# taz.de -- „Ich will kein Bühnenkotz- brocken sein“ | |
> Jess Jochimsen ist zu unpolitisch fürs Kabarett und zu tiefgründig für | |
> Comedy. Ist er deshalb weniger bekannt als Kollegen, die sich ans Format | |
> halten? Über einen Komiker, der Rilke zitiert und gegen politische | |
> Korrektheit musiziert | |
VON ALBERT HEFELE | |
Jess Jochimsen hat ein Problem. Ein Problem, um das ihn die meisten | |
beneiden: Er sieht jünger aus, als er ist. Außerdem heißt er „Jess“ und … | |
atmet irgendwie den Odem antiquierter Jugendsendungen die über alte | |
Schwarz-weiß-Empfänger ratterten. Jochimsen aber ist 36. Ein Mittdreißiger, | |
der aussieht wie ein jungenhafter Endzwanziger. Ist doch schön? Ja und | |
nein. | |
Probleme bereitet Jess Jochimsen sein junges Aussehen in der Ausübung | |
seiner Profession: Er steht auf der Bühne und will die Leute unterhalten. | |
Gut, das würde einem jugendlichen Aussehen nicht zuwiderlaufen. Allein – er | |
will sein Publikum nicht nur unterhalten. Ginge es „nur“ um Unterhaltung, | |
wäre Jochimsen so etwas wie ein „Comedian“, dann wäre es völlig egal, wie | |
alt er aussieht oder wirkt. Comedians dürfen bubenhaft und kindisch wirken, | |
alt oder jung sein, es ist – wie gesagt – egal. Es nimmt sie ohnehin keiner | |
in keiner ihrer Rollen ernst. Comedians haben nur die Pflicht, das Publikum | |
zu erheitern. | |
So leicht macht es sich Jess Jochimsen nicht. „Eine gute Geschichte muss | |
lustig und traurig, witzig und ernsthaft sein …“, sagt er. Vielleicht ist | |
er wegen dieser Überzeugung vieles gleichzeitig. Zum Beispiel einerseits | |
albern, frech und bubenhaft; andererseits spürt man zwischen all dem bunt | |
flirrenden Blödsinnsgenknister etwas Metallisches, Scharfkantiges. | |
Es kann vorkommen, dass er sein Publikum auf eine Art fixiert, die nicht | |
unbedingt gemütlich ist. Er macht, dass die Leute lachen, aber es ist ihnen | |
hin und wieder nicht ganz wohl dabei. Sie spüren – da ist es einem trotz | |
allen Frohsinns sehr ernst. Und irgendwann kristallisiert sich aus all den | |
Albernheiten so etwas wie eine Botschaft heraus. Ohne jedes Augenzwinkern, | |
ohne jede Albernheit. | |
Jess Jochimsen sagt: „Ich bin ein moralischer Mensch“, was in der | |
Konsequenz wiederum bedeutet: Mir geht keineswegs alles hinten vorbei. „Ich | |
möchte, dass die Leute ein wenig anders aus der Vorstellung hinausgehen, | |
als sie hereingekommen sind.“ Nicht etwa besser, das wäre zu viel verlangt, | |
aber auf jeden Fall eine Idee nachdenklicher. Nachdenklicher, was die | |
Botschaft angeht, die im aktuellen Programm eigentlich eine Frage ist: „Wie | |
kann man in Würde leben?“ | |
Das ist wie eine kalte Dusche in all dem heiteren Schenkelklopfen. Wohl | |
eher ein Thema für den philosophischen Stammtisch als für einen – ja was | |
eigentlich? – Abend. Comedy ist das nicht, Kabarett im eigentlichen Sinne | |
aber auch nicht. Jess Jochimsen und sein musikalischer Adlatus Sascha | |
Bendiks haben für ihr Programm die Unterzeile „Texte, Dias und Rock ’n’ | |
Roll zur Lage der Nation“ gewählt, weil es genau das ist, was sie | |
abliefern: Texte, Dias und Rock ’n’ Roll. Mit Botschaft. Die keineswegs für | |
jeden nachvollziehbar ist und deswegen nicht wenige Irritationen mit sich | |
bringt. Jochimsen weiß das ganz genau und er weiß auch, dass ernsthafte | |
Fragen kaum Publikum haben. Darum greift er zu attraktiveren Mitteln. Er | |
legt Wert auf ein abwechslungsreiches Programm. Es wird gesungen und | |
musiziert. Jochimsen improvisiert und liest aus seinen Büchern. Er prescht | |
vor und verzögert, er sorgt dafür, dass es nicht langweilig wird, denn | |
Langeweile ist der Tod für jede Botschaft. Er gibt, gemeinsam mit Sascha | |
Bendiks, dem Affen Zucker. Er ist ein Wolf im gepunkteten Schafspelz. Er | |
ist ein ernsthafter Lausbub, der brutal sein darf, weil er charmant – und | |
jugendlich – ist und den Rat verinnerlicht hat, den ihm Sigi Zimmerschied | |
einmal gegeben hat: „Du darfst kein Bühnenkotzbrocken sein, wenn du dem | |
Publikum richtig viel zumuten willst …“ | |
Jochimsens Arbeit ist schwer zu fassen, ein Balanceakt, der schwer in eine | |
bekannte Form und einen bekannten Begriff zu pressen ist. Jochimsen und | |
Bendiks machen etwas, auf das man nicht gefasst ist. Das war schon früher | |
so, als Jochimsen noch solo auftrat. Obwohl er von der Form her ein | |
astreiner Stand-up-Unterhalter war, war er doch völlig anders: Auf der | |
Bühne allein mit sich und einer E-Gitarre, Akkordeon und einem | |
