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# taz.de -- Mit Thälmann gegen die Bionadefront
> LEBEN Vor 25 Jahren wurde die Hochhaussiedlung Ernst-Thälmann-Park
> offiziell eingeweiht. Die Wohnungen waren heiß begehrt. Heute leben statt
> 4.000 lediglich noch 2.500 Menschen in dem grünen Viertel – ziemlich
> abgeschottet vom restlichen Prenzlauer Berg
VON MICHAEL SELLGER
So schön kann Sozialismus sein: Am Wegrand leuchten Forsythie und Löwenzahn
in euphorischem Gelb, auf den Wiesen sonnen sich Familien, wenige Meter
weiter blühen Rhododendron und Rosskastanie, überragt nur von mächtigen
Wohntürmen. Eine Rentnerin hat sich ein Sitzkissen mitgebracht, so wie
immer, wenn sie hier Halt macht. Eigentlich sei sie ja „von Weißensee
drüben“. Doch „hier ist es so schön ruhig und grün wie nirgends“, sagt…
und blättert weiter in ihrer Illustrierten.
Diese städtebauliche Pastorale in Prenzlauer Berg war das letzte große
Prestigeprojekt der siechen DDR, rechtzeitig fertiggestellt zur
750-Jahr-Feier Berlins 1987. Insgesamt 4.000 Menschen fanden an der
Greifswalder Straße Platz, die Wohnungen waren heiß begehrt. Einkaufen,
lernen, spazieren und schwimmen – nur zum Arbeiten mussten die glückseligen
Mieter noch raus ins rußige Restberlin.
Seitdem der Ernst Thälmann gewidmete (Wohn)park an dessen 100. Geburtstag
im April 1986 offiziell eingeweiht wurde, ist rundherum ein
Vierteljahrhundert vergangen. Prenzlauer Berg ist durchsaniert, weitgehend
wohlhabend und klischeebeladen. Der Thälmann-Park aber wurde zu großen
Teilen konserviert.
Die 50 Tonnen schwere Statue des Arbeiterführers droht noch immer mit der
Faust, an seinem Revers haftet Taubendreck. Auf dem Sockel tänzelt ein
Mädchen unter dem Gelächter ihrer Freundinnen und zertritt dabei welke
Geburtstagsblumen. Geschaffen hat die Bronzeorgie der Russe Lew Kerbel, der
auch den Karl-Marx-Nischel in Chemnitz gehauen hat. Beide Monumente eint
neben ihrer derben Ästhetik die Haaresbreite, mit der sie nach 1990 einer
weltanschaulichen Flurbereinigung entgingen.
## Alle Wohnungen belegt
Heute leben nur noch 2.500 Menschen im Thälmann-Park, Leerstand gibt es
allerdings keinen. „Früher wohnte man in 60 Quadratmetern zu dritt oder
viert und heute zu zweit oder gern auch allein“, sagt Volker Hartig von der
Wohnungsgesellschaft Gewobag, der die Häuser gehören. Wer hier lebt, ist im
Durchschnitt älter und häufiger auf Sozialleistungen angewiesen als im
übrigen Prenzlauer Berg. Rauskommen ist nun so schwer wie damals
reinkommen.
Manuela will ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen, ebenso wenig
wie Emilia und Birgit, mit denen sie vor einem Kiosk sitzt. „Ich würde
nicht wollen, dass meine Kinder hier aufwachsen müssen“, sagt Manuela, die
seit drei Jahren im Ernst-Thälmann-Park wohnt. Mag die Polizeistatistik für
Prenzlauer Berg vielfach niedrigere Verbrechensraten ausweisen als für das
benachbarte Mitte, sie fühlt sich bedroht: „Wenn’s dunkel wird, ist man
nicht mehr sicher.“ Neben ihr sitzt Birgit, die zu wissen glaubt, woran das
liegt: „Zu viel Multikulti hier“, sagt sie und streichelt ihren weißen
Terrier. Dabei ist man im Park unter sich geblieben, nur jeder Zehnte hat
einen Migrationshintergrund, der Ausländeranteil ist halb so hoch wie im
Berliner Schnitt.
