# taz.de -- „Gina nazionale“ wird 65 | |
> ■ Oder sind es nur 60?/ Das einstige Italo-Symbol Gina Lollobrigida ist | |
> trotz Zweitkarriere als Fotografin fast vergessen/ Nicht genug Skandale? | |
Rom (taz) — Über ihr wahres Alter hat sie noch mehr als andere Diven | |
geheimnisvolle Schleier gebreitet: nach dem Geburtsregister ihrer | |
Heimatgemeinde Subiaco bei Rom ist es der 4. Juli 1927, doch nach ihrer | |
Version ist sie erst 1932 zur Welt gekommen. Gina Lollobrigida, einst | |
Italiens unbestritten populärste Repräsentantin, vermutet bis heute hinter | |
der Manipulation ihren Vater, der sie frühzeitig zur Arbeit heranziehen | |
wollte und so das Geburtsdatum der schon früh recht fraulich aussehenden | |
„Ginuzza“ nach vorne verschob. | |
Wie dem auch sei — die Frage des Alters blieb weithin die einzige große | |
Macke im Leben der Gina Lollobrigida, die im italienischen Nachkriegsfilm | |
wie keine andere Frau die Römerin schlechthin verkörpert hat. Was Anna | |
Magnani für die Generation vor ihr bedeutete, war die schwarzlockige „Gina | |
nazionale“ für die Halbstarken und die Teenager ebenso wie für die | |
Hausfrauen und die aufstrebenden Wirschaftsführer: eine Mischung aus | |
sehnsüchtig dem Mann ergebenen Frauchen und inwendig kochendem Vulkan von | |
Sehnsüchten. Eine treue Gefährtin und gleichzeitig das Weib, das immer | |
wieder durch seine Affekte ins Unglück stürzt. | |
Zunächst eher als Garnierung von Abenteurerfilmen wie Fanfan der Husar oder | |
als physischer Leckerbissen wie in den Schönen der Nacht eingesetzt, | |
schaffte sie Mitte der 50er Jahre den internationalen Durchbruch mit | |
Charakterrollen. So etwa 1954 in La Romana nach Alberto Moravias | |
gesellschaftskritischem Roman, oder 1956 in Victor Hugos Glöckner von Notre | |
Dame, wo sie eine bis heute unübertroffene Esmeralda zeigte und Anthony | |
Quinn regelrecht an die Wand spielte. Paris, London, Hollywood: wo immer | |
italienische Beteiligung gefragt war, kam Gina vor, und das Publikum lohnte | |
es mit Millionenbesuchen, so in den Puppen 1964 und Matalo 1971. | |
Zu dieser Zeit allerdings waren längst andere Sterne am Italohimmel | |
aufgegangen und machten ihr den ersten Platz streitig. Sophia Loren etwa | |
oder Claudia Cardinale; die Nackedeiwelle veränderte zudem die | |
Filmszenarien gründlich. Vor die Alternative gestellt, durch Skandale auf | |
sich aufmerksam zu machen, immer nacktere Rollen anzunehmen — in einem | |
ihrer letzten Filme mußte sie kleiderlos, bedeckt allerdings durch | |
Po-langes Haar, zu Pferde über die Breitwand hoppeln — oder abzutreten, | |
entschloß sie sich zu letzterem: „Der Film hat kaum mehr etwas zu geben“, | |
prophezeite sie, „das Fernsehen wird die Schauspielkunst weiter zerstören.“ | |
So begann sie eine zweite Karriere, die sie bis heute weiterpflegt und in | |
der sie nicht weniger erfolgreich ist als beim Film: sie wurde zu einer | |
großen Fotografin, veröffentlichte herrliche Bildbände über ihr Italien und | |
über die Menschen, die sie traf und trifft. | |
Ihr Land allerdings hat ihr diesen Berufswechsel bis heute nicht so recht | |
verziehen. Gina Lollobrigida ist in Italien weithin vergessen: keiner der | |
großen Fernsehsender widmet ihr zum Geburtstag auch nur eine | |
Filmwiederholung, geschweige denn ein angemessenes Porträt. Im Verzeichnis | |
der tausend wichtigsten Namen, vom Magazin 'Espresso‘ Mitte der 80er Jahre | |
herausgegeben, kommt sie schon nicht mehr vor; in den neuesten | |
Enzyklopädien werden allenfalls noch ihre Filme, nicht aber ihre | |
fotografischen Arbeiten erwähnt. Die landesweit verbreitetste Enzyklopädie | |
von Garzanti beschänkt sich auf lapidare zwei Zeilen: „Gina Lollobrigida — | |
die populärste Vollbusige Italiens in den 50er Jahren.“ | |
Gina Lollobrigida nimmt es hin. „Wahrscheinlich hätte ich mich öfter mal | |
scheiden lassen sollen, wegen Rauschgifthandel ins Kittchen wandern oder | |
wegen Steuerbetrugs ins Ausland flüchten“, sagt sie anzüglich über ihre | |
Kolleginnen, denen die Nachschlagewerke mehr Raum geben als ihr. | |
Vielleicht jedoch wird sie auch als eine der wenigen in die Annalen der | |
Filmgeschichte eingehen, die den Ausstieg geschafft haben, bevor sie, wie | |
viele ihrer Konkurrentinnen, in grauenhaften Filmserials allmählich | |
untergehen mußten. Werner Raith | |
4 Jul 1992 | |
## AUTOREN | |
werner raith | |
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