| # taz.de -- Fallhöhe 102 Meter | |
| Grand Inga – so heißt in Afrika der Sieg des Menschen über die Natur. Der | |
| riesige Kongo-Fluss soll umgeleitet werden und das größte Wasserkraftwerk | |
| der Welt entstehen. Zuerst repariert eine deutsche Firma den bestehenden | |
| Staudamm | |
| AUS INGA DOMINIC JOHNSON | |
| Die Landschaft ist weit und wild. Ein Rauschen füllt die Luft. Wie ein | |
| Tsunami donnert der zweitgrößte Fluss der Welt um eine großzügige Biegung | |
| im Urwald. Er rast über kilometerbreite Stromschnellen, vorbei an riesigen | |
| Inseln hinunter in ein dunkles Tal. Mit einem Volumen von zwanzig | |
| Rhein-Flüssen entlädt der Kongo hier in Inga, einem Dorf 150 Kilometer | |
| flussaufwärts von seiner Mündung, seine ganze Macht, die er in 2.000 | |
| Kilometern majestätischer Prozession durch den halben Kontinent angesammelt | |
| hat. | |
| Diese Energiekonzentration ist Afrikas Zukunftshoffnung. Inga steht für | |
| einen größenwahnsinnigenTraum: Strom für ganz Afrika. Schon bald soll der | |
| Kongo-Fluss nach dem Willen afrikanischer Regierungen die größten und | |
| leistungsfähigsten Staudämme der Welt nähren. Das größte Stromnetz soll | |
| entstehen, das die Erde je gesehen hat – von Südafrika bis Europa. | |
| Es ist ein Traum, ähnlich verrückt wie dieses Land. Aber wenn jetzt nach | |
| den Präsidentschaftswahlen und nach Jahren des Chaos Stabilität einkehren | |
| sollte, kann die Arbeit an dem Staudamm beginnen. Fertige Ausbauprojekte | |
| liegen in den Schubladen der Weltbank, abgeschlossene Verträge mit den | |
| Staaten des südlichen Afrika. Deswegen blickt Afrika auf Kongo mit einer | |
| Mischung aus Angst und Begehrlichkeit. | |
| Vor allem Südafrika, Angola und Namibia setzen auf Präsident Joseph Kabila, | |
| der für die Realisierung dieser Pläne steht und deren Präsidenten bei | |
| Kabilas Amtseinführung als gewählter Präsident am Mittwoch Ehrengäste | |
| waren. Oppositionsführer Jean-Pierre Bemba hingegen, der aus der Gegend des | |
| Kongo-Flussbeckens kommt, spielte im Wahlkampf die nationalistische Karte | |
| und warf Kabila den Ausverkauf von Kongos Ressourcen vor. Er verlor die | |
| Wahl, aber im Flussbecken des Kongo erhielt er massive Mehrheiten. Die | |
| Flussanrainer wollen „ihren“ Kongo nicht verscherbeln. Sie wisssen, dass es | |
| neben dem Stromgeschäft auch Überlegungen gibt, das Kongo-Wasser in | |
| trockene Länder wie Namibia oder Tschad umzuleiten, oder den Regenwald | |
| unter internationale Aufsicht zu stellen. Das gesamte Kongo-Flussbecken | |
| steht vor gigantischen ökonomischen und ökologischen Umwälzungen. | |
| Die Dimensionen des Geschäfts sind so weit wie der Fluss und so geheim wie | |
| eine Staatsaffäre. Wer Inga kontrolliert, kann in halb Kongo die Lichter | |
| ausschalten. Wer Inga besucht, muss komplizierte Genehmigungen beantragen | |
| und misstrauische Kontrollen über sich ergehen lassen. Geheimdienst und | |
| Armee riegeln das Gelände hermetisch ab. Wer nicht die richtigen Papiere | |
| hat, scheitert schon an der Straße aus Matadi, wo die einzige Brücke über | |
| den Fluss auf seinem ganzen Verlauf den Blick auf Kongos größten | |
| Tiefseehafen freigibt. | |
| Vom Berg über der Biegung aus gesehen, wirken die heute schon vorhandenen | |
| Staudämme von Inga winzig. Dann steigt man hinunter und steht vor riesigen | |
| Staumauern, kathedralengleich hoch, und wenn man in diese Mauern | |
| hineinklettert, spürt man das Wummern und Vibrieren und hat einen ersten | |