Emilia ist kurz nach der Wende hierhergezogen, eher sei nicht möglich
gewesen: „Wer hier zu Zonenzeiten wohnen durfte, der war mindestens in der
Partei oder bei der Stasi“, behauptet sie, Belege dafür hat sie keine. „Ich
habe meine Wohnung nur bekommen, weil die nicht mehr hierbleiben wollten.“
Sie rufen Heinz herbei, er ist einer von den 25 Prozent, die von Anfang an
hier leben. „Heinz, warst du bei der Stasi?“, grölt Manuela. „Nee, das w…
alles Arbeiterviertel hier.“ Der 61-Jährige sagt, er habe lange in einem
unsanierten Altbau mit so niedrigen Decken gewohnt, dass er nicht aufrecht
stehen konnte. „Ich bin am 14. August 1984 eingezogen“, sagt er und zeigt
auf den Plattenbau hinter sich, der eines der ersten fertiggestellten
Wohngebäude war – lange vor der offiziellen Einweihung waren viele Wohnung
bezugsbereit. „Viele Jahre war alles gut, aber jetzt sind hier so viele auf
Hartz IV, und unten am Ententeich wird mit Drogen gehandelt.“
Der Ententeich ist ein künstlicher See am Rande des Parks,
Landschaftsplaner legten ihn einst an, um dem Lärm von der vier- bis
sechsspurigen Greifswalder Straße und der ebenso viel befahrenen Danziger
Straße jenseits der Büsche ein bisschen Idylle entgegenzusetzen. Früher
soll es im Park auch Hasen gegeben haben, doch irgendwann kamen Hunde in
Mode. Die Hasen verschwanden. Wenn man so will, ist der Ernst-Thälmann-Park
zumindest in dieser Hinsicht gentrifiziert worden.
Ansonsten muss sich vorerst niemand vor Bioläden und Waldorfschulen
fürchten; die inzwischen schon berüchtigten schwäbischen Mütter aus den
umliegenden Kiezen führen hier höchstens ihre Hunde aus oder lassen ihre
Kinder in einer Tagesstätte hüten. Allerdings sprießt an der Danziger
Straße etwas aus dem Boden, das man in der Dialektik wohl als
architektonischen Antagonismus bezeichnen würde: Arbeiterklassenplatte
kontra Luxustownhouses. Die Investoren Asset Berlin und Reggeborgh bauen
auf etwa 6.300 Quadratmetern einen sichelförmigen Eigenheimkomplex für 87
Parteien, in einem Jahr soll er bezugsfertig sein. „Zuhause am Danziger
Park“ – bei dem es sich um einen winzigen Grünstreifen handelt – ist das
Projekt auf seiner Internetpräsenz untertitelt, der Thälmann-Park wird nur
einmal auf einer Umgebungskarte genannt und ansonsten ignoriert.
Neben Fußbodenheizung, Einzelstabparkett und Garten ist der umzäunte
Privatpark ein weiterer Vorzug des Prenzlauer Bogen genannten Mammutbaus.
Auf telefonische Anfrage teilt Asset Berlin mit, man würde den Park zwar
„umhecken, umzäunen und mit einem Pförtnerhaus ausstatten“. Als gated
community – eine von der Umgebung abgeschlossene Wohneinheit – sei er aber
nicht geplant.
Gated war die Wohnanlage Ernst-Thälmann-Park nie, obschon sie von außen
betrachtet wenig einladend wirkt. Das liegt nicht nur am faustschwingenden
Thälmann. Bis heute ist die sozialistische Mustersiedlung teilweise
ummauert, die in den Park führenden Eingänge sind mit Verbotssalven
beschildert: Hunde an die Leine, grillen verboten, rauchen auch, Enten
nicht füttern und Betreten auf eigene Gefahr.
Einst war der Park als Stadt in der Stadt geplant, es gab
Lebensmittelgeschäfte, einen Fleischer und einen Buchladen. In den
einstigen „Konsum“ ist inzwischen ein Architekturbüro eingezogen, das läs…
sich als Spott deuten oder als Reverenz. Robert Burghardt will gar nicht
deuten und sagt: „Die Räume sind toll, die Miete ist moderat.“ Der
31-jährige Architekt hat vor einem Jahr für seine Diplomarbeit einen
Gegenentwurf zum Berliner Stadtschloss konzipiert und ein gewaltiges
Denkmal der modernen Architektur entworfen. Dass Plattenbauten immer nur
mit Arbeiter-und-Bauern-Tristesse assoziiert werden, lehnt er ab: „Die
Großtafelbauweise war eine Folge der Wohnungsnot. Man wollte Baukosten
senken und Platz für möglichst viele Menschen schaffen.“
## Kommunikative Elemente
Allerdings seien die überdimensionierten Großsiedlungen der
Nachkriegsmoderne bedenklich. Weil das auf den eher klein geratenen
Ernst-Thälmann-Park nicht zutrifft, lobt Burghardt das Ambiente der Anlage
und die Gebäude, die „für Ostbauten gar nicht so schlecht“ seien. Er scha…
hoch zum benachbarten Wohnturm, nimmt die Arme hinter den Rücken und
doziert über „kommunikative Elemente“, „über Eck liegende Räume“ und
dadurch „eingesparte Tragwände“. Das alles sei „vielleicht ein etwas
vulgärer Funktionalismus 1.0“ – er selbst plädiert als Architekt schon eh…
für „einen reformierten Funktionalismus 2.0“.
