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# taz.de -- Die Welt ist fragmentiert
> STERNSTUNDE Für Überraschungen war er schon immer gut: Am Samstagabend
> trat der US-Künstler Mayo Thompson nach fünfjähriger Abstinenz mit seiner
> Band The Red Krayola im HAU auf
VON JULIAN WEBER
Sein Dank gilt den Steuerzahlern, die dieses Konzert erst ermöglicht haben.
Mayo Thompson macht die Ansage auf Deutsch. Höflich, aber bestimmt. Da ist
der Auftritt seiner Band The Red Krayola im HAU am Samstagabend erst wenige
Songs alt.
Unvermutet, wie der 67-Jährige die Worte an die Zuschauer richtet, wirkt
auch die Musik: formlos, direkt, inspirierend. Mal diskursiv, mal lustvoll
verspielt. Red Krayola ist der Applaus aller anwesenden Steuerzahler
gewiss. Ein kunstaffines Publikum ist gekommen, um Thompson und seine Band
zu sehen, ganze Abordnungen von Galerien, aber auch viele Musikerkollegen,
junge und alte Hipster, Kreuzberg in seiner weltoffenen Pracht.
Nennt man Mayo Thompson eine legendäre Type, würde er dagegenhalten:
„Historizismus stinkt.“ Deutsch hat Thompson bereits in den achtziger
Jahren gelernt, als der US-Künstler in Düsseldorf wohnte und für einige
Zeit in der Werbung arbeitete. Da hatte er schon einige abrupte
Richtungswechsel hingelegt – angefangen bei den Psychedelik-Experimenten
der ersten beiden Red-Krayola-Alben im texanischen Houston der späten
Sechziger über eine Assistenz beim Künstler Robert Rauschenberg in New York
Anfang der Siebziger. 1974 zog er nach Großbritannien um, wirkte bei der
marxistischen Künstlergruppe Art&Language mit und reformierte Red Krayola
mit britischen Postpunkmusikern 1978. Für das Londoner Indielabel Rough
Trade war Mayo Thompson als Produzent tätig.
## Eine komplizierte Rochade
Zeitweiliger Inaktivität in Deutschland begegnete er 1989 mit dem
fantastischen Album „Malefactor, ade“. In den neunziger Jahren begann Mayo
Thompson dann auf Vermittlung der beiden Chicagoer Postrock-Musiker David
Grubbs und John McEntire von Neuem und veröffentlicht seither regelmäßig
für das Label Drag City. Seine Karriere mag sich wie ein lückenloser
Lebenslauf lesen, aber es ist eine in Tat und Wahrheit komplizierte
Rochade.
Komplexe Persönlichkeitsstruktur, komplexe Songstruktur. Verschwinden,
auftauchen, verstummen. „Ich habe die Welt ja nicht selbst fragmentiert“,
bemerkte Mayo Thompson einmal, „mir ist nur aufgefallen, dass sie
fragmentiert ist.“
Seine Songs klingen genau und unversöhnlich. „Unsere Gitarren erzeugen
Schwindel“, heißt es im Begleittext zum Album „Fingerpainting“. Rock im
Kontext bildender Kunst, der eckig klingt und nur eckig. Am Eckigen reibt
sich die Pop-Oberfläche.
Beim Konzert am Samstag stehen Songs aus allen Schaffensperioden auf dem
Programm. „Transparent Radiation“ vom Debütalbum „Parable of Arable Land…
dessen freiflutende Psychedelik zum nervösen Stop&Go wird. Das punkige
„Born in Flames“ von 1978 bleibt dagegen punkig. Gleich mehrere Songs aus
dem Album „Black Snakes“ (1982) klingen funky. „I’m so blasé“ von �…
(1996) und „Jumping through the Mirror“ von 2005 sind elder statesman,
Blues ohne Nostalgie. So wie der ganze Auftritt auf Reenactement
verzichtet. Eher wirkt das Konzert wie die Performance einer öffentlichen
Probe.
## Unbekannte Komplizen
Und es ist auch ein Verwirrspiel: Nicht mal dem Veranstalter war zuvor die
Besetzung von The Red Krayola bekannt. Entsprechend Thompsons Maxime, „wir
spielen nicht zusammen, sondern gleichzeitig“ sind vier Musiker auf der
Bühne. Links außen ein deutscher Artsy-Fartsy in lachsfarbener
Lacoste-Strickjacke, der einen taschenrechnergroßen Korg Synthesizer
bedient und per Knopfdruck grundsätzlich gegen den Flow der anderen drei
arbeitet. Irgendwann tritt er nach vorn und deklamiert auf Deutsch ein
Manifest namens „Schwerter Gottes“. Dem langhaarigen Vincent
Gallo-Lookalike am Bass obliegt auf der Bühne der Part des bad cop. Er
bewegt sich so aufreizend relaxt zur Musik, dass alle Klischees von
Kalifornien verblassen. Der Bassist lässt die Haare wallen und
unappetitlich die Daumen über die Saiten slappen.
Die einzige bekannte Größe ist die asiatische Schlagzeugerin Sandy Yang,
die auch gelegentlich das Mikrofon von Mayo Thompson übernimmt und singt.
Ihr reduziertes Spiel erinnert an frühere Mitspieler von Thompson, an Lora
Logic und die Raincoats, und doch transportiert Yang, die Thompson auf
einer südkalifornischen Kunsthochschule unterrichtet hat, eigene
Leichtigkeit und Grazie.
Der Bandleader trägt einen etwas altmodisch wirkenden, schlecht sitzenden
schwarzen Anzug. Er wirkt ein bisschen wie Dustin Hoffman in Volker
Schlöndorffs „Tod eines Handlungsreisenden“: alt geworden, hadernd, aber
doch quicklebendig. Manchmal muss er eine Lesebrille aufsetzen, schaut
angestrengt auf den Notenständer mit den Texten, die Spannungen lösen sich
beim Gitarrenspiel. Gegen Ende des Abends fotografiert er das entzückte
Publikum. Er versucht, den Moment im Bild festzuhalten. Man ahnt, dass es
ihm nicht gelingen wird.
4 Oct 2011
## AUTOREN
JULIAN WEBER
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