# taz.de -- Der Weg zum Atomklo: Ärger für die Ostzonalen | |
> Ist der Salzstock in Gorleben ein sicheres Atommüll-Endlager? Während die | |
> Politik streitet, lohnt ein Blick in die Geschichte: Wie | |
> Ex-Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) einst Gorleben auswählte | |
Bild: "Da soll es hin!" - Ernst Albrecht 1977 nach einem aufschlussreichen Gesp… | |
Es ging um zwölf Milliarden Mark - diese Investition wollte Ernst Albrecht | |
natürlich nach Niedersachsen holen. Wählte der frisch ins Amt gehievte | |
CDU-Regierungschef das Elbedorf Gorleben als Standort für das einst | |
geplante "Nukleare Entsorgungszentrum" (NEZ) also nur aus wirtschaftlichen | |
Gründen? Oder auch deshalb, weil der Kern des NEZ, ein Endlager im | |
Salzstock an der damaligen Zonengrenze, tatsächlich für die Lagerung stark | |
wärmeentwickelnder Atomabfälle geeignet ist? Wenn an diesem Wochenende | |
erneut Tausende gegen den Castor-Transport ins Zwischenlager wenige hundert | |
Meter entfernt vom Salzstock auf die Straße ziehen, geht es im Kern immer | |
noch um die Frage: Ist Gorleben sicher? | |
Alle Studien bewiesen die Eignung des Erkundungsbergwerks mit seinen zwei | |
bis zu 940 Meter tiefen Schächten, sagen CDU und FDP in Bund und Ländern | |
und fordern ein Ende des Erkundungsmoratoriums. 1,4 Milliarden Euro seien | |
schon versenkt worden. Geht hier Wirtschaftlichkeit vor Sicherheit, fragen | |
Atomkritiker - und fordern das Gegenteil. Bundesumweltminister Sigmar | |
Gabriel (SPD) sagt, der Salzstock im Wendland sei ohne Kriterien und ohne | |
vorherige Festlegung von Sicherheitsstandards gewählt worden. Deshalb fehle | |
heute die Akzeptanz, deshalb die Proteste. | |
"Es war ein fachlich begründeter Entscheidungsablauf mit politischen | |
Implikationen", sagt Anselm Tiggemann. Der Historiker hat ein 900 Seiten | |
starkes Buch über die Endlagersuche geschrieben. Das war ein Puzzlespiel, | |
oft wurde ihm die Akteneinsicht verweigert. "Eins ist sicher", sagt | |
Tiggemann, "an Transparenz hat es damals stark gefehlt." | |
Nachdem der Bund 1975 drei Salzstöcke für ein "Nukleares | |
Entsorgungszentrum" vorgeschlagen hatte, kochte vor Ort der Protest. Alle | |
drei lagen in Niedersachsen: im Emsland, bei Celle und bei Nienburg. | |
Albrecht klagte über "bürgerkriegsähnliche Zustände". Um das damals größte | |
Industrieprojekt der Bundesrepublik - Teil des gigantischen | |
Entsorgungszentrums war ursprünglich auch eine Wiederaufarbeitungsanlage - | |
doch noch an Land zu ziehen, brachte er plötzlich in einer von ihm | |
eingesetzten Kommission einen vierten Salzstock ins Spiel. | |
"Das ist jetzt noch nicht eine geologische Frage, das ist eine politische | |
Frage. Ich möchte einen Salzstock, der möglichst dicht an der Zonengrenze | |
liegt", sagte Albrecht laut dem damaligen Kommissionsmitglied Gerd Lüttig. | |
"In der Art eines Kneipengesprächs" habe der Regierungschef damals mit | |
seinem Nachbarn, einem pensionierten Bergwerksdirektor, den Standort im | |
Wendland ausgekungelt. Geologische Expertise - Fehlanzeige. So sagte es | |
Lüttig einst in einem Interview. Albrecht habe ein Gegengewicht zum schon | |
damals bedrohten DDR-Endlager Morsleben gesucht: "Wenn das mal absäuft, | |
haben wir im Helmstedter Raum die verseuchten Häuser. Ich möchte die | |
Ostzonalen mal richtig ärgern, nehmen wir Gorleben als Gegengewicht. Mal | |
sehen, was rauskommt." Im Februar 1977 benannte Albrecht dann zur | |
Überraschung Vieler Gorleben als Standort. | |
"Da steht Aussage gegen Aussage", sagt Tiggemann, der später bei Albrecht | |
und Lüttig, heute betagte Pensionäre, noch mal nachhakte. "Mir gegenüber | |
hat Albrecht auf die Strukturschwäche der Region und auf die Akzeptanz in | |
der Kommunalpolitik hingewiesen", erzählt der Geschichtswissenschaftler. | |
Um Gorleben durchzupeitschen, setzte sich der CDU-Mann sogar über Bedenken | |
des damaligen Kanzlers hinweg. Helmut Schmidt (SPD) fürchtete innerdeutsche | |
Spannungen, sogar, dass sich der Ostblock eines Tages "dieser neuartigen | |
Anlage, wenige Meter vom eisernen Vorhang entfernt, handstreichartig | |
bemächtigen könnte", sagt Tiggemann. Auch ein Kalkül: In der stramm | |
konservativen Region würde es kaum Proteste geben. Noch eine | |
Fehlkalkulation, aus der Albrecht aber seine Konsequenzen zog: Nach | |
Gorleben-Treck und Gorleben-Hearing strich der Ministerpräsident 1979 die | |
Wiederaufarbeitungsanlage aus dem Entsorgungs-Paket. | |
Die geologische Eignung des designierten Endlagers wurde erst nach seiner | |
Kür geprüft: "Man wusste damals nur, dass der Salzstock ein bisschen | |
abgleitet, erst Anfang der 80er Jahre wurde kartiert", sagt Tiggemann. | |
Als das inzwischen "weltweit am besten untersuchten Standort für ein | |
Endlager radioaktiver Abfälle" bezeichnete dagegen eine Studie der | |
Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in dieser Woche den | |
Standort Gorleben - und wurde prompt von Atomkritikern als "unseriös" | |
gegeißelt. "Es gibt doch noch gar keine endgültigen Kriterien für ein | |
sicheres Endlager - hat die BGR sich diese jetzt gebastelt?", fragt Stefan | |
Wenzel, Grünen-Fraktionschef in Niedersachsen. Eine endgültige Erkundung | |
des Salzstocks werde mindestens noch zehn Jahre dauern. | |
6 Nov 2008 | |
## AUTOREN | |
Kai Schöneberg | |
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