# taz.de -- Im Menschenpark | |
> Hagenbecks Tierpark war der erste Zoo, der eine Illusion von | |
> Naturlandschaften vermittelte und ohne Gitter auskam. Es war aber auch | |
> der Ort, an dem Hagenbeck in kolonialer Tradition seine „Völkerschauen“ | |
> zeigte. Am Montag wird der Tierpark 100 Jahre alt. Eine kritische | |
> Würdigung | |
von UTZ ANHALT | |
Tags darauf erlöste ein sanfter Tod Carl Hagenbeck. Der Tote wurde in einem | |
Metallsarg aufgebahrt und – dies war Hagenbecks letzter Wunsch – auf einen | |
schlichten Blockwagen gehoben und durch den Tierpark gezogen. Vorbei am | |
Löwengehege, an der Völkerschau-Arena, der Dressurhalle, den vom | |
Tierbildhauer Josef Pallenberg geschaffenen lebensgroßen Sauriern. | |
Als Tierhändler hatte Hagenbeck begonnen. Als er 1907, mit 62 Jahren, | |
seinen Tierpark in Hamburg-Stellingen eröffnete, besaß er das größte | |
Tierhandelsunternehmen seiner Zeit. Hagenbeck profitierte von der Eroberung | |
der Welt im Kolonialismus, seine Tierfänger reisten über den ganzen Globus | |
und führten viele Tierarten in Europa ein. Hagenbeck gelang es, etliche von | |
ihnen in Gefangenschaft zu züchten. In seinen „sanften Dressuren“ wurden | |
Raubtiere nicht als Bestien, sondern als Freunde präsentiert. | |
„Tiere“, schreibt Carl Hagenbeck, „sind Wesen wie wir selbst, und ihre | |
Intelligenz ist nicht der Art, sondern nur dem Grade und der Stärke nach | |
von der unsrigen verschieden. Sie reagieren auf Bosheit mit Bosheit und auf | |
Freundschaft mit Freundschaft.“ | |
Doch Hagenbeck beließ es nicht bei den Tieren. Anders als frühere | |
Zoodirektoren, die aus dem reichen Bürgertum oder dem akademischen Milieu | |
kamen, war er unter Marktschreiern aufgewachsen, die „menschenfresserische | |
Wilde“ genauso anpriesen wie „Rieseneisbären“, die „Meerweibchen“ au… | |
und Fischen zusammen nähten. Der Gedanke lag in der Luft, neben den Tieren | |
auch Menschen zu präsentieren. „Der Zoologische Garten unserer Stadt | |
veranstaltete in jedem Jahre während der Sommermonate eine Menschenschau“, | |
erinnert sich der Hamburger Schriftsteller Hans Hennry Jahn in „Fluss ohne | |
Ufer“. „Diese sehenswerten Menschen wurden hinter Barrieren in einer | |
künstlichen Landschaft mit nachgebildeten Dörfern oder Hütten, um ein | |
natürliches Dasein in ihrer Heimat vorzutäuschen, untergebracht.“ | |
Just an jenem Tag heiratet, groß verkündet in den Zeitungen, Häuptling | |
Hersi Egeh Gorseh „nach afrikanischer Sitte ein Mädchen vom Stamme der Isa, | |
nachm. 5 Uhr, Entree 50 Pf., Kinder die Hälfte“. Es ist des Häuptlinges | |
vierte Gattin, Das „Fremdenblatt“ weiß zu berichten, dass die 18-Jährige | |
vor 17 Jahren Hersi Egeh als Sühneopfer für den Tod seines Bruders | |
dargeboten wurde. „Hoffentlich waltet über dem jungen Bund ein freundlicher | |
Stern“, wünscht die Zeitung und verkündet, dass in der vorangegangenen | |
Nacht im Äthiopierdorf in Stellingen die glückliche Geburt eines gesunden | |
strammen Knaben erfolgt sei. | |
Bereits 1874 hatte Hagenbeck seine erste Völkerschau veranstaltet: Sie | |
zeigte Lappländer zusammen mit einer Rentierherde. 1878 führte Hagenbeck | |
Eskimos im Berliner Zoologischen Garten vor, 1883 feierte er große Erfolge | |
mit einer Kalmücken-Schau. 1908, ein Jahr nach Eröffnung des Tierparks in | |
Hamburg, traten dort Somalier mit ihren Kamelen auf, 1910 kamen | |
Sioux-Indianer und einige Cowboys. Diese Schau brach mit mehr als einer | |
Million Zuschauern alle Besucherrekorde. | |
Die Völkerschauen gelten Kritikern heute als Inbegriff rassistischer | |
Präsentationen, in denen Menschen mit Tieren gleichgesetzt worden seien. | |
Alexander Sokolowsky, Hagenbecks Assistent, war ein Schüler Ernst Haeckels | |
