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# taz.de -- Polizeiaffäre: Kommissar Praktikant ermittelt
> Skurriler Höhepunkt der Polizeiaffäre in Sachsen-Anhalt: Ein "Praktikant"
> der Dessauer Polizei soll ein Ermittlungsverfahren im Namen
> Rechtsextremer vorangetrieben haben.
Bild: Unzufrieden mit seiner Polizeitruppe: Innenminister Holger Hövelmann (SP…
Diesen Brief müsste sich Steffen Andersch eigentlich im goldenen Rahmen
über den Schreibtisch hängen. Damit er täglich etwas zum Lachen hat. Nur
kann sich der Leiter des Dessauer Civitas-Büros gegen rechts nicht wirklich
amüsieren über die Post aus dem Dessauer Polizeipräsidium. Denn das Thema,
um das es geht, ist ziemlich ernst.
Auf fünf DIN-A4-Seiten erläutert die Polizeipräsidentin, wie im letzten
Jahr das Unglaubliche passieren konnte. Monatelang hatte der Staatsschutz
ein Strafverfahren gegen Andersch vorangetrieben, er musste sich einen
Rechtsanwalt nehmen - weil er getan hatte, wofür die Bundesregierung Leute
wie ihn bezahlt: Er hatte einen Rechtsextremen öffentlich als rechtsextrem
tituliert. Erst im Frühjahr stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren
ein. Sein Anwalt reichte eine Dienstaufsichtsbeschwerde ein. Nun liegt das
offizielle Entschuldigungsschreiben samt Begründung auf seinem Tisch. Und
die lautet: Ein "Praktikant" der Polizei habe Unfug verzapft.
"Das verwundert mich schon sehr", sagt Andersch. "Mir ist das komplett neu,
dass Praktikanten bei der Polizei solche Aufgaben übernehmen." Er fragt
sich: "Kann es wirklich sein, dass man so einen Fall mit einem Praktikanten
besetzt?"
In anderen Regionen könnte der Civitas-Mitarbeiter die Sache als
Beamtenposse abhaken, als peinlichen Einzelfall. In Sachsen-Anhalt jedoch
häufen sich seit Monaten die Einzelfälle. Immer wieder gerieten Polizisten
in die Kritik, weil sie Rechtsextreme laufen und deren Opfer im Stich
ließen - oder gar zum Wegschauen aufgerufen haben sollen. Auch in Dessau,
jener Stadt, wo vor zwei Jahren im Polizeigewahrsam der Asylbewerber Oury
Jalloh verbrannte. In diesem Frühjahr nun gingen drei Staatsschützer mit
einem brisanten Vorwurf an die Öffentlichkeit: Der Vizechef der Dessauer
Polizeibehörde, Hans-Christoph Glombitza, habe sich über die Landeskampagne
gegen Rechtsextremismus lustig gemacht und sie aufgefordert, die Bekämpfung
rechtsextremer Straftaten zu drosseln. Damit die Statistik weniger hässlich
ausfalle. Die drei Staatsschützer sind inzwischen keine mehr. Obwohl sie
für ihre Arbeit geschätzt wurden, zumindest außerhalb der Polizei.
Fast ein Jahr ist inzwischen vergangen seit jenem Tag, als Steffen Andersch
in Bergwitz einen Vortrag über die rechte Szene im Landkreis Wittenberg
hielt. Die Gemeinde hatte zu einem Informationsabend eingeladen. Andersch
erklärte den Zuhörern, wer der Bergwitzer NPD-Mann Christian Klimpel ist,
er zeigte auch ein Foto des Jungpolitikers, der bereits als
Bundestagskandidat für die NPD angetreten war. Im Publikum saß ein
hochrangiger Beamter der Dessauer Polizei - aus privatem Interesse, wie es
in den Ermittlungsakten heißt. Zurück im Dienst, berichtete der
Polizeioberrat seinem Vorgesetzten von dem Abend. Glombitza wies seine
Truppe an, der Sache nachzugehen. Das Ergebnis: ein Strafverfahren gegen
den Civitas-Mitarbeiter Andersch.
Zunächst wurde Andersch ein Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz
vorgeworfen, weil er den NPD-Mann nicht gefragt hatte, ob sein Foto gezeigt
werden dürfe. Da wusste der Rechtsextreme noch gar nicht von seinem Glück.
Nachdem der Staatsschutz den NPD-Mann als "Geschädigten" persönlich
vorgeladen hatte, kam noch der Vorwurf der üblen Nachrede hinzu.
Dass dieses Verfahren irrwitzig war, davon scheint inzwischen auch die
Dessauer Polizeipräsidentin Brigitte Scherber-Schmidt überzeugt. Ihre
Behörde bedauere es, dass "der Eindruck entstanden ist, demokratisches
Engagement gegen rechts werde als kriminell stigmatisiert, während
Rechtsextremisten als schutzwürdige Opfer angesehen würden", heißt es in
dem Antwortschreiben, das der taz vorliegt. "Ausdrücklich" wolle sie sich
dafür entschuldigen.
