# taz.de -- Tiger von Madras zockt schlecht | |
> SCHACH Der norwegische Weltmeister Magnus Carlsen will nach seinem Sieg | |
> über Herausforderer Viswanathan Anand weitere Titel folgen lassen | |
„Ich muss zugeben, er ist mir überlegen“, räumt Viswanathan Anand nach | |
seiner Niederlage gegen Magnus Carlsen im russischen Sotschi unumwunden | |
ein. Der Norweger gewann eine Woche vor seinem 24. Geburtstag das | |
Revanche-Match um die Schach-WM vorzeitig mit 6,5:4,5. Die Siege in der | |
zweiten, sechsten und abschließenden elften Runde bescherten dem | |
Weltmeister 900.000 der 1,5 Millionen Dollar Preisgeld. Sein Vorgänger aus | |
Indien konnte nur die dritte Begegnung für sich entscheiden. | |
Entscheidend war die sechste Partie, in der Carlsen wie ein | |
Kreisliga-Spieler patzte – der Herausforderer hatte jedoch nicht mit einem | |
„Geschenk gerechnet“ und ließ die einmalige Chance in der WM-Geschichte | |
ungenutzt verstreichen. So hieß es 3,5:2,5 für den Titelverteidiger statt | |
für den Inder. Anand versuchte bis zum Schluss alles, doch mehr als vier | |
weitere Remis kamen nicht heraus. „Offensichtlich verliere ich als Erster | |
die Nerven“, analysiert der unterlegene Herausforderer und wähnt den | |
zuweilen fast schläfrig am Brett wirkenden Weltranglistenersten | |
„psychologisch“ im Vorteil. Außerdem agiere Carlsen „stabiler“. Es sei | |
„mehr oder weniger gekommen wie erwartet. Carlsen ist stärker und | |
stabiler“, sagt Ex-Weltmeister Garri Kasparow und ergänzt, „Anand besaß | |
eine viel tiefere Eröffnungsvorbereitung, aber war nicht in der Lage, diese | |
zu zeigen oder gar zu vollstrecken“. | |
Doch ganz so einseitig wie im Vorjahr beim 3,5:6,5 in seiner Heimatstadt | |
Chennai ließ sich der „Tiger von Madras“ nicht abschlachten. „Für mich … | |
es diesmal viel schwerer. Anand spielte besser als im ersten Match und | |
setzte mich unter Druck“, gesteht der Norweger. Womöglich glaubte Carlsen, | |
mit seinem Kontrahenten umspringen zu können wie mit Donald Duck im Comic – | |
Carlsen ist Donald-Duck-Fan, und kürzlich ist in Norwegen ein Comic-Band | |
erschienen, in dem der Weltmeister und die Disney-Ente die Protagonisten | |
sind. | |
Anand wagte am Sonntag noch einmal alles, anstatt auf den Aufschlag mit | |
Weiß im zwölften Duell zu setzen, um ein 6:6 samt Schnellschach-Tiebreak zu | |
erzwingen. Ein brillantes Bauernopfer des Weltranglistensechsten nahm | |
Carlsen lieber nicht an. Dafür aber die Offerte, als Schwarz einen Turm für | |
einen Läufer opferte. „Generell glaube ich ans Material und verleibe es mir | |
lieber selbst ein, als zu opfern“, sagte der Weltmeister, „ich war wirklich | |
glücklich, als er das Qualitätsopfer anbot.“ Die Fortsetzung elektrisierte | |
zwar die Millionen von Fans, die im Internet die WM regelmäßig live | |
verfolgten, doch Carlsen widerlegte die trickreiche Idee kühl und präzise | |
wie ein Chirurg. „Ich weiß nicht, warum ich plötzlich beschloss, die | |
Qualität zu opfern … Es war schlecht gezockt – und ich wurde dafür | |
bestraft!“, tadelt sich Anand für den letzten verzweifelten Versuch. | |
Immerhin zeigt sich der Verlierer zufrieden, anders als im Vorjahr, als der | |
Inder harsche Kritik einstecken musste für seinen mutlosen Auftritt. „Ich | |
denke, ich habe einen vernünftigen Job gemacht, auch wenn es Momente des | |
Versagens gab.“ Carlsen vermeidet diesmal den Fehler, seinen Vorgänger auf | |
dem WM-Thron wie im Vorjahr abzuschreiben, und schließt ein drittes Duell | |
nicht aus. Dass der Weltmeister jedoch auch weiterhin aus Norwegen kommt, | |
ist für den 23-jährigen Champion unzweifelhaft. Via Twitter schrieb er: | |
„Zwei Titel geschafft, fünf sollen folgen.“ Damit überträfe das | |
Schach-Genie die Legende Kasparow. Sein früherer Trainer sieht auch wegen | |
der „brillanten Gewinnpartie“ zum Abschluss eine lange Dominanz seines | |
Schützlings voraus. HARTMUT METZ | |
25 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
HARTMUT METZ | |
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