# taz.de -- „Wie im Lehrbuch“ | |
> DUISBURG I Staatsanwalt Gratteri über das Urteil gegen Giovanni Strangio | |
> und die unverminderte Bedrohung durch die ’Ndrangheta | |
INTERVIEWS AMBROS WAIBEL | |
taz: Herr Gratteri, mit ein paar Tagen Abstand: Wie beurteilen Sie den | |
Ausgang des Prozesses im Fall Duisburg und Giovanni Strangio? | |
Nicola Gratteri: Sehr positiv. Wir von der Staatsanwaltschaft glauben ja | |
auch, dass wir dem Gericht in Locri alle Informationen geliefert haben, die | |
zu einer Verurteilung erforderlich waren. Und wir sind auch der | |
Überzeugung, dass diese Urteile vor den nächst höheren Instanzen halten | |
werden, also vor dem Berufungsgericht in Reggio/Calabria und vor dem | |
Gerichtshof in Rom. | |
Der deutsche Anwalt Giovannis Strangios, Frank Berlanda, hat in einem | |
Interview recht harte Aussagen gemacht: Die deutsche Behörden hätten | |
Strangio wie eine faule Tomate nach Italien verschachert, weil es in | |
Deutschland nicht mal zur Anklageerhebung gereicht hätte. | |
Ich kann Ihnen nur sagen: Zwischen der Polizei in Duisburg, dem BKA und der | |
italienischen Polizei gibt eine hervorragende Zusammenarbeit, insbesondere | |
mit mir, der ich seit einem Dutzend Jahren regelmäßig in Deutschland bin. | |
Inzwischen schätzen wir die Arbeit des anderen sehr. | |
Inzwischen? | |
Die Beziehungen haben sich verbessert und werden sich weiter verbessern. | |
Ich war in Duisburg, in Frankfurt, beim BKA. Die Kollegen sind zu uns nach | |
Reggio gekommen. Wir haben unsere Erkenntnisse abgeglichen und sind zu dem | |
Schluss gekommen, dass wir hier in Italien bessere Möglichkeiten haben, zu | |
einer Verurteilung Strangios zu kommen. Und dann hat die italienische | |
Justiz sich in Bewegung gesetzt. Aber zu der Verurteilung ist es nicht | |
zuletzt durch die Zeugenaussagen der deutschen Polizisten hier in Locri | |
gekommen und natürlich durch die Vorermittlungen der Deutschen. | |
Wie ist denn jetzt nach dem Urteil die Stimmung in San Luca, dem Urort der | |
Clanfehden [„faide“], die zu den Morden von Duisburg führte? | |
Bis das Urteil nicht durch alle Instanzen gegangen ist, wird in San Luca | |
sich gar nichts grundlegend ändern. Und auch nicht in den anderen | |
Hochburgen der ’Ndrangheta. Klar will man dort jetzt den Eindruck erwecken, | |
es sei alles befriedet. Aber ich traue diesem Frieden nicht: Die „faide“ | |
sind unberechenbar wie schlafende Vulkane, sie können jederzeit wieder | |
ausbrechen. | |
Und Sie haben ja auch keine Ruhe. Gerade ist die Operation „Crimine 3“ zu | |
Ende gegangen. Worum ging es da genau? | |
Es ging um den internationalen Drogenhandel, wir haben über eine Tonne | |
Kokain beschlagnahmt. Das war eine Operation, die man in ein | |
Polizeilehrbuch aufnehmen könnte, was die internationale Zusammenarbeit | |
angeht, wie man trotz ganz unterschiedlicher Mentalitäten und Gesetze zum | |
Erfolg kommt. Beteiligt waren Mexikaner, Amerikaner, Kanadier, Holländer, | |
Spanier. Die ’Ndrangheta, die hier erscheint, bewegt sich souverän auf | |
internationalem Parkett. | |
Ist denn der Drogenhandel überhaupt noch so wichtig für die Clans? | |
Es gibt nichts Besseres, legal oder illegal. Wir fangen nur ein Zehntel des | |
Kokains ab. Und die Nachfrage in Europa ist unverändert stark. | |
■ Nicola Gratteri ist Oberstaatsanwalt (Procuratore aggiunto) in | |
Reggio/Calabria. Seit 1989 lebt er unter Personenschutz | |
22 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
AMBROS WAIBEL | |
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