zusammengeschusterten Schlagzeug. Seine Programme hießen „Friss, vögel oder | |
stirb“ und „Die Entkernung des Pudels“. Und es ging vor allem ums | |
Erwachsenwerden. Um sein Erwachsenwerden. Beispielsweise um das Drama, das | |
Kind von Alt-68ern zu sein. Im tiefsten Bayern wohlgemerkt. Gar nicht so | |
einfach, denn: „Papa und Mama hatte ich nie. Das waren Eberhard und | |
Renate.“ Und das heiß ersehnte Bonanza-Fahrrad gab es – wegen nicht | |
ausreichender Political Correctness – natürlich auch nicht. | |
Für Jess Jochimsens Programme gab es dafür den Württemberger | |
Kleinkunstpreis und später Zimmerschieds Scharfrichterbeil und den | |
deutschen Kabarettpreis. Und Auftritte im Scheibenwischer und eine Sendung | |
im WDR und Kolumnen hier und dort. Ihr neues Programm haben Jochimsen und | |
Bendiks Ende des vergangenen Jahres in der Münchner Lach- und | |
Schießgesellschaft vorgestellt. Da darf nicht jede hin. Ende März moderiert | |
Jochimsen vier Tage hintereinander den Quatsch Comedy Club im Berliner | |
Friedrichstadtpalast und gastiert danach mit „Das wird jetzt ein bisschen | |
wehtun“ bei den Wühlmäusen. | |
Eigentlich ist man mit solcher Präsenz in Deutschland ganz vorne gelandet, | |
in der ersten Reihe der Witze- und Kabarettmacher. Trotzdem erscheint Jess | |
Jochimsen in der breiten Öffentlichkeit weniger bekannt als Kollegen. Dabei | |
hat er keinerlei Berührungsängste: „Wir waren schon öfter im Quatsch Comedy | |
Club. Die lassen uns unser Ding machen und reden nicht drein.“ Jochimsen | |
haut also durchaus auf die große Trommel, wenn es sein muss. Trotzdem: Kein | |
Vergleich mit bekannten Kollegen wie Atze Schröder oder Ingo Appelt. Der | |
Grund ist vermutlich die Form seiner Programme: Eine Form, die sich | |
weigert, nur auf einer Fettschicht von alberner Oberflächlichkeit zu | |
schwimmen. | |
Jochimsen hat ein Faible für Qualität und ist ein geradezu verbissener | |
Stilist. Er liebt gute Texte, gute Musik und interessante Wörter. Immerhin | |
hat er schon im zarten Alter von 11 Jahren einen Lyrik-Reim-Wettbewerb | |
einer Sparkasse gewonnen. Mit einem Zweizeiler über Dagobert Duck. | |
Immerhin. Und immerhin hat er Politik, Germanistik und Philosophie | |
studiert. Das geht nicht spurlos an einem vorüber. Darum startet | |
beispielsweise das neue Programm, „Das wird jetzt ein bisschen weh tun“ mit | |
dem Herbstgedicht von Rilke: „Herr: es ist Zeit, der Sommer war sehr groß | |
…“ Das Publikum staunt ein wenig: Was soll denn das sein? Rilke ist | |
definitiv nichts für Comedyfreaks. Rilke ist auch nichts für Kabarettfans. | |
Wie die einen auf den ersten großen Lacher warten, warten die anderen auf | |
den großen Oberlehrerzeigefinger. Vergeblich. | |
Namen wie Merkel und Müntefering tauchen im neuen Programm, wenn überhaupt, | |
nur sehr am Rande auf. Die aktuelle Politik interessiert nicht. Es gibt aus | |
Jochimsens Sicht nichts dazu zu sagen. Nichts, was nicht schon lange und | |
ausführlich gesagt worden wäre. Jochimsen möchte der großen Politik nicht | |
mitteilen, wie sie zu sein hätte. Er guckt vielmehr, welche Auswirkungen | |
die große Politik auf das kleine Leben hat. Wie verändern sich Menschen, | |
wenn die Unsicherheit, wie die sich immer schneller ändernden Bedingungen | |
des Lebens zu bewältigen sind, größer werden? Wie haben sich die Menschen | |
dabei verändert? Welche Formen von Sinn- und Stillosigkeit dominieren uns? | |
Ist Nordic-Walking gesund oder Blödsinn? Muss man die Schuhe nach | |
Durchschreiten der Haustür aufgrund eines göttlichen Gebotes ausziehen? Ist | |
Passivrauchen wirklich eines der zentralen Probleme der Menschheit? | |
Das Publikum staunt schon wieder, besonders wenn sich Jochimsen und Bendiks | |
auf der Bühne eine anstecken und genießerisch den Rauch in den Raum blasen. | |
Dürfen die das? Darf man die mehr oder weniger stillschweigend vereinbarten | |
Codes politischer, gesundheitlicher, gesellschaftlicher Korrektheit einfach | |
so in Frage stellen? | |
Wenn es nach Jess Jochimsen ginge, darf man natürlich. Manchmal muss man | |
sogar – wie viele Säulen ewiger Wahrheiten hat man schließlich schon | |
bröckeln und jämmerlich in sich zusammenfallen gesehen? Schließlich hat ein | |
Mensch auch eigene Erfahrungen, die er in seinem eigenen Leben gemacht hat. | |
Und zu denen darf er stehen. Auch wenn er ein paar Jährchen jünger | |
aussieht, als er in Wirklichkeit ist. | |
23 Mar 2007 | |
## AUTOREN | |
ALBERT HEFELE | |
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