| Eindruck davon, was dieser Fluss an Energie birgt. Dabei ist dies gar nicht | |
| der richtige Kongo-Fluss, sondern eine winzige Ableitung, fünf Prozent der | |
| gesamten Wassermenge nur. | |
| An zwei Rückflüssen aus diesem Durchstich auf der Innenseite der großen | |
| Biegung stehen die beiden Kraftwerke Inga I und Inga II, die Diktator | |
| Mobutu 1972 und 1982 bauen ließ. Von hier aus wird die | |
| Acht-Millionen-Metropole Kinshasa mit Strom versorgt, von hier aus läuft | |
| die längste Gleichstromleitung der Welt 1.725 Kilometer durch das Land in | |
| das Bergbaurevier von Katanga. Von dort wird Strom weiter exportiert. Nur | |
| sechs Prozent der Kongolesen haben Elektrizität – aber sogar in | |
| Kriegszeiten verkaufte das bitterarme Land Strom nach Südafrika. | |
| Inga I ist ein mittelalterlicher Koloss mit düsteren Räumen und schweren | |
| steinernen Stützmauern. Der Kraftwerksraum des jüngeren Inga II ist | |
| hingegen eine lichtdurchflutete gigantische Halle, mit bunten Glasfenstern | |
| über mehrere hundert Meter, und die Staumauer sieht leichter aus, obwohl | |
| sie die größeren Wassermassen trägt. | |
| Beide Kathedralen sind baufällig. Von den sechs Turbinen in Inga I | |
| funktionieren noch vier, von den acht in Inga II sogar nur drei. Die | |
| Gesamtkapazität müsste bei 1.775 Megawatt (MW) liegen, tatsächlich beträgt | |
| sie 754, und die reale Leistung ist noch kleiner. 500 Millionen Dollar | |
| kostet die Reparatur, schätzt die Weltbank. | |
| Horia Babau von der deutschen Firma Fichtner, die im Weltbank-Auftrag Teile | |
| der Reparatur organisiert, ist ein Staudammveteran mit globaler Erfahrung. | |
| Der rumänischstämmige Kanadier hat den Kongo auf seine Weise | |
| rationalisiert. Man dürfe sich nichts vormachen, erklärt er zwischen Bier | |
| und Whisky: Weiße im Kongo seien fürs Geldverdienen da. Alles andere sei | |
| Humbug. Am nächsten Tag steht er stolz auf der Staumauer von Inga II und | |
| blickt auf sein Reich hinab. „Es ist schön, ein König zu sein“, sagt er | |
| zufrieden. „Dies ist das größte Wasserkraftpotenzial der Welt.“ | |
| Vorerst soll die deutsche Firma Fichtner im Weltbank-Auftrag lediglich drei | |
| der sechs Turbinen in Inga I reparieren; diese Aufgabe hat sie bereits an | |
| die spanische Firma Montreal vergeben. Dann berät sie die staatliche Snel, | |
| ebenfalls im Weltbank-Auftrag, bei die Übersicht der | |
| Gesamtreparaturarbeiten an Inga I und II. „Wir sagen Snel, was sie machen | |
| sollen“, erklärt Babau. Macht Snel es auch? „Nein.“ Und dann? „Es komm… | |
| niemand um nachzusehen. Wir machen es einfach selber.“ | |
| In Inga II, wo vier der acht Turbinen einst von Siemens installiert wurden, | |
| übernimmt die kanadische Firma MagEnergy die Reparatur. Sie bezieht im | |
| Gegenzug Strom für ihre Fabrikanlagen im Nachbarland Kongo-Brazzaville. | |
| Damit haben die Kanadier Siemens ausgebootet, das anfangs die Turbinen | |
| selbst reparieren und sich auch für weitere Aufträge positionieren wollte. | |
| Es gibt ganz unterschiedliche Arbeiten. Man muss kaputte Turbinen | |
| reparieren, funktionierende warten, das Umspannwerk erneuern und den | |
| Durchstich ausbaggern, weil immer weniger Wasser in die Kraftwerke kommt | |
| und dadurch die Leistung sinkt. 382 Megawatt zeigt die rote Anzeige im | |
| Kontrollraum von Inga II, 204 die in Inga I. 120 davon gehen über die | |
| Überlandleitung nach Katanga zum Export, sagt Kraftwerksdirektor Kapia; 60 | |
