| # taz.de -- Die Sicht der Anderen (1): Charlotte Knobloch, Präsidentin des Zen… | |
| „lebendig, kräftig und schärfer“ lautet das Motto des Evangelischen | |
| Kirchentages. Denn so wollen die Lutheraner sein. Im Bekenntnis zur Würde | |
| des Menschen. Auf der Suche nach Orientierung in einer globalisierten Welt. | |
| Und im Ringen um Sinn im glaubensarmen Kosmos der Moderne. | |
| Wird ihnen das gelingen? | |
| Der Mensch der Moderne kontrolliert und gestaltet lebenserhaltende | |
| Vorgänge. Er klont, verändert Gene und überwindet den Atlantik in acht | |
| Stunden. Der Mensch der Moderne hat sich vom deterministischen Glauben an | |
| geheimnisvolle, unberechenbare Mächte emanzipiert und ist überzeugt, den | |
| Lauf der Welt durch Kalkulation beherrschen zu können. Er hat Religion | |
| privatisiert und in die ihr zustehenden Bereiche verwiesen – fernab von | |
| Politik und Wirtschaft. Der Mensch der Moderne hat sich mit individuellen | |
| Rechten ausgestattet und schützt seine Würde durch demokratische | |
| Gesellschaftsordnungen. Nicht mehr der Fürst, der seine Herrschaft mit | |
| G‘ttes Willen legitimiert, ist sein Souverän, sondern der freie Mensch | |
| selbst. G‘tt scheint folglich ausgedient zu haben. Zugegeben also – die | |
| Lutheraner haben sich viel vorgenommen. | |
| Und dennoch: Wer meint, das Aufklärungsprojekt kann ohne G‘tt gelingen, der | |
| täuscht sich gründlich. Haben nicht Nationalsozialismus und Stalinismus | |
| bewiesen, dass gerade g‘ttlose Systeme die Werte der Aufklärung verletzt | |
| haben? Und ist es nicht so, dass Rechtsextremisten und andere Hassprediger | |
| gerade das Sinnvakuum zu instrumentalisieren wissen? Denn das Leben in | |
| einer entzauberten, hochgradig rationalisierten Welt löst bei vielen | |
| Unbehagen aus. Die Freiheit, in einer globalisierten Gesellschaft zwischen | |
| verschiedenen Lebensentwürfen wählen zu können, wird nicht immer als Segen | |
| empfunden. Seines sozialen Kontexts enthoben und von sich selbst | |
| entfremdet, zappelt der Mensch orientierungslos in der Bedeutungslosigkeit. | |
| Dies ist der Nährboden, auf dem die Ideologie der Neonazis besonders gut | |
| gedeiht. Denn mit sozialen Wahlkampfthemen und einfachen | |
| Heilsversprechungen locken sie gerade die jungen Menschen in die wärmende | |
| Umarmung ihrer exklusiven Gemeinschaft. Wer nicht Mitglied im Club ist – | |
| Juden, Ausländer, Andersdenkende – muss erleben, dass seine Würde | |
| angetastet wird. | |
| Wenn also die Evangelische Kirche zeigt, dass sich die Würde des Menschen | |
| nicht von der Zugehörigkeit zu einer vermeintlichen Herrenrasse ableitet, | |
| sondern von seiner Ebenbildlichkeit mit G‘tt, leistet sie damit einen | |
| unerlässlichen Beitrag zum Schutz unserer Grundrechte. Und wenn es ihr | |
| gelingt, diese Idee in einen globalen Diskurs einzubringen, kann sie den | |
| Menschen weltweit zum Orientierungsmuster machen. Denn in einer komplex | |
| gewordenen Gesellschaft liefert sie Antworten auf elementare Fragen | |
| menschlichen Seins. Indem sie auf die Weisheit der Thora – das Prinzip der | |
| Demokratie – verweist. | |
| Auf regionaler Ebene ist das der Evangelischen Kirche bereits gelungen: Das | |
| „Bayerische Bündnis für Toleranz“ arbeitet seit zwei Jahren erfolgreich f… | |
| Demokratie und gegen Extremismus. Auch hier zeigen die Lutheraner, dass | |
| christliche Ethik humane Verantwortung und gelebte Solidarität bedeutet. | |
| Denn ohne den Impuls der evangelischen sowie katholischen Kirche wäre | |
| dieses Bündnis nicht zustande gekommen. | |
| Das Engagement der Evangelischen Kirche um den G‘ttesbezug in der | |
| Europäischen Verfassung muss ebenso erfolgreich sein. Denn Demokratie und | |
| G‘tt sind zwei Seiten derselben Medaille. Wer das erkennt, wird immer | |
| bereit sein, „nein“ zu sagen, wenn Freiheit und Gleichheit gefährdet sind. | |
| Lebendig, kräftig und schärfer. Charlotte Knobloch | |
| Anmerkung der Redaktion: Im Judentum wird aus Respekt vor Gott sein Name | |
| nicht ausgesprochen. Im Hebräischen sagt man nur „Hashem“ – „Der Name�… | |
| Deutschen wird das „o“ durch einen Apostroph ersetzt und der Name | |
| unausprechbar. | |
| 6 Jun 2007 | |
| ## AUTOREN | |
| Charlotte Knobloch | |
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