und konstruierte wie dieser Hierarchien zwischen den „Menschenrassen“. | |
Sokolowsky stellte „Naturvölkern“ die „Kulturvölker“ gegenüber. Tats… | |
lässt sich Aufklärung aus Shows wie „Wildes Afrika“ oder „Somali führen | |
Zebras“ kaum ableiten. Hagenbeck selbst brachte die | |
Überlegenheitsvorstellung auf den Punkt: „Wo seid ihr geblieben, ihr Söhne | |
der Prärien, die ihr euch meiner Führung in das Land der Weißen | |
anvertrautet, die euch anstaunten wie Wundertiere?“, schrieb er im | |
Bestseller „Von Tieren und Menschen“. | |
Der „weiße Mann“ führte die Exoten, das (weiße) Publikum betrachtete sie | |
wie wundersame Tiermenschen – im Zoo, in dem Tiergehege und Völkerschauen | |
allerdings getrennt waren. Hagenbecks Völkerschauen bedienten ein in | |
Deutschland verbreitetes Klischee des von der Zivilisation unberührten | |
„edlen Naturmenschen“, das allerdings schnell in Aggression umschlagen | |
konnte, wenn die Realität der Anderen die eigenen Sehnsüchte nicht | |
erfüllte. Als 1885 Bella-Coola-Indianer von der kanadischen Nordwest-Küste | |
bei einer Schau reale Kleidung und keinen Federschmuck oder Bisonfelle | |
trugen, empörten sich die Besucher, das seien ja keine richtigen Indianer. | |
Noch 2005 geriet der Augsburger Zoo mit seinem „African Village“ in die | |
Schlagzeilen, weil schwarze Deutsche, Menschenrechtler und Ethnologen sich | |
an eine Völkerschau im Kolonialstil erinnert fühlten. Auslöser des | |
Protestes war eine Aussage der Direktorin, die eine Nachfrage mit den | |
Worten abgewiesen hatte, „der Zoo Augsburg wäre die richtige Atmosphäre, um | |
Exotik zu vermitteln“. | |
Anders als Sokolowsky, der mit den Völkerschauen expizit den Kolonialismus | |
fördern wollte, ging es Hagenbeck freilich vor allem ums Geschäft. Sein | |
Erfolg beruhte darauf, dass er den Schein des Echten erzeugte – mit seinen | |
Menschenschauen genauso wie mit seinen Tieren. Es ist kein Zufall, dass | |
Angestellte von ihm zu den ersten Dokumentarfilmern gehörten. Hagenbeck war | |
der erste Zoodirektor, der seine Tiere ohne Gitterstäbe präsentierte, nur | |
durch Gräben vom Publikum getrennt. Mit so genannten „Panoramen“, die er | |
sich schon Jahre zuvor hatte patentieren lassen, erzeugte er die Illusion, | |
sich je nach Tieren in einer afrikanischen oder auch polaren Landschaft zu | |
bewegen. Dass die Tiere in Wirklichkeit getrennt voneinander waren, | |
bemerkten die Zuschauer erst, wenn sie sich näherten. | |
Diese Felsengebirge mit aufragenden Spitzen, die Grotten und Schluchten, | |
die scheinbar stufenlos ineinander übergehenden Terrains müssen bei dem | |
Betrachter einen tiefen Eindruck hinterlassen haben, wie aus allen | |
zeitgenössischen Beschreibungen hervorgeht. So heißt es in einem Beitrag im | |
Zoologischen Beobachter: „Es ist nicht zu leugnen, dass vieleicht etwas | |
Theatralisches in dieser ganzen Vorführung liegt. Aber etwas | |
Außergewöhnliches, Gigantisches hat man doch gesehen, wenn man Stellingen | |
verlässt.“ | |
Hagenbecks Konzept machte Schule, so genannte „Erlebniswelten“ dürfen heute | |
in keinem Zoo fehlen. Kommerziell erfolgreich ist etwa der Zoo Hannover, | |
der mit dem „Dschungelpalast mit Elefantenbrunnen“ und „Kaffee am Sambesi… | |
eine falsche Authentizität vermarktet. Die Familie Hagenbeck dagegen | |
versucht heute, sich mit ihrer Geschichte kritisch auseinanderzusetzen. | |
Der Autor hat 2007 an der Uni Hannover über „Tiere und Menschen als Exoten | |
– Die Exotisierung des ‚Anderen‘ in der Gründungs- und Entwicklungsphase | |
der Zoos“ promoviert. Die kursiven Textstellen stammen aus: Haug von | |
Kuenheim, „Carl Hagenbeck“, Ellert & Richter Verlag | |
3 May 2007 | |
## AUTOREN | |
UTZ ANHALT | |
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