| gehen ins Nachbarland Kongo-Brazzaville. Für Kongo selbst bleibt die | |
| Kinshasa-Überlandtrasse mit bis zu 400 Megawatt, und dann noch kleine | |
| Mengen für die Städte in der Nachbarschaft. Schon das zu garantieren und | |
| vielleicht die Kapazität wieder auf die ursprünglichen 1.775 MW zu erhöhen, | |
| ist eine komplexe Arbeit mehrerer Jahre. | |
| Die staatliche Snel hat dafür kein Geld. Angeblich liegen 32 Millionen | |
| Dollar auf deutschen Konten – Stromgebühren aus Kongo-Brazzaville. In der | |
| Übergangsregierung in Kinshasa haben sich einige Minister eine goldene Nase | |
| damit verdient, in Brazzaville Stromgebühren einzutreiben. Sie setzten eine | |
| ihnen angemessen erscheinende Provision fest, und wenn sie die hatten, | |
| stellten sie das Eintreiben ein. | |
| Den Weltbank-Planern in Kinshasa, die die Reparatur von Inga I und II | |
| finanzieren sollen, geht sogar das, was bereits passiert, zu schnell. „Wir | |
| sind doch eigentlich erst im Stadium von Vorstudien“, sagt | |
| Weltbank-Repräsentant Jean-Michel Happi. „Frühestens Ende 2007 kann es | |
| losgehen.“ Dann ärgert er sich über Unternehmen, die schon angefangen | |
| haben, ohne dass die Weltbank grünes Licht gegeben hat. Der Name Fichtner | |
| fällt dabei auch. Positiv sei allerdings, dass die deutsche Firma die | |
| Überlandleitung aus Inga nach Katanga instandsetze. Von höheren | |
| Stromlieferungen nach Katanga hängt nämlich ab, ob es dort genug Strom für | |
| die vielen geplanten Großinvestitionsprojekte in den Bergwerken gibt – der | |
| erhoffte Motor des zukünftigen kongolesischen Wirtschaftsaufschwungs. | |
| In den Gedärmen Ingas zählt nur die Gegenwart. Die italienische Turbine GR2 | |
| in Inga I, ein Monster von 250 Tonnen, sollte sich eigentlich vom | |
| Wasserschwung angeschoben 136,36-mal pro Minute drehen und damit eine Kraft | |
| von bis zu 90.000 PS entfachen. Aber sie steht nutzlos und ölig ausgebaut | |
| herum. Seit zehn Jahren ist der Koloss kaputt, erklärt Ingenieur Ali Mwini. | |
| „Fichtner muss das erst mal in den Ursprungszustand zurückversetzen.“ Erst | |
| wenn alle Teile so arbeiten, wie sie können, kann man das Gesamtproblem | |
| erkennen und die Reparatur konzipieren. Ende 2007 soll das fertig sein, | |
| aber das glaubt hier keiner. | |
| Weiter unten wird der Lärm ohrenbetäubend, die Hitze unerträglich. Hier | |
| erstrecken sich die Anlagen bis unter den Fluss. Und hier verfolgen die | |
| Inga-Angestellten, wie ihre ganze Anlage sich allmählich auflöst. Die Risse | |
| in den Betonwänden werden langsam größer; die Schnelligkeit ihrer | |
| Ausdehnung wird gemessen und protokolliert, was die kongolesischen | |
| Ingenieure ganz faszinierend finden. Hinten donnert sogar Wasser in den | |
| Raum. „Das ist immer so, das ist nicht so wichtig“, beschwichtigt einer. | |
| Beruhigend ist es nicht. Aber: „In Inga II sind die Risse noch schlimmer“, | |
| erklärt ein Ingenieur. „Das fällt allmählich auseinander.“ | |
| Ginge es nur um die beiden existierenden Kraftwerke, würden sich wohl kaum | |
| die Spitzenfirmen der Branche um die Reparatur kaputter Turbinen und | |
| baufälliger Stauanlagen tief im Herzen Afrikas kümmern. All das ist | |
| lächerliche Bastelei verglichen mit den Projekten der Zukunft, und da will | |
| jeder so früh wie möglich Präsenz zeigen. Der eine Traum heißt Inga III: | |
| ein zweiter, längerer Durchstich in der Biegung, 15 Kilometer | |
| flussaufwärts, an dem man einen noch größeren Staudamm errichten könnte, | |