Auch einen Verantwortlichen für das Debakel hat die Polizeipräsidentin
inzwischen gefunden. Es ist nach ihrer Ansicht just einer jener drei
Staatsschützer, die ihren Vorgesetzten Glombitza öffentlich bezichtigt
hatten, er wolle ihre Arbeit gegen rechts bremsen. Der Beamte habe in
seiner Rolle als Leiter der Staatsschutzabteilung den "Praktikanten" mit
den Ermittlungen allein gelassen. Die "End- und Qualitätskontrolle" sei
mangelhaft gewesen. Dem "Praktikanten" könne sie keinen Vorwurf machen,
versichert die Polizeipräsidentin: "Eine sachgerechte Bearbeitung eines
derart brisanten Falles kann von einem Neueinsteiger keinesfalls erwartet
werden." Schließlich habe der Kollege beim Staatsschutz nur "seine ersten
kriminalpolizeili- chen Praxiserfahrungen" sammeln sollen.
Man braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, dass der beschuldigte
ehemalige Leiter des Dessauer Staatsschutzes Sven Gratzik womöglich ein
anderes Bild der "Praktikanten"-Affäre zeichnen würde - wenn er dürfte.
Aber Gratzik darf nicht. Als Beamter ist er zum Schweigen verpflichtet. Er
hat einen Anwalt mit dem Fall betraut, der prüft nun zivilrechtliche
Schritte wegen der Anschuldigungen. Auch der Anwalt schweigt lieber, aus
Sorge um seinen Mandanten.
"Ich kann nicht einschätzen, ob die Darstellung des Polizeipräsidium
stimmt", sagt der Beschwerdeführer Steffen Andersch. "Mich verwundert aber,
dass ausgerechnet einer der drei Staatsschützer das Ganze verantworten
soll." Schließlich stehe in dem Brief der Polizeipräsidentin auch, dass
eigentlich der von den Staatsschützern angeprangerte Polizeivize Glombitza
den ersten Anstoß für das Ermittlungsverfahren gegeben habe. Dessen Rolle
bleibe in dem Schreiben jedoch unklar.
Das Magdeburger Innenministerium reagiert gereizt auf Nachfragen zu dem
Fall. Behördenchef Holger Hövelmann (SPD) hat in den vergangenen Monaten
mehrfach deutliche Kritik an der eigenen Truppe geübt, der Innenminister
ermahnte seine Landespolizei sogar in einem offenen Brief, endlich "null
Toleranz" gegen Rechtsextreme zu zeigen.
Doch den Streit um die Dessauer Staatsschützer würde das Ministerium
inzwischen gerne begraben. Der Erklärung des Polizeipräsidiums könne man
nicht viel hinzufügen, erklärt ein Sprecher Hövelmanns. "Ich sehe da
überhaupt keine Probleme."
Auch den Umstand, dass beim Dessauer Staatsschutz ein "Praktikant" ein
Ermittlungsverfahren betreute, hält der Sprecher für vertretbar.
Schließlich habe es sich bei dem "Praktikanten" um einen ausgebildeten
Polizeikommissar gehandelt, der sich um den Aufstieg in den höheren
Polizeidienst beworben habe. Vor der Beförderung habe er verschiedene
Behördenstationen durchlaufen müssen, unter anderem beim Staatsschutz.
Warum aber verlangt die Dessauer Polizei nicht von einem ausgebildeten
Kommissar, selbst zu erkennen, wie irrsinnig ein solches
Ermittlungsverfahren ist - zumal wenn er einen verantwortungsvollen Posten
im höheren Polizeidienst anstrebt? Wieso gilt er stattdessen als
schuldunfähiger Praktikant?
Der Chef der oppositionellen Linksfraktion im Magdeburger Landtag will sich
mit den Erläuterungen von Polizeipräsidium und Innenministerium nicht
zufriedengeben. Wulf Gallert hat angekündigt, im September einen
Untersuchungsausschuss zur Dessauer Polizeiaffäre zu beantragen. Der soll
nicht nur die Vorwürfe gegen den Vizepolizeichef Glombitza noch einmal
aufrollen, sondern auch den abgeblichen "Praktikanten"-Stadl im Fall
Andersch durchleuchten. "Beim Innenminister sehen wir leider nicht den
Willen, die nötige Aufklärungsarbeit zu leisten", sagt der PDS-Mann.
Das Dessauer Polizeipräsidium kann den Fall ohnehin noch nicht zu den Akten
legen. Denn der Rechtsanwalt des Civitas-Mitarbeiters Steffen Andersch hat
der Polizeichefin inzwischen auf ihren Brief geantwortet. Mit einer
Honorarrechnung über 853,15 Euro - 200 Euro Schmerzensgeld inklusive.
Für den Rechtsanwalt Volker Gerloff ist der Verdacht nicht entkräftet, dass
sein Mandant letztlich doch "gezielt kriminalisiert werden sollte, gerade
weil er sich gegen Rechtsextremismus engagiert". Schließlich habe der
Dessauer Staatsschutz im Februar sogar noch ein zweites Strafverfahren
gegen Andersch eingeleitet - ebenfalls wegen angeblicher Verletzung der
Fotorechte eines Rechtsextremen. Und dieses Verfahren sei laut
Ermittlungsakte von einem anderen Beamten betreut worden.
Wahrscheinlich, bemerkt Rechtsanwalt Gerloff in seinem Schreiben an die
Polizeipräsidentin süffisant, sei dieser Polizist "just ein weiterer
Praktikant" gewesen.
13 Aug 2007
## AUTOREN
Astrid Geisler
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