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# taz.de -- ACHSE DES TECHNO VON JULIAN WEBERMinimal, gütig und brutal
Thomas Melchior wird unter Minimal einsortiert, aber er produziert
Monumentalarchitektur-Musik. Gütig und brutal klingen seine Tracks, zum
Greifen nah und doch unerreichbar. „No Disco Future“ ist das zweite
Soloalbum des Engländers, der zwischen Berlin und Salvador de Bahia
pendelt, im Wahnsinn der Berliner Afterhour den Überblick behält und in der
Abgeschiedenheit des brasilianischen Nordostens nach Beats forscht. Wenn
House einmal auf Euphorie basierte, dann pulverisiert Melchior den Jubel in
die Einzelteile. Wortfetzen verlieren sich in riesigen Hallfahnen. Räumlich
näher sind die Synthiespuren und Geräusch-Mikrosamples angeordnet. Sie
verzieren das Beatdesign, die eigentliche Melodie wird meist von den Drums
erzeugt, die auch jenseits der geraden Bassdrum-Diktatur hypnotisieren. Der
Bass bleibt konsequent am Boden und ist so mächtig, dass sich das Vinyl
ohne Zusatzgewicht auf dem Tonarm gar nicht abspielen lässt. „No Disco
Future“ lässt sich dennoch nicht bis zu Ende lesen.
Wie schon beim Debüt „The Meaning“ erschließt sich kein innerer
Zusammenhang. Für sich genommen stehen die Tracks dagegen perfekt. Das hat
mit dem Selbstverständnis zu tun: Melchior blickt zwar auf eine rund
20-jährige Laufbahn als Musiker und DJ zwischen Dee-Lite-Begleitband und
dem Anything Goes der frühen Londoner Technoszene zurück. Lieber schlägt er
kurz und trocken zu wie ein philanthropischer Comic-Superheld, um dann
lautlos im Nebel zu verschwinden.
Melchior Productions: „No Disco Future“ (Perlon)
## Diese Bleeps sind voller Geschichte
Der schottische Technoproduzent und Animationdesigner Neil Landstrumm hat
jahrelang Brettertechno produziert. Sein Album „Restaurant of Assassins“
ist anders: Es steckt voller Geschichte. Landstrumm nimmt sich den Bleep-
und Clonk-Sound der späten Achtziger vor und macht die Breakbeats des
Jungle wieder lebendig. Das hat Rückgrat und zeigt die Verwandtschaft zum
aktuellen Dubstep. „Restaurant of Assassins“ untermauert auch die
Freundschaft zwischen Techno und Dubstep. MCs führen durch die Tracks des
Albums, und Landstrumm lässt die Ahnengalerie von A Guy Called Gerald bis
Sweet Exorcist wie bei einem Dancehall-Abend kurz anklingen. Landstrumm
verortet ihre Musik als soziale Wegmarken, zeigt von der Dancehall zum
Rave, von der Diaspora zur Clubkultur. Die musikalischen Momente sind bei
„Restaurant of Assassins“ dramaturgisch genau getimet. Es ist auch ein
äußerst atmosphärisches Album, das an die euphorische Unwissenheit alter
DJ-Abende heranreicht. Dabei kommt dem Produzenten die nordenglische Sicht
zugute, die besagt, dass Acidhouse ohnehin härter und schneller von den DJs
aufgelegt wurde als im englischen Süden. „Restaurant of Assassins“
komprimiert diese verzweigte Geschichte auf Albumlänge. So ist auch noch
Platz, um vergessene Helden aufzubieten: Die Ragga Twins toasten ein
charmantes „Reverse Rebel“ ins Mikro. Auch sonst klingen die Sub-Lo-Töne,
die Amen-Breaks und Nebelhornsignale untot wie eh und je.
Neil Landstrumm: „Restaurant of Assassins“ (Planet Mu)
## Der Dancefloor rückt zusammen
Der Remix, eingeführter Bestandteil der Dancefloormusik, lässt sich auf das
Versioning im Dubreggae zurückführen. Reggae-Produzenten gaben mittels
Mischpult und Echoschlaufen ihre Version der Songgeschichte wieder.
Kommerzielles Kalkül war beim Remix dem Forschungsvorhaben untergeordnet.
Das hat sich schon vor langer Zeit geändert. Nicht jedoch für Pole alias
Stefan Bethke, der mit seinem Bassfilterknister-Musik eine eigenständige
Soundsignatur aus Dub- und Technoelementen entwickelt hat. Mit „Steingarten
Remixes“ gelingt ihm jetzt eine unerwartete Wiederbelebung des
Remix-Albumformats. Betke hat Originalversionen seines im Frühjahr
erschienenen Albums „Steingarten“ von zehn Produzenten bearbeiten lassen.
Die Auswahl zeugt von Geschmack. Da ist der Londoner Dubstep-Produzent
Shakleton genauso dabei wie Gudrun Gut, die Betreiberin des Berliner Labels
Monika. Da steht Mike Huckaby, ein afroamerikanischer House-Produzent aus
Detroit endlich einmal auf gleicher Höhe mit Thomas Melchior, der mit
seinem „Zodiac Remix“ eine subtonale Druckwelle auslöst. „Steingarten
Remixes“ deuten an, dass der Dancefloor insgesamt wieder enger
zusammengerückt ist. Für Ausdifferenzierungen bleibt keine Zeit, man
konzentriert sich aufs Wesentliche, zieht Handclaps als neue Ebene ein. Aus
Dub lässt sich eben nicht noch mehr Dub generieren, aber eleganter
langsamer Deephouse, wie ihn der Kanadier The Mole von Pole ableitet.
Pole: „Steingarten Remixes“ (Scape)
30 Nov 2007
## AUTOREN
JULIAN WEBER
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