# taz.de -- Der Professor für das Politische | |
> Peter Grottian ist als politischer Aktivist bekannt, der sich für die | |
> Aufklärung des Bankenskandals engagiert. Viele Jahre war er aber auch | |
> Professor für Politikwissenschaft. Heute wird er emeritiert | |
VON FELIX LEE UND RICHARD ROTHER | |
März 2007, vor dem Landgericht in Moabit. Peter Grottian, Professor an der | |
Freien Universität (FU) und Mitbegründer der Bürgerinitiative Berliner | |
Bankenskandal, steht neben einer überlebensgroßen Puppe, die korrupte | |
Banker darstellen soll. An diesem Tag wird das Urteil im bislang größten | |
Prozess um den milliardenschweren Skandal gesprochen. Grottian schüttelt | |
die Hände der Aktivisten, die mit ihm den Weg zum Gericht gefunden haben. | |
Ein „Hallo“ hier, ein Schulterklopfen dort, und zwischendurch ein kurzes | |
Interview mit einem Radioreporter – das ist Peter Grottian, wie er leibt | |
und lebt. Später wird er noch einmal anklagend die Stimme erheben und | |
erzählen, wie Banker und Politik ein Gemeinwesen wie Berlin ausplündern und | |
mit symbolischen Strafen davonkommen konnten. | |
Heute nimmt der 65-jährige Hochschullehrer Grottian Abschied. Auch wenn er | |
am Otto-Suhr-Institut (OSI) für Politische Wissenschaften der FU feierlich | |
in den Ruhestand versetzt wird – wirklich aufhören, das wird der | |
Protestprofessor wohl nie. Grottian, der die wissenschaftliche und vor | |
allem politische Szene Berlins geprägt hat, wird sich auch künftig | |
einmischen. Als Lehrkraft am OSI, als Organisator politischer Proteste in | |
der Stadt. „Es lässt mich doch nicht kalt, wie sich das OSI entwickelt“, | |
sagt er. Erschreckend sei, wie schnell sich die Verschulung von | |
Studienordnungen schon jetzt im Bewusstsein der Studenten festgesetzt habe. | |
Grottian, der sich selbst als „Bewegungsunternehmer und Hochschullehrer“ | |
sieht, hat immer wieder mit spektakulären Ideen und Aktionen für Furore | |
gesorgt: So hat er gut bezahlte Professoren aufgefordert, Arbeit und | |
Einkommen zu teilen, um neue Stellen zu schaffen; er hat eine Demonstration | |
zu den Häusern der Profiteuren des Bankenskandals mitorganisiert; er war er | |
eine treibende Kraft bei den Protesten gegen Hartz IV. | |
Im Rheingau in einem konservativen Elternhaus aufgewachsen, machte Grottian | |
sein Examen 1969 in Berlin. Die 68er-Bewegung hat er mit Sympathie | |
verfolgt, ein Aktivist war er aber nicht. „Ich stand eher in der 16. | |
Reihe“, so Grottian. Wirklich politisiert hat ihn eine andere Erfahrung. | |
Anfang der 70er-Jahre ging er als Lehrbeauftragter an die Universität | |
München. Schon bald passten den dortigen Verantwortlichen seine | |
Lehrveranstaltungen nicht. Sein Vertrag sollte nicht verlängert werden. | |
Grottian beschloss, sich in der Bewegung gegen die Berufsverbote zu | |
engagieren. Fortan sollte er sich immer wieder in politische Debatten | |
einmischen. 1974 kehrte er als Assistenzprofessor nach Berlin zurück. Fünf | |
Jahre später wurde er Professor für Staats- und Verwaltungspolitik. | |
Seit 1985 arbeitet er nur noch als Teilzeithochschullehrer. In jenem Jahr – | |
die Debatte über Arbeitszeitverkürzungen lief gerade auf Hochtouren – | |
verzichteten die Professoren Peter Grottian und Wolf-Dieter Narr auf | |
jeweils ein Drittel ihrer Vergütung, um damit Mittel zur Schaffung einer | |
Professur für Feminismus bereitzustellen. Die Resonanz sei nicht besonders | |
stark gewesen, sagt Grottian heute. Nur rund 120 Hochschullehrer seien | |
diesem Modell gefolgt. „Wenn Menschen in Führungspositionen kommen, geht | |
die Bereitschaft, Arbeit und Einkommen zu teilen, gegen null.“ Rund 800.000 | |
Euro kostete der Einkommensverzicht Grottian. Einige weitere 10.000 Euro | |
habe er zur Unterstützung politischer Aktionen im Laufe seines Lebens | |
