# taz.de -- Gasometer-Schmerzen | |
> AUSSTELLUNG Mit der Sprengung eines Gasometers 1984 fing alles an, so die | |
> These einer Ausstellung und Filmreihe im Kulturzentrum Wabe. Ein Blick | |
> auf Gasometerkämpfe in Ost- und Westberlin | |
VON HELMUT HÖGE | |
„Gasometer sprengt man nicht“ heißt eine Veranstaltung am 28. Juni in der | |
„Wabe“ im Thälmann-Park. So hieß auch ein Flugblatt, das 1984 im Prenzlau… | |
Berg verteilt wurde – und mit dem gegen den Abriss von drei eigentlich | |
denkmalgeschützten Gasometern an der Dimitroffstraße (heute Danziger | |
Straße) protestiert wurde. Sie waren überflüssig geworden, weil das Gas | |
seit 1980 über die im Jahr zuvor fertiggestellte „Sojus“-Pipeline aus der | |
Sowjetunion kam. Die Bürger wollten die markanten Gasometer zukünftig | |
kulturell nutzen, die Stadt errichtete jedoch eine Wohnanlage für 4.000 | |
Mieter und ein riesiges Thälmann-Denkmal auf dem Gelände. | |
Weil der damalige „Widerstand gegen die Sprengung der Gasometer zu den | |
Wurzeln des erwachten Bürgersinns im Prenzlauer Berg gehört“, wie der daran | |
beteiligte Wolfram Kempe schreibt, erinnert jetzt eine von der | |
Bundesstiftung „Aufarbeitung“ geförderte Ausstellung an die Beseitigung | |
dieser drei Industriedenkmäler vor genau 30 Jahren. Dazu werden Filme über | |
Bürger- bzw. Jugendproteste und Widerstandsformen gegen Stadt- und | |
Umweltzerstörungen gezeigt: freitags welche aus dem Westen, sonntags aus | |
dem Osten und samstags „Ost-West-Fusionen“. Erwähnt seien die Filme „All… | |
machen sie dich ein“ (West), „Underground“ (Ost) und „too much future �… | |
Punk in der DDR“ (Ost-West). | |
Nicht nur an Ort und Stelle der drei gesprengten Ostberliner Gasometer, | |
auch an zwei noch stehenden Westberliner Gasometern, die wegen der | |
Pipelines aus Sibirien funktionslos wurden, entzündete sich der Widerstand | |
der Bürger gegen ihre Vereinnahmung durch Spekulanten. Im Thälmann-Park | |
geht der Kampf deswegen weiter, weil sogenannte Investoren dieses letzte im | |
Prenzlauer Berg ihrer Meinung nach noch unterentwickelte Gelände entdeckt | |
haben. | |
Im vergangenen Jahr entstand bereits eine „Pracht-Wohnanlage“ namens | |
„Ella“, eine weitere ist geplant. „Im Ernst-Thälmann-Park wird sich viel | |
verändern,“ schreibt die Berliner Zeitung über „diese letzte Ost-Oase“,… | |
nun auch „beste Lage“ wird. Auf einem Protest-Flugblatt heißt es: „Die | |
Immobilienspekulanten haben das Thälmann-Park-Areal entdeckt.“ Diesmal sind | |
es jedoch nicht die Prenzlauer-Berg-Bohemiens, die Widerstand leisten, | |
sondern Mieter der 1986 errichteten DDR-Hochhäuser im „bewohnten Park“, der | |
kürzlich unter Denkmalschutz gestellt wurde. Sie gründeten eine | |
Bürgerinitiative. | |
Den Bau der 77 Eigentumswohnungen, „Ella“, konnten sie jedoch nicht | |
verhindern: „Der Neubau ist rechtmäßig, er steht auf Privatgelände“, mei… | |
der Investor. „Privatgelände – wenn ich dat schon höre, in der DDR gab es | |
son Scheiß nich“, erklärte einer der Mieter, ein anderer: „Da helfen nur | |
noch Volksdrohnen!“ | |
Rund um den denkmalgeschützten Gasometer in Schöneberg gibt es sogar zwei | |
Bürgerinitiativen – seit der windige Investor Reinhard Müller 2007 das | |
gesamte Gelände erwarb, um darauf eine private Hochschule für Energie | |
(Euref) und ein Hotel zu errichten. Erst einmal brachte Müller „Europas | |
größte LED-Werbewand“ am Gasometer an, die bei Dunkelheit ununterbrochen | |
Reklame ausstrahlte – zum Entsetzen der Anwohner. Die Einnahmen aus der | |
Werbung sollten der Gasometer-Renovierung zugutekommen, brachte aber zu | |
wenig ein. Stattdessen finden jetzt Talkshows (u. a. von Jauch) im langsam | |
verrostenden Turm statt. Die TU bietet dort einen Studiengang „Energie“ an | |
– und hofft, dass Müllers größenwahnsinniges Projekt, wie bereits bei | |
seiner auf Werbeeinnahmen spekulierenden „Stiftung Denkmalschutz Berlin“, | |
ins Leere läuft – und die TU sich dann günstig einen neuen „Campus“ | |
einverleiben kann, neben dem in Charlottenburg und dem im Wedding. Denn | |
ohne einen Campus läuft beim heute angesagten „Lifelong learning“ nichts | |
mehr. | |
Das weiß auch Müller, dem die Stadt gerade eine Euref-Zufahrtstraße für 6 | |
Millionen Euro finanzierte. Die Springer-Presse schätzt natürlich dieses | |
Schlitzohr, das sich einst das riesige Narva-Gelände mit falschen | |
Versprechungen unter den Nagel riss, es aber nach heftigen Protesten in der | |
Bevölkerung wieder abgeben musste. Die Morgenpost dichtete: „Wenn Reinhard | |
Müller oben auf dem Gasometer steht und dabei zuschaut, wie unten seine | |
Welt wächst, dann erinnert er an einen Zauberer auf seinem Turm.“ In Berlin | |
kann man sich wegen der korrupten politischen Klasse bald nicht mehr retten | |
vor solchen Zauberern. | |
Vor einiger Zeit fiel auch der Kreuzberger Gasometer in der Fichtestraße | |
Gentrifizierern zum Opfer. 1940 hatte man ihn mit Zwangsarbeitern zu einem | |
Bunker umgebaut. Heute schreibt Wikipedia: „Die Investoren bauten unter der | |
Stahlkuppel auf der obersten Bunkerdecke zwölf hochwertige | |
Eigentumswohnungen.“ Auch gegen das „Luxus-Projekt Fichtebunker“ kämpfte | |
eine Bürgerinitiative. Es ging um den Erhalt des Sportplatzes, um alte | |
Ahornbäume, die gefällt werden sollten, um Asbest, der beseitigt werden | |
musste, um Denkmalschutz und um Bürgerbeteiligung. „Wir leben in einer | |
Stadt – da gehören Veränderungen einfach dazu“, entgegnete ihnen der | |
Investor Paul Ingenbleek. Er wollte nicht „Verdrängungen“ sagen, denn genau | |
dies befürchtete – zu Recht – die Bürgerinitiative gegen die Verloftung | |
ihres Gasometers in der Kreuzberger Fichtestraße. Und das befürchten auch | |
die Anwohner am Schöneberger Gasometer sowie die an den gesprengten | |
Gasometern im Prenzlauer Berg. | |
31 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
HELMUT HÖGE | |
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