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# taz.de -- Männer
Die Herrenrunde ist komplett. Martin Rheinländer hat jeden einzeln gefragt,
ob er ihn umarmen darf, alle haben verblüfft zugestimmt. Die „Alters“-Runde
hört nicht auf zu reden, wir fangen einfach parallel an. Und müssen
schleunigst die Rockfrage klären.
Herr Pickert, Sie sind bekannt geworden als der Mann im Rock. Wo ist er,
Ihr Rock?
Nils Pickert: Es ist kalt draußen, da tragen Frauen auch keine Röcke. Ich
bin auch kein wirklicher Crossdresser, ich habe das für meinen Sohn
gemacht. Weil er Röcke und Kleider tragen wollte und deswegen ausgelacht
wurde. Krass. Dabei läuft die halbe Gothic-Szene im Rock herum.
Gerhard Hafner: Und bei den Schotten ist der Schottenrock ein Männersymbol.
Pickert: Meine Frau kann seit fünf Jahren als Gleichstellungsbeauftragte
noch so viel bewirken, das beachtet man kaum. Aber wenn ich als Mann einen
Rock anziehe, dann ist das plötzlich der Aufreger.
Haben Sie viel Homophobie erlebt?
Pickert: Ja. Zu mir kamen Eltern, die darunter leiden, dass ihre Kinder
crossdressen. Sie hatten Angst, dass ihr Sohn schwul wird. Sie kamen nicht
damit zurecht, dass ich überhaupt nicht leide.
Versuchen Sie, eine anderes Bild, eine andere Fiktion von Männlichkeit
herzustellen?
Pickert: Männlichkeit ist doch das, was Männer tun. Aber Männlichkeit wird
häufig zu einer Fiktion gemacht. Und dann werden Regeln aufgestellt: Wir
müssen fischen gehen oder besonders stark sein, nicht weinen. Männer müssen
diese Kriterien erfüllen, um als Männer zu gelten. Aber die Situation ist
komplett anders. Wenn ich einen Mann liebe als Mann, ist das männlich. Wenn
ich jemanden streichle als Mann, ist auch das männlich. Außerhalb von
Männern existiert dieses Konzept nicht. Es wird trotzdem so getan, als wäre
das eine eigenständige Größe, die ständig auf Männer zurückwirkt und ihnen
sagt, was sie zu tun und zu lassen haben.
Sie sind also nicht der berühmte „neue Mann“? Das ist auch eine Fiktion �…
Pickert: In der Schweiz wurde ich mal als der „maximal emanzipierte Mann“
bezeichnet. Das war als Beleidigung gemeint. Ich fand es eher süß.
Herr Rheinländer, auf Ihrer Homepage steht, dass Sie Männer trainieren, die
Frauen „verführen und führen“ lernen sollen. Wollen Sie den traditionellen
Mann?
Martin Rheinländer: Nein. Meiner Männergruppe und mir geht es eher darum,
dass Männer Kontakt zu sich selbst finden. Wer bin ich? Was sind meine
Emotionen? Wie lebe ich diese aus?
Warum steht das Mannsein dabei so im Vordergrund?
Rheinländer: Weil ich meine Männlichkeit am besten im Kontakt mit anderen
Männern erfahren habe. Sobald Frauen dabei sind, schwingt für mich etwas
Sexuelles mit.
Gerhard Hafner: Das klingt, als ob Sie mit der Gruppe etwas finden wollen,
das schon jahrtausendealt ist. Dabei hätten Sie ja auch etwas komplett
anderes finden können, zum Beispiel Erzieher zu werden.
Rheinländer: Ich bin gelernter Krankenpfleger, damit schon in einem
typischen Frauenberuf. Mir geht es um etwas komplett anderes, ums
authentische Mannsein.
„Frauen verführen und führen“, heißt es auf Ihrer Homepage. Das klingt n…
traditioneller dominanter Männlichkeit.
Rheinländer: In der Tat melden sich auch viele Interessenten der
Pick-up-Szene …
… Männer, die versuchen, Frauen mit fragwürdigen emotionalen Tricks
rumzukriegen. Manche werden gewalttätig.
Rheinländer: Wenn wir mit denen reden, kriegen die ein neues Verständnis
dafür, dass diese Tricks nicht notwendig sind.
Was nun, führen oder nicht führen?
Rheinländer: Ich führe gern, lasse mich aber auch führen. Ich finde es
toll, die Verantwortung zu übernehmen, aber auch, mich hinzugeben und
getragen zu werden. Zum Beispiel von einer Frau.
Die Runde kommt überein, dass Rheinländers Homepage ein trojanisches Pferd
ist: Viele, die Anmachtipps erwarten, dürften enttäuscht sein. Das ist
Martin Rheinländer egal. Wir suchen weiter nach dem traditionellen
Männerbild. Vielleicht beim Psychologen Gerhard Hafner?
Herr Hafner, Sie arbeiten mit gewalttätigen Männern. Solch ein flexibles
Männerbild haben viele Ihrer Klienten nicht, oder?