| mit 16 Turbinen und einer Leistung von 3500 Megawatt. | |
| Inga III soll das halbe südliche Afrika versorgen. Ein Konsortium der fünf | |
| staatlichen Elektrizitätsgesellschaften von Kongo, Angola, Namibia, | |
| Botswana und Südafrika existiert dafür, im September 2005 unter dem Namen | |
| Westcor gegründet. Es soll aus Inga III zusammen mit weiteren geplanten | |
| Wasserkraftwerken in Angola und Namibia die fünf Länder versorgen; jedem | |
| Teilhaber gehören 20 Prozent, die Investitionskosten betragen vier bis | |
| sieben Milliarden Dollar. Der Kongo hat solches Geld nicht. Das hat in der | |
| Region nur Angola, wegen seines Ölreichtums, und die Großmacht Südafrika. | |
| Westcor ist ein richtig großes Geschäft, in dem der Kongo einen | |
| untergeordneten Platz einnimmt. „Der Strom geht an die fünf | |
| Teilhabergesellschaften, und die werden sich untereinander verständigen, | |
| wie viel jeder davon tatsächlich nimmt. Das müssen sie natürlich bezahlen“, | |
| erklärt Eric Mbala von Kongos staatlicher Elektrizitätsgesellschaft Snel, | |
| der das Projekt in einem Luxushotel in Kinshasa erläutert. Er rechnet mit | |
| einer Fertigstellung frühestens 2012. | |
| Mbala ist ein strukturiert denkender Technokrat, in Eile und voller Elan. | |
| Dies ist ein Kongo der großen Schritte, in dem man zugleich weiß, dass das | |
| Land dabei eher das Nachsehen hat. Denn Kongos Stromgesellschaft muss den | |
| Strom aus Inga III zu denselben Bedingungen einkaufen wie Südafrikas | |
| staatlicher Stromriese Eskom oder die anderen Teilhaber. Und da man in | |
| Kinshasa munkelt, die faktisch bankrotte Snel werde demnächst privatisiert | |
| und vielleicht von Eskom geschluckt, wird Inga III vermutlich eine | |
| südafrikanische Affäre. Kein Wunder, dass manche Kongolesen hier schon den | |
| erneuten Ausverkauf ihrer Reichtümer anklagen. | |
| Afrikas Schubladen enthalten noch viel mehr Kongo-Stromprojekte. Es gibt | |
| den „Southern African Power Pool“ (Sapp) aus zwölf Ländern der Region, die | |
| ihr Auge auf den Strom aus der großen Überlandleitung von Inga nach Katanga | |
| geworfen haben. Die bestehende Leitung aus Kolwezi im Kongo nach Kitwe in | |
| Sambia soll erweitert werden, dann folgen Anschlüsse nach Tansania, Malawi, | |
| Mosambik, finanziert unter anderem von der Europäischen Investitionsbank | |
| (EIB). Das Zauberwort lautet „interconnectivity“: Sind alle Stromnetze | |
| Afrikas verbunden, kann die Elektrizität überallhin fließen. Neben Sapp | |
| gibt es Wapp, das Gleiche also für Westafrika, und den „Pool Énergétique de | |
| l’Afrique Centrale“ (Peac); sie alle wollen etwas von Inga abbekommen. Und | |
| zu guter Letzt der „Northern Corridor“: ein Stromnetz von Kongo bis nach | |
| Ägypten, über die Sahara-Wüste, aus dem eventuell sogar die Einspeisung in | |
| europäische Stromnetze über das Mittelmeer erfolgen könnte. | |
| Die Kraft des Kongo-Flusses in europäische Steckdosen? Es klingt völlig | |
| verrückt. Bis man erfährt, dass Ägypten schon 1992 mit dem damaligen Zaire | |
| ein entsprechendes Abkommen schloss. Und bis man bei jedem Gespräch über | |
| Inga auf das gestoßen wird, was Weltbank-Repräsentant Jean-Michel Happi in | |
| Kinshasa mit glänzenden Augen ein „großes Abenteuer“ nennt: Grand Inga. | |
| Grand Inga bedeutet nichts weniger als den Sieg des Menschen über den | |
| Fluss. Die große Biegung soll trockengelegt werden, der gesamte riesige | |
| Kongo-Fluss wird in voller Breite umgeleitet, durch das derzeit | |
