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# taz.de -- Mitschnacker aus dem Jenseits
> Unschuld im heterosexuell-puritanischen Sinne: Daniel Karasek inszeniert
> mit Benjamin Brittens „The Turn of the Screw“ von 1954 seine erste Oper
> am Opernhaus Kiel
Hamburgs Generalmusikdirektorin Simone Young will ihre Serie neuer
Inszenierungen 2013 zu Ende gebracht haben – da jährt sich die Geburt des
Komponisten Benjamin Britten zum 100. Mal. Andererseits mag sich manche der
zahlreichen Inszenierungen in der 40. Wiederkehr seines Todes im Jahr 1976
begründen. In Kiel nun, wo am Sonntag Daniel Karaseks Bearbeitung von „The
Turn of the Screw“ Premiere hatte, deutet wenig auf solche Orientierung hin
– zu sehr liegt dieser Termin doch zwischen den biografischen Anlässen. Gut
so: Um wie viel interessanter sollte doch eine Befassung mit diesem 1954
uraufgeführten Stück werden können, der es um Stoff und Bearbeitung geht –
statt um Lebensdaten.
Thematisch steckt so einiges in Brittens Bearbeitung von Henry James‘
viktorianischer Geistergeschichte um die redliche Gouvernante, die in einem
Landhaus zwei Waisenkindern Erziehung und Liebe zukommen lassen soll. Wie
da die Geister zweier verstorbener Angestellter – des Hausdieners Peter
Quint und der Gouvernante Miss Jessel – ihren scheinbar verderbten Einfluss
auf die beiden Kinder gewinnen, das ist eben nicht zuletzt als symbolhaft
für sexuelles Erwachen und tadeliges Begehren verstanden worden. „In der
Auseinandersetzung zwischen der Gouvernante und den Geistern der
Verstorbenen erleben die jungen Menschen den Konflikt zwischen Dürfen und
Sollen“, hatte auch Kiels Generalintendant Karasek seiner ersten
Operninszenierung vorausgeschickt. „Ohne dass es die jungen Menschen
wissen, handelt es sich um das Eingeständnis zu einer
gleichgeschlechtlichen Neigung.“
1954 so problematisch wie heute dürfte das besondere Interesse aufgenommen
worden sein, das Britten da dem Knabenverderber Peter Quint gewidmet hat:
Ihn hat er musikalisch so charakterisiert, dass, so er den ruhelosen
Untoten überhaupt als „Gespenst“ sah, er doch eher den libidinösen Träum…
des Jungen Miles entspränge als den angstbesetzten Albträumen der
Gouvernante. Ihr Kampf um die ihr anvertrauten Kinder gilt so wohl nur
mittelbar deren Seelenheil, und viel mehr in einem
heterosexuell-puritanischen Sinne ihrer Unschuld selbst.
Bei aller Überzeugungskraft dieser Kammeroper: Einer echten Identifikation
mit dem Mitschnacker aus dem Jenseits stand am Premierenabend in Kiel
entgegen, dass die tragende Rolle Peter Quints geradezu surreal aufgeteilt
werden musste: Ensemble-Mitglied Johannes An war kurzfristig erkrankt und
konnte zwar spielen, aber nicht singen. Das machte dann der noch viel
kurzfristiger eingesprungene, mit der Rolle aber vertraute Finnur
Bjarnason.
ALEXANDER DIEHL
nächste Vorstellungen: 5. + 23. 5., 20 Uhr, Opernhaus Kiel (in englischer
Sprache)
2 May 2007
## AUTOREN
ALEXANDER DIEHL
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