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# taz.de -- Eine Art utopisches Afrika
> SCHREBERN Unbedingt auf die rote Linie achten: Kunst in der
> Kleingartenkolonie am Gleisdreieck
Hat der Wettergott womöglich Gefallen an „Stay Hungry“ gefunden? Obwohl er
ein paar Regenschauer vorbeischicken will, soll er die Temperaturen in den
nächsten Tagen doch mächtig in die Höhe schrauben. Und das ist gut so,
möchte man mit Berlin Regierendem Bürgermeister sagen. Denn „Stay Hungry“
ist eine Kunstausstellung im Freien, genauer gesagt: in der
Kleingartenkolonie am Gleisdreieck. Damit haben die beiden Kuratoren, Theo
Iigthart und Anna Redeker, endlich die Quintessenz des ortsspezifischen
Kunstprojekts in Berlin realisiert.
Alte Fabriken, Lagerhallen und Schulen finden sich ja überall, aber
Schrebergärten? Die gibt’s doch nur in Berlin. Okay, das ist jetzt
übertrieben. Aber einen Schrebergarten wie den am Gleisdreieck, den gibt es
nun wirklich nur hier. Und das gilt auch für den Kleingartenverein, seinen
Vorsitzenden und seine Mitglieder, die seit Jahresbeginn mit dabei sind bei
dem Ausstellungsexperiment. Vier Previews gab es vor der finalen
Hauptausstellung jetzt. Wer sich während der Berlinale für das „Forum
Expanded“ interessierte, kennt den Ort möglicherweise bereits.
Doch gerade wer damals schon hier war, wird sich wundern, wie wild
romantisch die Anlage im Frühling zugewachsen ist. 20 Arbeiten von 23
KünstlerInnen sind über das weitläufige Areal verstreut. Jochen Arbeit von
den Einstürzenden Neubauten hat gemeinsam mit dem „retired Artist,
Objektor, Toxikologen“ Hopek Quirin eine Soundarbeit eingerichtet. Sie
findet sich in der Nähe der unübersehbaren „Kush Kolumn“, die der Londoner
Künstler Satch Hoyt aus bunten Plastikeimern aufgetürmt hat. Sie zitieren
Brancusis endlose Säule und haben die panafrikanischen Farben Rot, Gelb und
Grün – die afrikanische Diaspora in ihren vielfältigen Kontexten ist das
zentrale Thema des Künstlers.
Sein Thema scheint der Kleingartenkolonie gar nicht so fremd zu sein,
insofern sie für ihre Bewohner doch selbst eine Art utopisches Afrika
darstellt, als kleines Naturparadies, das sich zur Stadt sehr exotisch
ausnimmt. An das Bemühen, die Lebensbedingungen in der Stadt zu
modifizieren und ideal zu modellieren, knüpft Stephen Willats Videoarbeit
„Workers Paradise“ an, in dem er in Essen den Arbeiterwohnungsbau zu Beginn
und am Ende des 20. Jahrhunderts unter die Lupe nahm.
Unbedingt sollte man nach der roten Linie Ausschau halten, die Agathe de
Bailliencourt unter die Bahngleise der U 2 gelegt hat. Denn der simple
Farbanstrich der Natur korrespondiert auf erhellende Weise mit der
spektakulären urbanen Architektur der Umgebung, vor allem der
Hochbahnkonstruktion, die derzeit auf verwunschene Weise verlassen dasteht,
nur in regelmäßigen Abständen melancholisch von Strahlern erleuchtet. Auch
das ist ein Moment, das den Kunstrundgang besonders macht: Er wird erst um
20 Uhr eröffnet und zieht sich dann in die Nacht hinein, damit auch die
Lichtkunstwerke zur Geltung kommen, wie etwa die Leuchtschrift von David
Levine, der damit das „NO Manifesto“ der Choreografin und Künstlerin Yvonne
Rainer ins Positive korrigiert. „No to spectacle“ hieß es bei ihr oder „…
to transformations and magic and make-believe“.
Magisch bis phantasmagorisch erscheint die Kleingartenkolonie gewiss, und
wie so oft bei ortsspezifischer Kunst ist es für die Arbeiten oft schwer,
sich gegen die unbekannte, abenteuerliche Umgebung zu behaupten. Klug
agieren da die KünstlerInnen, die in ihrer Arbeit die Schrebergartenanlage
selbstreflexiv thematisieren wie Stella Geppert: Sie stellt Fotografien
aus, die sie in den Gärten aufgenommen hat.
BRIGITTE WERNEBURG
■ Bis 29. Mai, Stay Hungry, Kleingartenkolonie am Gleisdreieck. Bülowstraße
68, Ecke Dennewitzstraße, täglich ab 20 Uhr
20 May 2011
## AUTOREN
BRIGITTE WERNEBURG
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