Gerhard Hafner: Meist wird es erst richtig problematisch, wenn Kinder
kommen. Heute ist es nicht mehr so, dass sich die Frau um alles kümmert.
Statt flexibel zu sein, halten viele Männer an den traditionellen
Vorstellungen fest und es kommt nicht zu einem produktiven Streit, sondern
zu Gewalt.
Männer, die nicht mehr weiterwissen, fallen zurück in die dominante Rolle?
Hafner: Sie sehen sich als Familienernährer und fragen sich nicht, wie man
Haus- und Erwerbsarbeit neu aufteilen kann. Wenn dann Frauen, wie es häufig
ist, verbal dominieren, versuchen Männer, ihre vermeintliche Schwäche mit
Gewalt zu kompensieren.
Diese Männer empfinden die Frau als dominant und müssen sich wehren?
Hafner: Sie beschreiben sich oft als Marionette, als Opfer der Frauen. Sie
identifizieren die Frauen mit ihrer dominanten Mutter oder mit einem
„Flittchen“, das untreu ist, der Hure. Das ist eine sehr alte
Unterscheidung.
Der Nachwuchs von Nils Pickert scheint etwas anderes zu lernen. Außer er
gerät in die Rosa-Hellblau-Falle, Herr Verlan?
Der Germanist und Historiker hat mit seiner Frau Almut Schnerring das Buch
„Die Rosa-Hellblau-Falle“ geschrieben. Darin zeigen sie, wie die
Geschlechterrollen von Kindern geformt werden.
Sascha Verlan: Das, was auf unsere Kinder hereinprasselt, ist in den
vergangenen Jahren leider wieder sehr traditionell. Das konnten wir uns
noch vor fünf Jahren nicht vorstellen. Ein Beispiel: Playmobil hat jetzt
eine Mädchenreihe. Da geht es um Kita, ums Fitnessstudio, um Kochen und
Shoppen. In dieses Frauenbild sollen Kinder spielerisch hineingedrängt
werden.
Wie sieht die Jungsreihe aus?
Verlan: Krieger, Weltraum, Monster. Um hier Grenzen zu überschreiten, muss
ein Junge nicht mal einen Rock anziehen, da reichen schon lange Haare.
Jungs, die auffallen, brauchen ein besonderes Selbstbewusstsein, Eltern
müssen ihnen innere Stärke mitgeben.
Woher kommt der Rollback in den Geschlechterrollen?
Verlan: Das macht die Spielwarenindustrie. Wenn klargestellt ist, dass der
nachgeborene Sohn das rosa Fahrrad seiner Schwester nicht benutzen wird,
dann kann man zwei Fahrräder verkaufen. Und Eltern wundern sich, weil sie
glauben, sie hätten ihre Kinder ganz neutral erzogen. So schnell entsteht
der Glaube, dass wohl doch die Biologie schuld sein muss.
Was halten Sie dagegen?
Verlan: Wir haben leider nie wirklich versucht, unsere Kinder
gleichberechtigt zu erziehen. 2014 kriegen Jungs noch immer mehr
Taschengeld als Mädchen. Ebenso ist es völlig normal, dass Mädchen im
Haushalt mehr mithelfen müssen.
Volker Handke rutscht auf seinem Stuhl herum.
Herr Handke, Sie schnaufen.
Volker Handke: Der These von den faulen Männern im Haushalt ist
entgegenzuhalten, dass sie stärker erwerbstätig sind als Frauen. Männer
drücken sich nicht vor dem Haushalt, sie machen nur eine andere Arbeit. Die
Rede vom Care-Gap empfinde ich als ideologisch.
Hafner: Erwerbs- und Hausarbeit gleichzusetzen, erachte ich als schwierig.
Wenn Frauen mehr schlechte oder gar nicht bezahlte Care-Tätigkeiten machen,
haben sie weniger oder gar kein Geld. Das kann man nicht ignorieren.
Handke: Selbstverständlich bin ich für ein egalitäres Verhältnis zwischen
den Geschlechtern. Aber die traditionelle Konstellation sieht eben vor,
dass der Mann arbeitet und mit seinem Geld die Sorgearbeit der Frau
subventioniert: Der Mann gibt sein Geld zu Hause ab.
Verlan: Das Haushaltsgeld. Sie darf sich auch mal ein Kleid kaufen.
Volker Handke vertritt eine Art „Mittäterschaftsthese“: Frauen konstruieren
das Patriarchat mit. Wie ist die genaue Position der Frauen in diesem
Konstrukt?
Handke: Die Frage „Wie kriegt man mehr Frauen in die Erwerbstätigkeit?“ ist
die Kehrseite der Frage „Wie kriegen wir mehr Männer in die Sorgearbeit?“
Hafner: Es gibt viel mehr Frauen, die arbeiten gehen wollen, als Männer,
die in Care-Tätigkeiten drängen.
Handke: Frauen bevorzugen ökonomisch potente Männer. Und sie üben oft eine
hegemoniale Mutterschaft aus, wo der Mann außen vor bleibt. Das ist die
feministische Kröte: Frauen müssen aus der Sorgearbeit rausgeworfen werden.
