Deutscher Bank. Mittlerweile überwiegt ihr symbolischer
Charakter: Kunst eben.
Die große Geste der Jubiläumsausstellung, zumindest im Hamburger Teil mit
41 Arbeiten auf 3.000 Quadratmetern, ist neben dem Schwerpunkt der
wirtschaftlichen Themen auch eine kraftvolle Setzung des skulptural, ja
architektonisch denkenden Künstlers. Und diese Kontinuität als Bildhauer
ist es, die über die politischen Inhalte oft vergessen wurde. Schon bei der
preisgekrönten Biennale-Arbeit von 1993 wurde zweierlei unterschätzt: Die
Aktion, den Boden des deutschen Pavillons zu zerschlagen, auf dem einst
Hitler und Mussolini standen, ergab nebenbei auch ein grandioses Raumbild,
ein dreidimensionales Eismeer à la Caspar David Friedrich. Und während in
Deutschland beim Titel „Germania“ der nationalsozialistische Größenwahn
mitgedacht wurde, benennt das Wort auf Italienisch einfach nur das Land,
das sich selbst so schwer fassen kann – was die aufgeregte Diskussion über
seine Arbeit „Der Bevölkerung“ im Berliner Reichstag erneut demonstrierte.
Für die Retrospektive hat Haacke nun die Kunstinstitutionen zu Partnern
gemacht. Schon die Zusammenarbeit der Berliner Akademie der Künste und
Deutschlands größter Ausstellungshalle am Deichtor geht auf seine
Initiative zurück. Das demokratische Öffnen eines Museums hat er für die
große Deichtorhalle wiederum nicht nur kritisch eingefordert, sondern
direkt architektonisch umgesetzt: Durch die Entfernung aller Zwischenwände
und die Installation von drei riesigen, zwölf Meter langen Spiegelwänden
ist der Ausstellungsraum erstmals seit der Gründung 1989 wieder eine
lichtdurchflutete Industriekathedrale, in der sich innen und außen
verbinden. Nachts erstrahlt das Gebäude als einsehbares und aus sich heraus
leuchtendes Versprechen der Möglichkeiten der Kunst. Vielleicht ist der
Moralist zum Romantiker geworden. Oder es war immer schon romantisch
anzunehmen, dass die Kunst sich von der Macht des Geldes emanzipieren
könnte. HAJO SCHIFF
„Hans Haacke: wirklich – Werke 1959–2006“, bis 4. 2. 2007, Deichtorhall…
Hamburg
Inzwischen ist nicht nur Gras über die Sache gewachsen. Nach sechs Jahren
freien Wildwuchses wuchern Brombeerranken durch den rechteckigen Holztrog
mit der beleuchteten Inschrift „Der Bevölkerung“, der in einem der
Innenhöfe des Reichstagsgebäudes installiert ist. Krautige Sträucher haben
sich gegenüber den Pionierpflanzen durchgesetzt. Hans Haackes umstrittenes
Kunstwerk setzt aber nicht nur die sich wandelnde Botanik in Szene, sondern
gestaltet damit zugleich das wohl politischste Kunst-am-Bau-Projekt des
Deutschen Bundestags.
Beinahe wäre es nicht realisiert worden. Mit der knappen Mehrheit von nur
zwei Stimmen hatte das Parlament im Jahr 2000 nach hitziger Debatte einen
Antrag der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt, das Werk nicht zu errichten. Die
Plenaraussprache bemühte von der Blut-und-Boden-Mythologie der Nazis über
Ökokitschvorwürfe bis zum Pathos der Freiheit der Kunst die
unterschiedlichsten Standpunkte deutscher Volksvertreter. Ausschnitte aus
den geifernden wie wohlwollenden Reden eröffnen nun die Ausstellung „Hans
Haacke – wirklich“ in der Berliner Akademie der Künste.
Haacke reagierte mit dem hintersinnigen Kommentar „Der Bevölkerung“ auf den
Schriftzug, der über dem Hauptportal des Reichstags prangt: „Dem deutschen
Volke“. Dass er diesen Volksbegriff auch auf die nichtdeutschen Bewohner
Deutschlands mit seiner Intervention ausgedehnt hat, das haben ihm viele
übel genommen. An der Diskrepanz zwischen dem im Grundgesetz
repräsentierten Volk und der begrifflich weiter gefassten Bevölkerung hat
sich in Haackes Augen bis heute nichts verändert. Er wird deshalb auch
nicht müde, Diskriminierung und Rassismus mit aller Macht anzuklagen.