bereitgestellt, etwa zur Absicherung von Schwarzfahrern, die gegen | |
Fahrpreiserhöhungen protestierten. Andere Professoren kaufen sich ein | |
Ferienhaus an der Ostsee – Grottian ist das praktische Einmischen in | |
politische Auseinandersetzungen wichtiger. Das verdient Respekt. | |
Der Politikwissenschaftler und jahrzehntelange „Freund und Kollege“ | |
Grottians, Wolf-Dieter Narr, nennt diese Lebenshaltung „das | |
Peter-Grottian’sche Recht jedes Menschen auf lebensnotwendige Arbeit und | |
die Pflicht der Gesellschaft und eines jeden Menschen, der irgendetwas hat, | |
dafür zu sorgen, dass alle existenziell notwendige und zugleich ihre Person | |
achtende Arbeit haben“. Deshalb habe Grottian viele Jahre der Bekämpfung | |
der Arbeitslosigkeit gewidmet. Er habe sich aufgelehnt gegen die „mehrfach | |
enteignenden Formen der Arbeit à la Hartz IV, die nichts als Betrugsmanöver | |
der Herrschenden darstellen“. | |
Dass sich der Aktivist Grottian in den letzten Jahren vor allem gegen Hartz | |
IV engagierte, war nur folgerichtig. Zwar habe es niemals zuvor einen | |
vergleichbar starken sozialen Protest in der Bundesrepublik gegeben; | |
dennoch seien die Ziele nicht erreicht worden, zieht Grottian heute Bilanz. | |
„Den Betroffenen fehlt ein gewisses Maß an Radikalität.“ Grottian hatte | |
vor, Arbeitsämter zu besetzen oder Hungerstreiks anzuzetteln. „Ich wollte | |
damit ein existenzielles Protestmittel in die sozialen Auseinandersetzungen | |
einbringen.“ Doch Grottian stieß auf den geballten Widerstand in der | |
Protestszene, die Hungerstreikidee versandete. | |
Auch beim Berliner Bankenskandal konnten Grottian und andere Aktivisten | |
ihre Vorstellungen, die mehrheitlich landeseigene Bankgesellschaft lieber | |
in den Konkurs zu jagen als jahrzehntelang zu subventionieren, nicht | |
durchsetzen. Für Verunsicherung sorgten sie dennoch: mit Demonstrationen in | |
den Grunewald, vorbei an den Häusern verantwortlicher Manager. Mit der | |
Veröffentlichung der Namen von tausenden Anteilseignern an den | |
Rund-um-Sorglos-Fonds der Bank, die eine der Hauptursache für den | |
milliardenschweren Skandal waren. Profiteure zu benennen, während | |
Schwimmhallen geschlossen werden, weil kein Geld für die Sanierung da ist – | |
das ging vielen in der politischen Szene gegen den Strich. Auch von der | |
mitregierenden Linkspartei, die Grottians Wut angesichts der Verschwendung | |
öffentlichen Eigentums eigentlich teilte, bekam er Kritik zu hören. Ihr | |
Argument: Die Umsetzung seiner Vorstellungen wäre teurer für das | |
Allgemeinwesen gewesen als der Verkauf der Bank. | |
In seinen Seminaren legte Grottian ebenfalls Wert auf politisches | |
Engagement. Wer unkreativ war und sich einfach nur anpasste, bekam auch mal | |
keinen Leistungsnachweis. Während sich in den 90er-Jahren noch zahlreiche | |
seiner – oft bewegungsorientierten – Studenten und Studentinnen mit ihrem | |
Professor identifizierten, können mittlerweile viele mit seinem | |
kämpferischen Auftreten nicht mehr viel anfangen. Manche beschweren sich | |
sogar, dass die Seminare zu wenig strukturiert seien. Grottian würde dazu | |
wohl sagen: Der Bachelor hat seine Schuldigkeit getan. | |
Er wird das nicht hinnehmen – wie vieles andere auch nicht. Für Narr | |
verkörpert Grottian den „akademisch wissenden, wissenschaftlich | |
analysekräftigen, treffliche Lehre und Beratung einer riesigen Menge von | |
Studierenden betreibenden Prof, dessen Typus nicht nur die deutsche | |
Universität ungleich mehr bedurft hätte und mehr denn je bedürfte“. Man | |
kann es auch so sagen: Grottians Abgang ist ein Verlust. Nicht nur für die | |
FU. | |
8 Jun 2007 | |
## AUTOREN | |
FELIX LEE / RICHARD ROTHER | |
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