# taz.de -- „So ist das Leben. Da kann ich nichts für“ | |
> Sibylle Berg suchte das Glück und fand es in Bayern. Für ihren Roman „Die | |
> Fahrt“ reiste sie um den Globus und forschte nach überzeugenden | |
> Gesellschaftsmodellen. Ein Gespräch | |
INTERVIEW IRENE GRÜTER | |
taz: Frau Berg, fahren Sie je wieder in Urlaub? | |
Sibylle Berg: Wohin denn? Ich wohne in Zürich an einem Urlaubsort. Ich habe | |
Flugangst, die steigert sich manchmal zur Hysterie. Die Szene, in der eine | |
Figur kurz vor dem Start aus dem Flieger rennt und zurück nach Hause fährt, | |
war von mir geklaut. | |
Dennoch waren Sie ein Jahr unterwegs, um Ihren neuen Roman zu schreiben. | |
Das war kein Zuckerschlecken. Die Idee zum Buch hatte ich vor sechs Jahren, | |
damals wollte ich reisen und schauen, ob es auf der Welt ein | |
Gesellschaftsmodell gibt, das besser funktioniert als unseres. Leider hatte | |
ich erst vor zwei Jahren das Geld zusammen, doch die Idee hatte sich | |
überholt. Ich musste dann los, weil ich es mir ja mal vorgenommen hatte. | |
Was haben Sie gefunden? | |
Man trifft überall westliche Menschen, die ihr Glück suchen und in den | |
wenigsten Fällen finden. Leute, die durch Indien hoppeln und meinen, die | |
Einheimischen interessierten sich für einen. Für mich ist das zum | |
Dauerthema geworden: Was braucht man im Leben, und wie weit muss man gehen | |
dafür? Das ist doch die entscheidende Frage in unserer windschnittigen | |
Gesellschaft. Natürlich ist der Roman auch eine Abrechnung mit dem | |
gruseligen Kolonialtourismus, den wir betreiben. Es ist oft sehr eklig | |
gewesen, besonders in Sri Lanka, die hocken noch in Camps wegen des | |
Tsunamis, und vorne lassen sich welche massieren und feilschen um 30 Cent. | |
So zu reisen verlangt schon einen sehr schlechten Charakter. | |
Ist das Buch also ein Antireiseroman? | |
Da bin ich mir nicht sicher. Reisen hat ja auch etwas Gutes, weil man oft | |
erkennt, was man zu Hause hat. Deutschland ist vielleicht kein charmantes | |
Land, aber es funktioniert recht gut. Das zu erkennen kann ja nicht | |
schaden, aber dafür muss man Geld ausgeben, in anständige Hotels gehen und | |
nicht so einen Dreck machen wie „Ich leb jetzt wie die Eingeborenen“. Den | |
Egotrip muss man schon bezahlen. | |
Die Hauptfiguren sind deutsche Touristen. Eine Kapitel erzählen aber aus | |
der Perspektive von Einheimischen, zum Beispiel einer Steinklopferin im | |
Slum von Bangladesch. Haben Sie dort recherchiert? | |
Ich habe wirklich zwei Wochen in einem Slum zugebracht, mit einem | |
Dolmetscher. Und dann hockt man da rum und versucht zu verstehen, was das | |
heißt. Aber das geht natürlich nicht, das wäre anmaßend. Ich wollte einfach | |
wissen, was das für Menschen sind hinter den Bildern. | |
Haben Sie ein Gesellschaftsmodell gefunden, das besser funktioniert? | |
Ich habe leider herausgefunden, dass es zur Zufriedenheit genau das | |
braucht, was wir hier haben. Wohlstand, Bildung, Demokratie, was schon mal | |
80 Prozent der Welt ausschließt. Die Sozialmären von den glücklichen | |
Eingeborenen, das haut alles nicht hin. Die relativ zufriedensten Menschen | |
habe ich in Island gefunden. Doch das kann man nicht nachmachen. Die haben | |
eine Insel, sind wohlhabend und wenige. | |
Ihre Figuren sind alle zutiefst einsam, tun sich schwer mit dem Altern und | |
glauben, das Leben sei nach der Midlife-Crisis zu Ende. | |
Stimmt nicht, ein paar werden ja auch glücklich. Helena zum Beispiel kommt | |
in ihrem Stamm in Füssen bei Schwanstein an, der geht’s dort richtig gut. | |
Das ist nicht satirisch gemeint? Immerhin wird dieser „Stamm der Likatier“ | |
von Kritikern als Sekte gesehen. | |
Nein, das war ernst. So etwas funktioniert natürlich nicht immer, ich war | |
zum Beispiel auch in einem Kibbuz in Israel, und dort war mir der Zwang zur | |
Gemeinschaft sehr unheimlich. Ich weiß auch nicht, was dieser Stamm in | |
Bayern anders gemacht hat. Wahrscheinlich funktioniert das, weil die einen | |
Kompromiss mit dem Kapitalismus machen. Die wollen Häuser haben, die wollen | |
es schick haben, das ist ja schon in uns verankert. | |
Und was hält Sie davon ab, sich den Likatiern anzuschließen und glücklich | |
zu werden? | |
Ich bin nicht gut im Gruppenleben. Aber es wäre bestimmt ein gutes Modell | |
gegen die Einsamkeit. | |
Sie klagen in Ihrem Roman eine Extremform von Individualismus an, weil sie | |
die Figuren in die Einsamkeit führt. Schlagen Sie als Alternative nun die | |
Kommune vor? | |
Dieses Kommunenzeugs propagiere ich nicht, aber ich halte wirklich nichts | |
von diesem Single-Hochgehalte, das hat sich nicht bewährt. Jeder muss sich | |
