# taz.de -- Futuristisch und alltäglich | |
> KONZERT Für das britische Magazin „The Wire“ spielen To Rococo Rot den | |
> Soundtrack für ein neues Zeitalter der Erleuchtung: Nach 19 Jahren | |
> verabschieden sich die drei Berliner Elektronik-Pioniere nun | |
VON THOMAS WINKLER | |
Vielleicht ganz treffend, dass der Entschluss, der Sache ein Ende zu | |
setzen, in der Fremde fiel, in Großbritannien. Dort, wo To Rococo Rot | |
bisweilen größere Wertschätzung erfuhren als in der Heimat. Es war am | |
Londoner Flughafen Heathrow, an einem Cafétisch, erinnert sich Ronald | |
Lippok, als die drei zusammensaßen und schließlich der eine Satz fiel, | |
gesagt von wem auch immer, der zusammenfasste, was sie alle fühlten: „Die | |
Geschichte ist auserzählt.“ | |
Die Geschichte, die nun endet mit einem allerletzten Konzert im Hebbel am | |
Ufer, diese Geschichte begann vor 19 Jahren. Damals arbeiteten die Brüder | |
Ronald und Robert Lippok, die sich bereits in der verblichenen DDR mit | |
Ornament & Verbrechen einen Legendenstatus in Ostberlin erspielt hatten, | |
erstmals zusammen mit Stefan Schneider, dem Bassisten der Düsseldorfer Band | |
Kreidler. Ursprünglich ging es nur darum, für eine Klanginstallation der | |
Lippoks, in der Soul-, Metal-und Technoplatten auf von Bohrmaschinen | |
angetriebenen Plattenspielern rotierten, einen Audiokatalog aufzunehmen. | |
Titel der Schau war das Palindrom „to rococo rot“, und aus der einmaligen | |
Aktion in der Galerie „Weißer Elefant“ wurde schnell ein fester | |
Bandzusammenhang, der nahezu zwei Jahrzehnte auch trotz der räumlichen | |
Entfernung zwischen Berlin und Düsseldorf hielt – bis zu dem Tag und dem | |
Satz an dem Cafétisch in Heathrow. | |
„Neunzehn Jahre“, sagt Ronald Lippok, „sind eine lange Zeit.“ Dann ziti… | |
er mit Oasis ausgerechnet eine Band, die musikalisch kaum weiter entfernt | |
sein könnte von den Ideen, die er mit To Rococo Rot umgesetzt hat: „We | |
don’t look back in anger.“ | |
Auch andere blicken nicht eben im Zorn zurück. Liest man, wie die | |
Auflösungsankündigung aufgenommen wurde, wird schnell klar, dass To Rococo | |
Rot zeitlebens zwar sicherlich keine Stars waren. Aber doch, dass sie eine | |
Reputation erlangt hatten, die weit hinausreichte über ihren kommerziellen | |
Erfolg. | |
Für das Musikmagazin Spex waren To Rococo Rot „stets mehr als eine Band“ | |
und „eine der Speerspitzen der deutschen Electronica-Szene“. Aber, auch das | |
fällt auf, wenn man sich auf die Suche nach Nachrufen macht, To Rococo Rot | |
werden zukünftig wohl vor allem im Ausland vermisst werden: Der New Musical | |
Express, ansonsten eher zuständig für den neuesten Britpop-Hype aus | |
Manchester, bescheinigt dem Trio, dass es während seiner Existenz „mehrere | |
Alben mit geschmackvoll plätschernder Elektronik und rätselhaften | |
Gitarren-Seltsamkeiten“ eingespielt habe. Die einflussreiche Website „The | |
Quietus“ findet, dass „dem Werk von To Rococo Rot eine Wärme und | |
Lebendigkeit innewohnt, die andere Genres der elektronischen Musik | |
vermissen lassen“. Und die ebenfalls britische Avantgarde-Bibel The Wire | |
glaubt gar, To Rococo Rot würden „den Soundtrack spielen zum Heraufziehen | |
eines neuen Zeitalters der Erleuchtung“. | |
So weit kam es dann doch nicht. To Rococo Rot mögen Musik gespielt haben, | |
die leuchtete. Aber für Erleuchtung fühlten sie sich nicht zuständig. Und | |
doch erlangte die Musik von Lippok, Lippok und Schneider, obwohl sie bis | |
fast zuletzt instrumental blieb, überraschend oft eine Bedeutung, die für | |
mehr stand als nur den reinen Klang. | |
Ihr 1999 erschienenes Album „The Amateur View“ lässt sich rückblickend | |
durchaus interpretieren als der Moment, in dem sich auch in der Popmusik | |