| lästigerweise noch von Menschen bewohnte Biridi-Tal. Nur ein Nebenkanal | |
| leitet dann noch Wasser nach Inga I, II und III; der Rest speist das größte | |
| Wasserkraftwerk der Welt, größer noch als das des Drei-Schluchten-Damms in | |
| China. Die Daten erschlagen. Eine Fallhöhe von 102 Metern – Inga I und II | |
| haben keine 60. Ein Durchfluss von 26.400 Kubikmeter Wasser pro Sekunde – | |
| Inga I hat 780. Eine Staumauer von 150 Metern Höhe – Inga I hat 50 Meter. | |
| 52 Turbinen mit einer Leistung von je 750 MW – Inga I hat sechs mit je | |
| 58,5. Eine Gesamtleistung von 39.000 Megawatt – das ist fast das Dreifache | |
| der derzeitigen gesamten Stromproduktion in Afrika zwischen Sahara und | |
| Südafrika. | |
| Ingas Kraftwerksdirektor Déo Kapia ist von dieser Idee überzeugt. „Grand | |
| Inga wird kommen“, meint er in seinem Büro in Inga unter dem Porträt von | |
| Präsident Joseph Kabila. Es könnte bis 2030 oder sogar 2040 dauern, die | |
| Kosten werden auf mindestens 40 Milliarden Dollar geschätzt. Aber Grand | |
| Inga ist schon eines von zehn „Leitprojekten“ des ambitionierten | |
| gesamtafrikanischen Entwicklungsplans „Nepad“. | |
| In der tropischen Nacht im „Club des Cadres“ im Dorf Inga, wo Plastikstühle | |
| auf gepflegtem Rasen die gehobene Unterhaltung für die höheren Angestellten | |
| der Kraftwerke darstellen und das Bier fast so reichlich fließt wie das | |
| Wasser am Staudamm, geraten die Kader ins Schwärmen, wenn sie an Grand Inga | |
| denken. Das Dorf Inga ist eine soziologische Kuriosität. Auf einem Hügel | |
| steht eine einfache Hüttenansammlung – beleuchtet immerhin, Strom gibt es | |
| hier ja genug. Auf dem Nachbarhügel erstreckt sich eine dem geruhsamen | |
| Verfall preisgegebene Parksiedlung voller prächtiger Mangobäume, dazwischen | |
| Fertighäuser unterschiedlichen Typs und einhelliger Hässlichkeit, so als | |
| habe sich ein realsozialistischer Ferienhausbauer in die Tropen verirrt und | |
| sei durchgedreht. Viele sind unbewohnt, es sind ehemalige Residenzen weißer | |
| Inga-Angestellter. Heute werden die Ausländer allmählich wieder mehr: Sie | |
| hoffen auf das große Geschäft. | |
| Während Fichtner-Ingenieur Babau am Nachbartisch sein Bier trinkt, malt | |
| Snel-Ingenieur Patrick Bilanda schwungvoll im Dunkeln mathematische Formeln | |
| ins Notizbuch und erläutert, wie man Flüsse verlegt. „Inga I und II | |
| bedienen die lokale Nachfrage“, erklärt er: „Inga III und Grand Inga werden | |
| ganz Afrika versorgen. Wir haben hier eine weltweit einmalige Anhäufung von | |
| Stromschnellen und eine Stabilität des Wasserabflusses, wie es sie nirgends | |
| sonst gibt.“ Der Kongo-Fluss, erklären seine Kollegen, ist eben der beste | |
| der Welt. Als einziger Fluss der Erde überquert er den Äquator zweimal – | |
| erst von Süd nach Nord, dann wieder von Nord nach Süd. Das macht seine | |
| Strömung einmalig konstant. Ein Paradies für Wasserkraftgigantismus. | |
| Naturschutz spielt dabei keine Rolle. | |
| Um Kongos Energieproblem zu lösen, müsste man anders vorgehen, finden | |
| Ökologen. Sie setzen auf dezentrale Wasserkraftwerke an den unzähligen | |
| Flüssen und Strömen des Landes, wie es sie bereits im Osten des Landes | |
| gibt, oder auf Sonnenenergie. Aber damit lässt sich kein Prestige | |
| verdienen. | |
| DOMINIC JOHNSON, Jahrgang 1966, ist Afrika-Redakteur der taz | |
| 9 Dec 2006 | |
| ## AUTOREN | |
| DOMINIC JOHNSON | |
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