Verlan: Wie sollen Jungs denn Fürsorgearbeit lernen? Wenn Jungs mit einer
Puppe spielen, werden sie beispielsweise von Erzieherinnen in ihre
Schranken gewiesen. Als Männer sagen sie dann später, dass sich Frauen
kümmern müssen. Es gibt Puppenmuttis, aber keine Puppenväter.
Pickert: Wenn ein Junge einen Rock trägt, sich die Nägel lackiert, sich
kümmern will, weich, lieb und zärtlich ist, dann wertet er sich in den
Augen der Gesellschaft selbst ab. Dann ist er „ein Mädchen“, schwach und
weinerlich.
Handke: Diese Zuschreibungen halte ich für falsch. Ist es nicht eher so,
dass Männer ebenso unter den derzeitigen Geschlechterverhältnissen leiden?
Sie sterben beispielsweise früher als Frauen. Mit der Aufwertung von
Männlichkeit kann es also nicht so weit her sein.
Pickert: Wenn Männlichkeit damit assoziiert wird, schnell und gefährlich zu
leben, Drogen zu nehmen, den Hals zu riskieren, dann ist es nicht
verwunderlich, dass die Lebenserwartung von Männern nicht so hoch ist wie
die von Frauen. Und Sie meinen doch nicht ernsthaft, dass es eine Abwertung
ist, wenn zu einem Mädchen gesagt wird: Du Junge? Wird ein Junge als
Mädchen bezeichnet, ist das als Beleidigung gemeint.
Handke: Das ist eine sehr klassische Argumentation. Männer haben selber
schuld, wenn sie früher sterben.
Pickert: Das ist die Schuld eines Männlichkeitsbildes, dem Männer scheinbar
zu folgen haben.
Handke: Die taz berichtete neulich über 800 Frauenmorde in Mexiko. In der
gleichen Zeit wurden dort 2.000 Männer ermordet. Die männlichen Opfer
werden banalisiert, die weiblichen skandalisiert.
Hafner: Natürlich können Männer auch Opfer sein. Aber das liegt doch nicht
an den Frauen.
Pickert: Und die Mädchen haben nicht die Wahl. Nicht die Wahl, dick zu
sein, nicht die Wahl, nicht normschön zu sein. Sie können Wissenschaftlerin
werden, aber sie müssen bitte trotzdem aussehen wie ein Topmodel. Bei den
Mädchen sind die Essstörungen auf dem Vormarsch. Sexismus ist ein
gesamtgesellschaftliches Problem. Die Geschlechter sitzen in einem Boot. Es
ist egal, ob das Loch auf der linken oder der rechten Seite ist – das Boot
sinkt so oder so.
17.40 Uhr: Nina Kiel setzt sich dazu und zeichnet ein Porträt.
Herr Rheinländer, was passiert, wenn jemand in Ihr Training kommt und sagt:
Ich bin unglücklich, weil ich so unmännlich aussehe?
Rheinländer: In der Werbung werden perfekte Körper präsentiert. Aber das
ist egal. Charisma kommt von innen heraus. Man muss sich selbst lieben.
Handke: Wir sind aber soziale Wesen, uns ist wichtig, was andere über uns
denken und sagen.
Männlichkeit stärken, heißt auch, Schwächen an sich entdecken dürfen?
Rheinländer: Natürlich. Viele Männer fühlen sich minderwertig, zum Beispiel
im Bezug auf Frauen. Gerade wenn es um Liebe und Sex geht und sie sehen,
dass Frauen damit weniger Probleme haben. Das macht manche Männer wütend
auf Frauen.
Das klingt danach, als hätten die Männer, die zu Ihnen kommen, ein
ähnliches Problem wie die gewalttätigen Männer, die Herr Hafner betreut.
Rheinländer: Ich höre tatsächlich oft: Ich will Kontrolle haben über
Frauen. Über Sexualität, über den Beruf.
Pickert: Der Mann als Macher.
Rheinländer: Den Männern sage ich: Kontrolle hast du nur über dich selbst.
Alles andere kannst du nicht kontrollieren.
Handke: Ich glaube, viel Unglück könnte vermieden werden, wenn wir dieses
Männlichkeitsbild abbauen. Es entsteht durch den Widerspruch, dass
Männlichkeit angeblich so etwas Tolles ist, und im Alltag erfährt man das
Gegenteil. Das ist eine Quelle für Wut.
Hafner: Es ist ja heutzutage durchaus noch ein Problem, wenn der Mann
meint, er bringt nicht das Mammut nach Hause, sondern die Frau bringt das
Mammut nach Hause. Wenn der Mann sich davon lösen könnte, wäre es schön.
Ich glaube, darauf können wir uns einigen.
7 Mar 2015
## AUTOREN
ANNA BÖCKER / SONJA EISMANN / INES KAPPERT / HEIDE OESTREICH / MARTIN REICHERT…
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