Chefarchitekt des Ernst-Thälmann-Parks war Erhardt Gißke, der für das
sozialistische Berlin etwa so bedeutend war wie Schinkel für das
preußische. Unter seiner Leitung entstanden der Friedrichstadtpalast, das
Bettenhaus der Charité und der Palast der Republik. Wie so oft musste für
ein stadtplanerisches Renommierstück hektarweise altes Berlin weichen: Auf
dem Gelände der späteren Wohnanlage stand bis Anfang der 80er Jahre das
älteste Gaswerk der Stadt, in dem die gefräßigsten Koksöfen des Landes
ganze Güterzüge voll Kohle verschlangen. 1981 wurde das Werk stillgelegt,
kurz danach zerlegt oder gesprengt.
Die drei Gasometer – schon von fernher sichtbare, wuchtige
Backsteinzylinder – sollten eigentlich erhalten bleiben und sich mit dem
Park versöhnen. Bis heute ist ungeklärt, wer den Abriss 1984 durchsetzte.
Manche vermuten dahinter den um die Wirkung seines Monumentes besorgten Lew
Kerbel, andere den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker und dessen
architektonische Präferenzen. Damals gab es lautstarke Proteste gegen den
Abriss, genützt haben sie nichts.
Das Tempo, in dem Gißke mit Blick auf den 100. Geburtstag Thälmanns bauen
ließ, war atemberaubend: Schon drei Jahre nach Stilllegung des Gaswerkes
bezogen die ersten Mieter ihre Platte, unter ihnen auch Heinz, der dann
endlich aufrecht stehen konnte. Anderthalb Jahre später war die letzte
Wohnung fertiggestellt. Doch diese Rasanz hatten Folgen: So gründlich die
industriegeschichtlichen Spuren über der Erde getilgt wurden, der Boden
selbst ist gezeichnet von der fast ein Jahrhundert währenden Gasproduktion
und einer fahrlässigen Neubebauung, wie sie typisch war für die in
Umweltfragen sorglose DDR. Chemikalienstrotzende Rohre und Sammelbecken
wurden zusammen mit kontaminiertem Bauschutt kurzerhand verscharrt. Als
könnte das vergiftete Erdreich damit vergessen gemacht werden, wurde für
jeden der 4.000 Bewohner ein Baum gepflanzt.
## Altlasten ohne Ende
Kurz nach der Wende beschwerten sich immer mehr Menschen über den Gestank,
der aus dem Boden aufstieg. Wie zu erwarten war, führten Boden- und
Grundwasseruntersuchungen zu erschreckenden Resultaten: Überall auf dem
Gelände lagerten Phenole, Benzol, Ammonium und Cyanide unter der
Oberfläche. Laut Matthias Gille, Sprecher der Senatsverwaltung für
Stadtentwicklung, dauern die Sanierungsarbeiten bis heute an. Seit 2004
filtert eine Reinigungsanlage das Grundwasser, allein in den ersten sechs
Jahren wurden fünf Tonnen Schadstoffe geborgen und 11 Millionen Euro
investiert.
Altlasten birgt nicht nur der Boden. Gerhard glaubt, dass der Park
verwahrlost, verlottert und verroht, Beispiele kann er genügend nennen: die
Falschfahrer auf den Radwegen, die „Graffiti bei Thälmann“ und die „viel…
Köter“. Gerhard ist 70 Jahre alt, er trägt eine Sonnenbrille und weigert
sich, seinen restlichen Namen zu nennen. Wenn sich Leute nähern, schweigt
er, bis sie vorüber sind, dann spricht er mutig weiter. Neulich sei er zum
ersten Mal nach vielen Jahren zum Gesundbrunnen in den Wedding gefahren.
„Eine andere Welt war das“, sagt Gerhard so empört, dass klar ist, dass ihm
diese andere Welt nicht gefällt.
Seit 25 Jahren wohnt er hier, 103 Quadratmeter für 750 Euro. Es habe sich
viel verändert, meint Gerhard, und deutet auf die braunen Herbstblätter und
Kiefernnadeln am Wegrand: „Hat’s früher nicht gegeben“. Eins bleibe aber:
„Wenigstens meine Ruhe hab ich hier noch.“
27 Apr 2011
## AUTOREN
Michael Sellger
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