die Erkenntnis durchsetzte, dass die digitale Revolution auch das Leben von | |
Grund auf verändern würde. „To Rococo Rot haben“, erinnert sich Ronald | |
Lippok, „einen Sound erfunden, den es in dieser Art noch nicht gab.“ Da | |
knusperte und knisterte, raspelte und ratterte es, die Maschinen kuschelten | |
mit Schneiders Bass, die Bits atmeten tief durch und die Bytes schmunzelten | |
vergnügt, der Rhythmus pulsierte und Sounds hoben ab in den Weltraum. Auf | |
dem Cover blassrote Tulpen, noch nicht verblüht, aber bereits die eigene | |
Vergänglichkeit ahnend. | |
To Rococo Rot gaben – zusammen mit anderen, verwandten Projekten wie Mouse | |
on Mars, Tortoise, Stereolab oder eben Kreidler – dem damals virulenten | |
Schwebezustand zwischen analogem Gestern und digitalem Morgen ein | |
Klangbild, das zugleich futuristisch und alltäglich anmutete. Eine, wenn | |
man so will, elektronische Klangtapete, in der scheinbar selbstverständlich | |
das Wissen mitschwang, dass Computer demnächst nicht nur die Arbeitswelt, | |
sondern bald auch das Privatleben bestimmen würden. | |
Zugegeben, so haben das damals nur die wenigsten, wohl auch die Urheber | |
selbst nicht gesehen. Aber To Rococo Rot, so beschreibt es Ronald Lippok | |
heute, waren in ihren besten Momenten eine Band, „die sich nie hat lumpen | |
lassen, was Risiken musikalischer Art betrifft, gelegentliches Irrlichtern | |
eingeschlossen“. | |
Mittlerweile, nahezu zwei Jahrzehnte später, klingt diese Musik zwar lange | |
nicht mehr so spektakulär wie damals. Doch dass To Rococo Rot eine Zeit | |
lang sehr zielsicher dort operierten, wo die Grenzen populärer Musik | |
verschoben wurden, kann man allein schon daran erkennen, dass sie im | |
Wechsel der Jahreszeiten in neu entstehende Genre-Schubladen gesteckt | |
wurden, ob Indietronics, Post-Rock oder Neo-Krautrock. | |
Ganz falsch waren diese Zuordnungen nie, wirklich gerecht wurde man ihnen | |
damit aber auch nicht. In einem einzigen musikalischen Genre, ja nicht | |
einmal mit Musik allein wurden sie nie glücklich. Den spartenübergreifenden | |
Ansatz, den die Lippoks auch schon bei Ornament & Verbrechen stets gepflegt | |
hatten, führten sie mit To Rococo Rot fort und sie arbeiteten mit bildenden | |
Künstlern wie Olaf Nicolai, Doug Aitken oder Natascha Sadr Haghighian | |
zusammen. Sie überraschten aber auch immer wieder musikalisch, zuletzt bei | |
ihrem aktuellen Album „Instrument“, für das sie erstmals Gesang einsetzten, | |
aber dafür dann ausgerechnet den nicht eben für seine Stimme berühmten | |
Klangkünstler Arto Lindsay engagierten. | |
Wenn dann beim Abschiedskonzert im Hebbel am Ufer, zu dem auch die schon | |
seit Jahren freundschaftlich verbundenen Shoegaze-Pioniere The Pastels | |
eingeladen sind, der letzte Ton verklungen ist, wird immerhin ein Erbe | |
bleiben: To Rococo Rot waren nicht allein, aber doch recht entscheidend | |
beteiligt an dem Nachweis, dass elektronische Klangerzeugung nicht nur für | |
Club-Musik taugt. Auch die Verschmelzung von digital erzeugten Klängen mit | |
konventionellen Instrumenten wurde hier erstmals nicht mehr als Wagnis | |
gesehen, sondern als Selbstverständlichkeit. | |
Das sind Pionierleistungen, deren Folgen – ob sie uns gefallen mögen oder | |
nicht – wir mittlerweile tagtäglich ungefragt zu hören bekommen. In allem, | |
was Musik ist, vom Werbe-Jingle über Fahrstuhlmusik bis zum Pop-Hit, | |
schwingt auch ein Stück Vermächtnis von To Rococo Rot mit. So gesehen wird | |
diese Geschichte niemals vollkommen auserzählt sein. | |
■ Abschiedskonzert To Rococo Rot mit The Pastels am 29. 12., 19 Uhr im HAU | |
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29 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
THOMAS WINKLER | |
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