An der Akademiefassade am Pariser Platz, in nächster Nähe zum Brandenburger
Tor und inmitten des touristischen Hot Spots Berlins, hat Haacke die Arbeit
„Weil sie nicht deutsch aussahen“ angebracht. Auf amtlich und nüchtern
bedruckten weißen Stoffbahnen erinnert er an 46 rassistisch motivierte
Morde an Ausländern seit 1990. „Verbrannt in Solingen“ ist da zu lesen,
„erschlagen in Dessau“ oder „erstochen in Sulzbach“ – Mitglieder der
Gesellschaft, denen die Teilhabe weder am Volk noch an der Bevölkerung
zugestanden wurde.
Dass Haacke in einer solchen großen Museumsschau gewürdigt wird, ist nicht
selbstverständlich. Denn Haacke hat sich schon immer gern mit den
Institutionen des Kunstbetriebs angelegt. In Deutschland wie in den USA
erlebte er Ausstellungsverbote. 1971 platzte seine Soloshow im New Yorker
Guggenheim Museum. Seine Arbeit „Shapolsky et al.“ sollte dort die
Grundstücksspekulationen und Steuerbetrügereien einer einflussreichen
Immobilienfirma dokumentieren – zu einflussreich für den damaligen
Guggenheim-Direktor Thomas Messer. Er fürchtete Ansehensverlust und
sinkende Sponsorengelder und forderte von Haacke die Selbstzensur. Der
Künstler verzichtete lieber auf den musealen Ruhm.
Weit gefehlt, wer in dieser Episode bloß amerikanische Verhältnisse sieht.
1974 untersuchte Haacke für eine Ausstellung im Kölner
Wallraf-Richartz-Museum die Provenienzgeschichte des Manet-Gemäldes
„Spargelstilleben“. Lange im Besitz jüdischer Sammler, wurde es 1968 von
einem Kuratorium erworben und im Andenken an Konrad Adenauer an das Museum
übergeben. Vorstand des Kuratoriums war Hermann Josef Abs. In seiner Arbeit
„Manet-Projekt '74“ notierte Haacke den Werdegang des damaligen
Aufsichtsratsvorsitzenden und langjährigen Vorstandssprechers der Deutschen
Bank; darunter seine unrühmliche Rolle in Hitlers Rüstungsindustrie. Die
Dankbarkeit des Museumsdirektors für den rührigen Stifter wog schwerer als
die Bereitschaft, sich mit kritischer Kunst auseinanderzusetzen: Haacke
durfte nicht ausstellen, der verantwortliche Kurator wurde geschasst.
Tatsächlich hat Haacke viele Lieblingsfeinde. In der Berliner Ausstellung
trifft man auf seine Abrechnung mit dem Kölner Sammler Peter Ludwig oder
den Londoner Saatchi-Brüdern. Die amerikanische Regierung schont er ebenso
wenig wie ihre Symbole. Die Stars and Stripes der Flagge hängen in Fetzen
von der Decke, auf einer Fotografie sieht man einen Mann nach Art von
Guantánamo-Häftlingen mit einem sternbedeckten, blauen Sack über dem Kopf.
In seinem künstlerischen Anspruch ist Haacke durchaus anmaßend und elitär,
weil er intellektuelle Auseinandersetzung einfordert. Dass er dabei
durchaus in der Lage ist, die gesellschaftliche Brisanz seines Engagements
auch formalästhetisch einzulösen, hat er mit seinem Beitrag für die
Biennale in Venedig 1993 bewiesen, wo er mit seinem Eingriff in die
Architektur eindrucksvoll den Nazipomp des deutschen Pavillons zerstörte.
Auch seine Street-Art-Arbeit zum Gedenken an 9/11 überzeugt in ihrer
schlichten Präsenz. Mit einer weißen Negativschablone der
World-Trade-Center-Konturen plakatierte er Werbeplakate in Manhattan über.
Insofern hat er sich die Rolle der moralischen Instanz bewusst ausgesucht
und steht für sie ein. Allen Anfeindungen zum Trotz ist Haacke damit fast
eine Art Nationalkünstler geworden. Vielleicht gegen seinen Willen, aber im
besten, streitbarsten Sinne. MARKUS WOELLER
Bis 14. 1. 07, Akademie der Künste Berlin. Katalog 39 €
21 Nov 2006
## AUTOREN
HAJO SCHIFF / MARKUS WOELLER
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