| # taz.de -- Nicht suchen, nichts finden | |
| > KRIMINALITÄT Stuttgart ist eine deutsche Hochburg der Mafia – und | |
| > Schauplatz eines gigantischen Bauprojekts. Anmerkungen aus italienischer | |
| > Perspektive | |
| Wenn es wie bei Stuttgart 21 um Großprojekte des Städtebaus geht, denkt in | |
| Italien jeder zuallererst an die Begierde, die diese bei den Clans | |
| auslösen. Öffentliche Aufträge sind ein Haupterwerbszweig der Mafia, nicht | |
| nur in Sizilien und Kalabrien, sondern zunehmend auch in Norditalien – wo | |
| zuletzt in Mailand die Expo 2015 für Aufregung sorgte. | |
| Bei den Aufträgen für die Expo mit einem zu erwartenden Umsatz von 44 | |
| Milliarden Euro macht die Mafia das große Geschäft. Ein Bericht der | |
| Mailänder Finanzpolizei stellte fest, dass die Bauindustrie die Branche | |
| sei, die in Mailand am häufigsten von der Mafia – insbesondere der | |
| kalabresischen ’Ndrangheta – unterwandert sei. | |
| ## Doch nicht bei uns! | |
| Warum geht bei Stuttgart 21 niemand der Frage nach, ob nicht auch dort die | |
| Clans verdienen? Immerhin gilt Baden-Württemberg seit vierzig Jahren als | |
| eine Hochburg der Mafia in Deutschland. Es gibt viele Parallelen zwischen | |
| Norditalien und Deutschland, zwischen Stuttgart und Mailand, zwischen den | |
| Megaprojekten Stuttgart 21 und Expo 2015 – vor allem im Hinblick auf die | |
| Ignoranz: Sowohl in Norditalien als auch in Deutschland gibt man sich | |
| überzeugt, die Mafia sei ausschließlich ein Problem des rückständigen | |
| Süditaliens, der arbeitsame und aufrichtige Norden sei vor einer solchen | |
| Gefahr gefeit. | |
| Der baden-württembergische Innenminister Heribert Rech (CDU) wiegelte | |
| bereits im Jahr 2008 ab, als einige SPD-Abgeordnete im Landtag eine Anfrage | |
| zur Präsenz der Mafia in Baden-Württemberg stellten. Auch die Frage, ob die | |
| Aussagen italienischer Kollegen zuträfen, denen zufolge ein gewisser „M. | |
| L.“ in Baden-Württemberg tätig sei, wurde abschlägig beschieden. Man wagte | |
| nur, die Initialen des Gastronomen zu nennen, obwohl die damalige | |
| Freundschaft des ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten | |
| Günther Oettinger zu dem Kalabrier bereits umfangreich dokumentiert wurde. | |
| Dessen Pizzeria in Stuttgart-Weilimdorf war die Stammgaststätte mancher | |
| CDU-Prominenter. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hatte gegen den | |
| kalabrischen Gastronomen erfolglos wegen Geldwäsche und Drogenhandels | |
| ermittelt. Er wurde wegen Steuerhinterziehung in Arrest genommen und musste | |
| nach einer Kautionszahlung von 2 Millionen Mark auf freien Fuß gesetzt | |
| werden. Später wurde er zu einer Bewährungsstrafe, der Rückzahlung der | |
| Steuerschuld und zu einer Geldstrafe von 250.000 Mark verurteilt. | |
| Inzwischen hat ein kalabrisches Gericht „M. L.“ mangels Beweisen vom | |
| Vorwurf der Mafiazugehörigkeit freigesprochen. Er feiere in Stuttgart | |
| wieder rauschende Feste und sei nach seinem Freispruch im Clan sogar | |
| aufgestiegen, bemerkte der BKA in seinem vertraulichen „VS-Bericht“ (nur | |
| für den internen Dienstgebrauch) über die ’Ndrangheta in Deutschland. Der | |
| Gastwirt bestreitet den Verdacht der Mafiazugehörigkeit. | |
| ## Nur für den Dienstgebrauch | |
| Günther Oettinger wurde zwischenzeitlich EU-Kommissar für Energie. Als | |
| Oettinger nach Brüssel umzog, verabschiedete ihn ein weiterer italienischer | |