in Kleinverbände einordnen, mit Freunden zusammenziehen, eine Großfamilie | |
gründen, was auch immer. Ich glaube, man braucht jemanden. Das ist ganz | |
simpel. Sonst wird alles noch sinnloser. | |
Sie glauben an die Liebe, lassen sie aber nie stattfinden. Am Ende der | |
„Fahrt“ bahnt sich zwar eine echte Beziehung an, doch die scheitert sofort | |
an Krebs. | |
Das ist doch ein Happy End, die haben zumindest mal hingeguckt. Das ist | |
furchtbar, aber so ist das Scheißleben. Da kann ich nichts für. | |
Auch Sex ist kein Thema mehr. | |
Soweit ich mich entsinne, stand Sex in den anderen Büchern immer für eine | |
Unfähigkeit. Also, die Wurst da rein, das hat mich nie interessiert. Ich | |
bin vermutlich prüde, die Körper ekeln mich an. Und jetzt machen sie es | |
eben gar nicht mehr, jetzt lesen sie lieber ein gutes Buch. | |
Was liegt denn auf Ihrem Nachttisch? Deutsche Gegenwartsliteratur? Oder die | |
Gala? | |
Genau, aus der Gala bezieh ich mein ganzes Fachwissen. In-Touch ist noch | |
besser. Großes Blatt, große Wissenschaftszeitung, so mit Stars und | |
Cellulitis eingekringelt. Auf meinem Nachttisch liegen eigentlich nur | |
Thriller. Schöne, blutrünstige Thriller von Tess Gerritsen. Bauch | |
aufschneiden und Gedärme raus, so was. | |
Darauf haben Sie in Ihrem neuen Roman weitgehend verzichtet. Der Ton wirkt | |
weniger scharf als früher. | |
Ja, er ist gedärmfreundlicher, könnte man sagen. | |
Ist Ihr Blick auf Menschen milder geworden? Man hat den Eindruck, Sie haben | |
Mitleid mit diesen Figuren, die ratlos um den Globus stolpern und | |
vergeblich ihr Glück suchen. | |
Mitleid habe ich immer gehabt, das hab ich ja auch mit mir selbst. Ich mag | |
Menschen vereinzelt, nicht im Fußballstadion, aber es hat mich früher | |
einfach mehr aufgeregt, dass die Leute so doof sind. Me too, da kannst du | |
nur verzweifeln. Da hatte ich früher mehr Wallungen. | |
In Ihrem vorletzten Buch ging die Welt unter, nun haben Sie den Globus nach | |
Utopien abgesucht. Woran arbeiten Sie jetzt? | |
Jetzt kommen nur noch Tierbücher, über kleine Rehkitze und so. Ach, ich hab | |
keine Ahnung. Ich habe gerade zwei Theaterstücke fertig gemacht und würde | |
jetzt irrsinnig gern ein Jahr lang im Bett liegen und nur TV-Serien gucken. | |
Aber das geht nicht, jetzt muss man halt wieder irgendwas produzieren. Was | |
soll ich denn machen, ich kann ja nicht plötzlich Familiensagas oder Krimis | |
schreiben. Ich bleibe beim Genre der Forschungsberichte. | |
Warum schreiben Sie für das Theater, obwohl Sie es in früheren Kolumnen | |
nicht sehr ernst nehmen konnten? | |
Ich fand Theater immer ziemlich doof und langweilig. Dann habe ich René | |
Pollesch gesehen und dachte, es geht doch auch anders. Den verehre ich in | |
hohem Maße. Jetzt denke ich, ach, die ganzen Zahnärzte müssen ja auch etwas | |
machen in ihrer Freizeit. Lass sie doch, tut ja keinem weh. Älter werden | |
macht milder. | |
Wie möchten Sie im Alter sein? | |
Ein bisschen weniger eitel wäre ich gern. Aber das krieg ich nicht ganz | |
raus. Mich ficht schon noch an, was andere Leute denken. Und manchmal nervt | |
es mich, dass ich so einen erzieherischen Tick habe. Wenn ich mit einem | |
Abstand altes Zeug lese, denke ich: Mann, ist das klugscheißerisch. Ich war | |
dann so in Rage und glaubte wirklich, es würde irgendeine Sau | |
interessieren, was ich an Weltverbesserungsvorschlägen habe. | |
Hat Ihnen reisen nie Spaß gemacht? | |
Doch, nach dem ersten Buch, als die Medienwelt meine Geschichten haben | |
wollte. Damals konnte ich für das Zeit-Magazin überallhin, wohin ich | |
wollte. Und das als alter Ossi, ich bin ja nicht groß rausgekommen. Das war | |
toll, da bin ich gierig überallhin gefahren, immer mit einem | |
Kampffotografen voraus. Ist ja nicht schlecht, wenn der Mann zuerst auf | |
eine Tretmine tritt. | |
Sie mögen Männer nicht? | |
Doch, die sind ja ganz rührend. Aber wir haben noch keine | |
Gleichberechtigung, und dagegen wende ich mich. Mein Klischee: Ich halte | |
Männer für die unterlegene Rasse. Männer sind einfach nicht in der Lage, | |
sozial zu denken, an irgendetwas außer ihren Machtpositionen interessiert | |
zu sein. Und ich kann Personen nicht ernst nehmen, die sich über ihre | |
Gefühle nicht im Klaren sind. | |
Was ist in der Evolution falsch gelaufen? | |
Na ja, das mit der physischen Überlegenheit führte in die falsche Richtung. | |
Männer sollten die Äcker bestellen und den Müll runterbringen, aber da fing | |
das Missverständnis an. | |
10 Oct 2007 | |
## AUTOREN | |
IRENE GRÜTER | |
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