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# taz.de -- Alles Damenhafte schwindet, wenn sie Gitarre spielt
> Ich liebe dich / Aber ich bin stark / Also zisch ab: Joan Armatrading,
> Singer-Songwriterin einer weiblichen Education sentimentale, trat in
> Berlin auf
Die große Zeit Joan Amatradings liegt schon eine Weile zurück. Im April
1980 schaffte sie in Deutschland den Durchbruch mit Hilfe des WDR und des
urzeitlichen Musikfernsehens: dem „Rockpalast“. Es ist heute kaum
nachvollziehbar, aber damals freuten sich Jugendliche wochenlang auf die
nächste „Rockpalastnacht“, in Gruppen traf man sich in Clubs und
Partykellern, um die Übertragung aus der Grugahalle anzuschauen. Und dann
sah man in so einer Nacht zum ersten Mal eine schwarze Frau als
Singer-Songwriterin – aber keine Folksängerin wie etwa Joan Baez, sondern
eine junge, coole Frau mit elektrischer Gitarre und funky Sounds und tollen
Texten, erzählerische Popmusik mit Reggae und Soul!
Joan Armatrading trug zur Education sentimentale einer ganzen Generation
junger Frauen bei. Ihre unvergessliche Stimme mit dem warmen Klang glühte
auf in Songs wie „Love and Affection“ und „Show some Emotion“, die das
Schöne und Quälende der Liebe besingen, aber immer einen Ausweg wissen: Du
hast mir das Herz gebrochen, es ist schlimm, aber jetzt musst du leider
gehen, weil es genug ist, und ich werde jetzt wieder Spaß haben. Der NME
irrte auch damals schon, als er über Armatrading urteilte: Sie hat sich in
eine Sackgasse formelhafter Popmusik verrannt, nach dem wiederholten
Schema: Ich liebe dich / Aber ich bin stark / Also zisch ab.
In den Jahren der Irrungen und Wirrungen, der Selbstfindungsversuche und
ersten großen Verletzungen war Joan Armatrading Seelentrost und Stärkung,
weibliche Befreiungsphilosophie mit den Mitteln des Singer-Songwritertums.
Das punkige „Me myself I!“ feierte die Freude am Alleinsein, formuliert
dieses weibliche Begehren aber lange nicht so platt wie die gängigen
feministischen Selbstermächtigungsparolen. Heute wird Joan Armatrading gern
als Identifikationsfigur der Zeit zwischen Frauen- und Friedensbewegung
beschrieben; dabei hat diese Rolle etwas später die jüngere Tracy Chapman
übernommen, die mit einer ähnlichen Stimme und etwas plakativeren Slogans
wie „Talkin’ about Revolution“ ein größeres Publikum erreichte. Armatra…
schien von der Bildfläche verschwunden zu sein, veröffentlicht aber in
regelmäßigen Abständen neue CDs und hat seit 2004 eine eigene Radioshow bei
der BBC. Die aktuelle CD „Into the Blues“ ist das erste Studioalbum seit
vier Jahren, zum Glück finden sich darauf nicht die üblichen Traditionals
und Coverversionen, Armatrading entwickelt ihre eigenen Blues-Versionen.
Am Samstagabend fanden sich im gut gefüllten ColumbiaFritz nicht nur Fans
ihrer Altersklasse – Armatrading ist 1950 auf der Karibikinsel St. Kitts
geboren –, sondern auch viele Jüngere ein. Im schwarzen, fließenden
Bühnenanzug der Grande Dame kommt sie auf die Bühne – aber alles Damenhafte
schwindet, wenn sie Gitarre spielt. Sie setzt die elektrische Gitarre für
ausschweifende Akzente und Verzierungen ein und versteigt sich als
hervorragende Gitarristin auch zu Hendrix’schen Soloarabesken.
So ist die Band ungewöhnlich zusammengestellt: Der Schlagzeuger spielt auch
mal Saxofon, das Keyboard liefert die Akkorde und übernimmt so die Arbeit
der Rhythmusgitarre. Das Publikum ist Joan Armatrading treu ergeben, die
ersten Reihen singen auch die schwierigsten Melodien zart und ergriffen
mit, das scheint ein eingeübtes Ritual von Fans zu sein, die über viele
Jahre hinweg immer zu den Konzerten kommen. Nach der Show erweisen sich die
Best-Agers unter den Fans wieder einmal als vorbildliche Käuferschicht: Sie
drängen sich um den Tisch mit den Merchandising-Artikeln, zücken brav die
Portemonnaies und holen sich die neue CD.
CHRISTIANE RÖSINGER
22 Oct 2007
## AUTOREN
CHRISTIANE RÖSINGER
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