# taz.de -- Gestörte Welle | |
> BRANDUNG Bei der Deutschen Welle häufen sich Streite über unterdrückte | |
> Kommentare, entlassene Mitarbeiter und Einfluss von oben | |
VON JENS TWIEHAUS | |
Der Reporter war den ganzen Tag unterwegs, er hatte Demos von | |
Israel-Gegnern und -Freunden beobachtet. Beeindruckt von den Ereignissen, | |
setzt er sich an den Computer, denkt, tippt. Ein Kommentar. Titel: „Der | |
deutsche Reflex funktioniert“. Es geht um den deutschen Schuldkomplex und | |
den reflexhaften Schulterschluss mit Israel, sobald auch nur ein Verdacht | |
des Antisemitismus aufkommt. | |
Es ist der 25. Juli in Berlin und der Text wird nicht erscheinen – mit der | |
Begründung: Es habe eine „technische Panne“ gegeben. Der Reporter erfährt | |
es erst später. | |
Der Reporter ist Mitarbeiter der Deutschen Welle, dem deutschen Sender für | |
das Ausland. Die Welle soll Deutschlands mediales Aushängeschild sein. Kaum | |
jemand hier kennt sie, aber in Äthiopien oder in Afghanistan schauen, hören | |
oder lesen viele die Arbeit ihrer Journalisten, denn die Welle bietet auch | |
Programme auf Amharisch und Paschtu. | |
Mindestens zwei israelkritische Kommentare sind im Juli nicht auf der | |
Internetseite der DW erschienen. Sie standen fertig zur Veröffentlichung im | |
Computersystem der Redaktion. Doch im allerletzten Moment zog jemand die | |
Notbremse, stoppte die Publikation. | |
## Anonyme E-Mail | |
Der taz wurden die Texte über eine anonyme E-Mail zugespielt. Recherchen | |
ergaben, dass die Kommentare tatsächlich so verfasst worden waren. Auch ein | |
zweiter Text eines DW-Journalisten aus Bonn stand schon im Redaktionssystem | |
und wurde verhindert. Er trug den Titel: „Deutschlands schwieriger Spagat | |
zwischen Israel-Kritik und Antisemitismus“. | |
Doch die Probleme der Deutschen Welle enden nicht beim Thema | |
Nahostkonflikt. Auch die chinesische DW-Mitarbeiterin Su Yutong musste | |
jüngst spüren, wie schnell Journalisten bei der Senderspitze in Ungnade | |
fallen können. Ihr Rahmenvertrag wird nicht verlängert. Sie darf nicht mehr | |
für die Deutsche Welle arbeiten. | |
Su Yutong hatte einen längeren Streit zwischen dem DW-Korrespondenten Frank | |
Sieren und seinem Kollegen Chang Ping sehr eigenwillig kommentiert. Es ging | |
um die Bewertung des Massakers auf dem Tiananmenplatz 1989. Su Yutong | |
veröffentlichte unter anderem eine Fotomontage auf Twitter: Sieren guckt | |
darin als Kriegsherr aus einem Panzer. Das ist fraglos eine verdammt | |
unfeine und diffamierende Art der Diskussion. Doch ist es mehr als ein | |
Streit, in dem eine Schmerzgrenze überschritten wurde? | |
Die Deutsche Welle begründet den Rausschmiss Su Yutongs später damit, sie | |
habe Interna ausgeplaudert. Kurz darauf wird der Leiter der | |
China-Redaktion, Matthias von Hein, intern versetzt, angeblich ganz | |
regulär. Alle Ereignisse zusammen – die Zensur der Israel-Kommentare und | |
das Durcheinander in der China-Redaktion – lassen ein ungutes Gefühl | |
aufkommen. | |
Das geht auch vielen Mitarbeitern so. Beim Deutschen Journalisten-Verband | |
(DJV) fragten mehrere Beschäftigte um Rat. Der DJV ist ernsthaft besorgt, | |
und sein Sprecher Hendrik Zörner macht daraus keinen Hehl. „Was uns große | |
Sorgen macht, ist, dass es eine Tendenz gibt innerhalb der Deutschen Welle, | |
von oben Einfluss auf die Inhalte zu nehmen.“ | |
Aussagen aus dem Haus belegten, dass es mehrfach aus der Führungsebene | |
Versuche gegeben habe, Beiträge zu verändern oder zu verhindern. Dass über | |
Inhalte gestritten wird, sei gut so. Doch Einflussnahme von oben gebe es | |
derzeit innerhalb der Welle „mehr, als es früher der Fall war“, sagt | |
Zörner. | |
Die Stellungnahme des Senders zur Zensur der Kommentare fällt knapp aus. | |
Chefredakteur Alexander Kudascheff lässt mitteilen, die Beiträge hätten | |
nicht den journalistischen Standards der Deutschen Welle entsprochen, man | |
habe mit den Autoren gesprochen. Der taz liegen die Kommentare vor. Man | |
kann gewiss anderer Meinung als die Kommentatoren sein, aber ein Verstoß | |
gegen journalistische Prinzipien sucht man in den Zeilen vergeblich. | |
## Die Pläne der Chefs | |
Kudascheff und Intendant Peter Limbourg wollen die Welle zu einem globalen | |
News-Unternehmen ausbauen. Die öffentlich-rechtliche Anstalt, vom Bundestag | |
mit einem Jahresetat von rund 280 Millionen Euro ausgestattet, soll den | |
Anschluss halten zu BBC World und CNN. Bei all den hochfliegenden Plänen | |
bleibt zu hoffen, dass Kudascheff und Limbourg keine stromlinienförmige | |
Nachrichtenschleuder bauen. Im unterdrückten Kommentar des Reporters heißt | |
es im vorletzten Absatz: „Die Meinungsfreiheit ist ein fester Bestandteil | |
des deutschen Rechtsstaats.“ Kudascheff und Limbourg sollten sich die | |
Zeilen über ihren goldenen Globus hängen. | |
2 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
JENS TWIEHAUS | |
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