| Gastronom mit den von der Bild-Zeitung zitierten Worten: „Schade, ein | |
| Freund geht.“ Dieser Gastronom wird im BKA-Bericht als Vertrauter von | |
| Oettingers kalabrischem Exfreund aufgeführt. „Kriminalpolizeilich“ sei | |
| dieser Gastronom noch nicht in Erscheinung getreten, vermerkt das BKA. Für | |
| Oettinger wie für viele andere bleibt Stuttgart 21 ein – auch was mögliche | |
| krimnielle Unterwanderung angeht – unhinterfragtes „Muss“, dies umso mehr, | |
| als er den Bahnhof nunmehr von höherer Warte aus betrachtet: „Ich glaube | |
| aus der europäischen Betrachtung, dass für Baden-Württemberg diese Maßnahme | |
| ein ganz klarer Vorteil ist.“ | |
| Doch hat eben auch die Mafia ein Interesse daran, dass Baden-Württemberg | |
| „dabei“ ist. Wie in Norditalien auch, kamen die Mafiaclans bereits in den | |
| sechziger Jahren nach Baden-Württemberg, im Gefolge der „Gastarbeiter“. | |
| Traditionell herrschen in Stuttgart und Umgebung vor allem zwei Clans der | |
| kalabrischen ’Ndrangheta, die der Farao und der Greco – die aus winzigen | |
| Dörfern in der Provinz Catanzaro stammen, aus Cirò, Cariati, Mandatoriccio. | |
| Sie haben Orte wie Stuttgart, Waiblingen, Ludwigsburg, Esslingen und | |
| Fellbach zu ihren Hochburgen ausgebaut. | |
| Die Clans investieren schon lange in die legale Wirtschaft, wie der | |
| Oberstaatsanwalt Helmut Krombacher unterstreicht, der in Stuttgart die | |
| Abteilung für organisierte Kriminalität leitet. Die meisten | |
| Mafia-Ermittlungen seien heute Delikte der Wirtschaftskriminalität, weil | |
| Wirtschaftsdelikte lohnender seien als ein Bankraub und milder bestraft | |
| würden. In der Bauindustrie verdiene die Mafia Millionen, indem sie | |
| Lohnsteuer und soziale Abgaben hinterziehe. Natürlich wisse der große | |
| deutsche Bauunternehmer, der den italienischen Subunternehmer beauftragt, | |
| dass dieser die Arbeiten nicht für so wenig Geld ausführen könne: Schon aus | |
| dem Grunde, weil die Stahl oder Beton präzise Preise hätten, die mit | |
| legalen Mitteln nicht unterschritten werden könnten. | |
| ## Der brave Bauunternehmer | |
| Aber wie kann ein Staatsanwalt daraus einen in Deutschland gültigen | |
| strafrechtlichen Vorwurf machen? Warum sollte der deutsche Bauunternehmer | |
| nicht die billigste Firma nehmen? „Ich bin mir sicher, dass große Summen | |
| Geld aus Kalabrien nach Stuttgart fließen. Aber wir können ja keine | |
| anlassunabhängigen Finanzermittlungen“ machen, sagt Krombacher. Banken | |
| müssten erst ab 15.000 Euro eine Verdachtsanzeige wegen Geldwäsche machen. | |
| Oder wenn etwas auffällig sei. So etwas könne der Geldwäschebeauftragte | |
| melden, müsse er aber nicht. Nicht nur in Stuttgart, sondern auch in vielen | |
| anderen deutschen Städten gebe es keine Strukturermittlungen der | |
| italienischen Mafiaszene mehr, sagt Krombacher. | |
| Was bedeutet, dass nicht mehr ermittelt wird, wie die Clans beschaffen | |
| sind, wer dazu gehört, wie sie ihr Geld verdienen. Wer mit ihnen | |
| zusammenarbeitet. Wie sie ihr Geld waschen. Wer sie deckt. Wer ihnen | |
| Bürgschaften des Landes verschafft oder europäische Fördergelder. Es werden | |
| keine V-Männer mehr eingeschleust, kein Mafioso wird mehr beschattet, | |
| abgehört, kontrolliert. Und weniger Ermittlungen ergeben weniger Delikte. | |
| Jedenfalls für die Statistik. PETRA RESKI | |
| 20 Jun 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| PETRA RESKI | |
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