# taz.de -- „Den Alltag mit neuen Augen sehen“ | |
> Die in Hamburg und Paris lebende Susan Chales de Beaulieu hat einen | |
> Dokumentarfilm über ein intimes System gedreht: In „Das ist meine Küche“ | |
> geht es um das Verhältnis von sechs Frauen zu einem Ort, der auf den | |
> ersten Blick banal und alltäglich erscheint | |
taz: Frau Chales de Beaulieu, in Ihrem Dokumentarfilm „Das ist meine Küche“ | |
geht es um Frauen, die ihre Küche beschreiben. Warum haben Sie keine Männer | |
befragt? | |
Susan Chales de Beaulieu: Man hat mir oft diese Frage gestellt, die mir | |
nicht als der interessanteste Blickwinkel erscheint, um diesen Film zu | |
erfassen. Ich habe mich aufgrund dieses symbolisch beladenen Raumes ganz | |
bewusst an Frauen gewandt. Die Küche ist ein Ort, auf den Frauen über | |
Jahrhunderte festgeschrieben worden sind. Mich hat interessiert, wie Frauen | |
heute diesen Raum beschreiben. | |
Wollten Sie damit einen kulturellen Wandel der Rolle der Frau in der Küche | |
untersuchen? | |
Nein, ganz und gar nicht. Es handelt sich nicht um eine soziologische | |
Arbeit. Dazu ist sie viel zu unsystematisch. Es ist vielmehr eine | |
Momentaufnahme, eine Studie der Aufmerksamkeit. | |
Es sollten also auch keine feministischen Theorien zum Tragen kommen. | |
Es ist nicht so, dass mich feministische Theorien nicht interessieren, denn | |
ich bin als Frau engagiert in der Welt und in der Kunst. Aber hier war | |
meine Neugier, sechs Frauen zu befragen, von denen ich im Voraus wusste, | |
dass ihre Antworten spontan sein würden. Sechs verschiedene Charaktere, | |
jede eine starke Persönlichkeit. Ein anderer Aspekt, und es ist der, der | |
mir am politischsten erscheint, war, darunter einigen Frauen das Wort zu | |
geben, die vermutlich selten zu Wort gebeten werden. | |
Was ist denn so besonders an der Küche? | |
Wenn man diesem Raum Zeit und Aufmerksamkeit widmet, gibt es ganz | |
erstaunliche Dinge zu entdecken. Mich hat interessiert, diese Dinge | |
aufzuspüren. Also eine Forschungsreise in diesen Raum zu unternehmen. Man | |
muss den Alltag mit neuen Augen sehen und ich glaube, dass Kunst ein Mittel | |
dazu sein kann! | |
Wie gestaltete sich diese Forschungsreise? | |
Ich bin empirisch vorgegangen, ohne eine vorgefasste Botschaft vermitteln | |
zu wollen. Ich hatte es mit Frauen zu tun, die diesem Projekt gegenüber | |
eine Neugier und Sehnsucht verspürten, sich auf etwas einzulassen, von dem | |
sie nicht genau wussten, wohin es führen würde. Eine Lust am Risiko, die | |
dieser Reise eine große Lebendigkeit und Erfindungskraft verliehen hat: die | |
Küche als Labor, gewissermaßen. | |
Und was haben Sie herausgefunden? | |
Bei der Küche hat man es mit einem intimen System zu tun, das uns so nahe | |
ist, dass wir es fast nicht wahrnehmen. Die Küche ist banal und alltäglich. | |
Sie hat meistens nichts Spektakuläres oder Repräsentatives an sich, wie zum | |
Beispiel das Wohnzimmer, das auch meistens die Verbindung zur Außenwelt | |
darstellt. Ich habe sechs Frauen gebeten, mir ihre Küchen zu beschreiben. | |
Es hat mich interessiert zu erfahren, welche Worte sie benutzen, um diesen | |
Ort zu beschreiben, welche persönlichen Ordnungssysteme sie in ihren | |
Schränken und in ihren Schubladen geschaffen haben und welche Wahrnehmung | |
sie Objekten und Geräten gegenüber zeigen. Und das Interessante war, dass, | |
während sie ihre Küchen beschreiben, sie sich selbst beschreiben. Die | |
Beschreibung der Küche wandelt sich zu einer Selbstbeschreibung, die | |
gleichzeitig auch etwas von einer generellen Beziehung der Welt gegenüber | |
offenlegt. Über sich selbst zu sprechen, ist ein schwieriges Unterfangen. | |
Schaltet man aber etwas davor, wie hier den Mikrokosmos der Küche, öffnet | |
man ein neues Feld an Möglichkeiten, sich selbst auszudrücken. Ich glaube, | |
es ist das, was ich den Frauen vorgeschlagen habe. | |
Was hat Sie zu diesem Film inspiriert? | |
Mich haben immer schon Filme beziehungsweise Autoren interessiert, die mit | |
einem Minimum an Mitteln, konzentriert auf eine kleine Gruppe Individuen | |
oder konzentriert auf einen Ort, quasi kammerspielartig, etwas | |
Erstaunliches zutage fördern, wie zum Beispiel Frederick Wiseman in „The | |
Store“ oder auch Marguerite Duras in ihrer Reflexion einer Intellektuellen | |
über ihre Beziehung zu den alltäglichen Dingen in ihrer Küche und in ihrem | |
Haus in „La vie matérielle“. Es ist wie mit der literarischen Form des | |
Essays: ein begrenztes Thema, das paradoxerweise eine weite Reflexion | |
ermöglicht. | |
Würden Sie sagen, dass jedem Unbedeutendem etwas Komplexes zugrunde liegt? | |
Genau. Schlichte Küchengeschichten können große Lebensfragen erwecken. | |
Interview: Jan Dreyling | |
„Das ist meine Küche“ läuft heute, 18 Uhr, Hauptgebäude der Universität | |
Flensburg, am 28. 10. um 13:30 Uhr im Abaton-Kino in Hamburg und am 2. 11. | |
um 20 Uhr im Industriemuseum Elmshorn | |
24 Oct 2007 | |
## AUTOREN | |
Jan Dreyling | |
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