# taz.de -- „Es ist auch eine Friedenstat“ | |
> VORTRAG Wehrmachtsdeserteur Ludwig Baumann spricht über aufzuarbeitende | |
> Rechtsgeschichte | |
taz: Herr Baumann, worüber sprechen Sie heute Abend? | |
Ludwig Baumann: Über mein Schicksal und über das der anderen | |
Wehrmachtsdeserteure. 1990 gründeten wir die Bundesvereinigung „Opfer der | |
NS-Militärjustiz“. Wir waren mal mehr als 200, heute bin ich der einzige, | |
der damals als Kriegsverräter zum Tode verurteilt wurde und immer noch | |
lebt. Um uns geht es – aber auch um ein Stück Hamburger Rechtsgeschichte im | |
„Dritten Reich“, über das es nur wenig Aufklärung gibt. | |
Wie erging es Ihnen nach Kriegsende? | |
Ich war so traumatisiert, dass ich nicht anders konnte, als mich an die | |
Öffentlichkeit zu wenden. Besonders nachdem ich von einem Kameraden der | |
Wehrmacht zusammengeschlagen wurde, wollte ich Anzeige erstatten. Im | |
Chilehaus, in Hamburg, wo ich anschließend auch verprügelt wurde. Das waren | |
mit Sicherheit ehemalige Soldaten. Nicht einer von ihnen ist dafür belangt | |
worden. | |
Und dann? | |
Ich habe dann angefangen zu trinken, dadurch konnte ich vieles verdrängen. | |
Als ich dann nach Bremen kam, habe ich meine Frau kennen gelernt. Wir | |
mochten uns, aber ich habe weiter getrunken, bis sie bei der Geburt unseres | |
sechsten Kindes starb. Das war 1966, da kam der Wendepunkt, denn ich musste | |
Verantwortung übernehmen: für die Kinder und für mich. | |
Erst 2009 wurden „Kriegsverräter“ rehabilitiert. | |
Unser Gesetzentwurf wurde immer wieder gekippt. 2002, als SPD und Grüne | |
zusammen regierten, wurden sämtliche Urteile gegen Wehrmachtsdeserteure vom | |
Bundestag pauschal aufgehoben – aber noch nicht die Urteile wegen | |
Kriegsverrats. Unser langer Kampf war auch deshalb so schwierig, weil er | |
immer auch einen Bezug zur Gegenwart hat: Die Moral der Bundeswehr würde | |
durch uns untergraben. | |
Wie gehen Sie heute mit Ihrer Vergangenheit um? | |
Im Alter kommen meine Erinnerungen traumatischer wieder hoch. Das passiert | |
meist nachts, da bin ich machtlos. Es sind Träume, in denen ich mit meinem | |
Freund Kurt Oldenburg desertiere. Noch heute frage ich mich: Kann man | |
Besseres tun, als den Krieg zu verraten? Kriegsverrat ist auch immer eine | |
Friedenstat. | |
Kämpfen Sie immer noch? | |
Würde ich es nicht tun, wäre ich vielleicht nicht mehr am Leben. Der größte | |
Erfolg ist wohl das geplante Deserteurdenkmal am Dammtordamm. Zum ersten | |
Mal wird unser Schicksal anerkannt. INTERVIEW: TGL | |
16.15 Uhr, Uni-Hauptgebäude, Edmund-Siemers-Allee 1 | |
15 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
TGL | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |