# taz.de -- Bischofferode gegen den Rest der Welt | |
> Die Kali-Kumpel aus Bischofferode beenden ihren Protestmarsch gegen die | |
> Schließung ihrer Grube vor der Treuhand / Statt der Grube soll die | |
> Treuhand dichtmachen ■ Aus Berlin Bascha Mika | |
Die Bischofferoder lernen die Welt kennen. Sie fahren nach Bonn und Berlin, | |
nach Brüssel und Rom. Sie konferieren, organisieren, demonstrieren. Sie | |
hungern und marschieren. Ihre Botschaft ist immer die gleiche: Das | |
Kali-Werk muß bleiben! Gegen Arbeitsplatzvernichtung! Bischofferode ist | |
überall! | |
Und alle zeigen mild-menschlich Verständnis: der Kanzler, die EG, sogar der | |
Papst. Er betet für sie. Nur werden sich die Treuhand und die | |
Mitteldeutsche Kali AG einen Dreck darum kümmern. Die wollen die Grube am | |
Ende des Jahres schließen. Und keiner der Verständnisvollen wird sie daran | |
hindern. Bis jetzt. Das müssen die Kumpel und Kumpelinnen schon selber tun. | |
Also ziehen sie am 1. September los. Vom katholischen Eichsfeld ins | |
protestantische Berlin. 439 Kilometer zu Fuß. 42 Kilometer am Tag. Wie | |
mittelalterliche Pilger, nur daß ihnen ein Begleitfahrzeug folgt und immer | |
eine Handvoll Polizisten. Eine kleine Gruppe, besessen von ihrer Mission, | |
die in Friesennerzen statt in härenen Gewändern steckt, als sie am | |
Donnerstag in der Hauptstadt den Marsch beendet. Hier wollen sie „einmal | |
mit der Treuhand das machen, was sie seit drei Jahren in Ostdeutschland | |
durchzieht: plattmachen“. | |
Eine Handvoll Menschen, für deren Protestzug noch nicht einmal die Straße | |
abgesperrt werden muß. Sie laufen auf einer Fahrbahn, vor, neben und hinter | |
ihnen der Stadtverkehr. Mal hupt einer aus Solidarität, mal winkt es aus | |
einem Fenster. Die meisten der Kali- KumpelInnen sind im Werk geblieben, | |
haben den Hungerstreik ausgesetzt, dafür ihre Grube besetzt und fahren | |
volle Produktion. | |
Die Bischofferoder verstehen sich als ein Symbol des Widerstands. Doch die | |
BerlinerInnen interessieren sich nicht sonderlich für Symbole, vielleicht | |
auch nicht für Widerstand. „Agitiert werden sie schon“, sagt eine | |
Bischofferoderin, „doch sie reagieren nicht.“ Statt mitzulaufen, bleiben | |
die Leute lieber am Straßenrand stehen, oder gleich zu Haus und im | |
Trockenen. | |
Doch wer sich auf Wallfahrt befindet, tut es vor allem um des eigenen | |
Seelenheils willen. Deshalb kann sie solche Ignoranz nicht erschüttern. | |
„Natürlich haben wir gute Laune“, verkündet ein Elektriker, der in | |
Bischofferode unter Tage arbeitet und jetzt in Berlin aus seiner Gummijacke | |
grinst, „wenn das Wetter dazu noch gut wäre, wär's kaum zum Aushalten.“ | |
Gute Laune ist es vielleicht nicht ganz, die die dreißig Leute ausstrahlen, | |
denen der Regen aus den Haaren tröpfelt. Eher Hartnäckigkeit, | |
Sendungsbewußtsein. Sie glauben mit ihren Protesten schon viel erreicht zu | |
haben. Die Bundesregierung habe sich bewegt, und die Landesregierung auch, | |
erzählen sie stolz. Die ganze Welt wisse jetzt, wo Bischofferode liegt. | |
Soviel Glauben kann die evangelische Pastorin, die ihre Gemeinde aus dem | |
Eichsfeld begleitet, immer neu begeistern. „Diese Menschen haben ganz viel | |
Kraft und Überzeugung!“ Und als Fachfrau für das Gute im Menschen weiß sie | |
auch, wo das Böse sitzt. „Die da oben“, sagt sie, „können denen hier | |
moralisch nicht das Wasser reichen.“ | |
So stur und wehrhaft, wie die Menschen aus der Region Eichsfeld immer | |
beschrieben würden, seien sie allerdings gar nicht. Seit 15 Jahren sei sie | |
dort Pfarrerin. In Eichsfeld würden traditionelle, konservative Werte | |
hochgehalten. „Daß sie auch so rebellisch sein können, hätte ich nicht | |
erwartet.“ | |
Auf dem Alexanderplatz, auf dem die RebellInnen kurz rasten, um mit der | |
Flüstertüte zu agitieren, stehen sie herum wie ein versprengtes Trüppchen. | |
„Vielleicht gibt's nebenan im Kaufhof ein Sonderangebot“, spottet ein | |
IG-Metaller aus Burg bei Magdeburg. Der hat sich vor Tagen dem Marsch | |
angeschlossen und gleich seinen Bürgermeister mitgebracht. | |
Daß sich in Berlin kein Kollege blicken lasse, irritiert den | |
Gewerkschafter. „Frag' mich, wo die Jungs bleiben“, sinniert er laut vor | |
sich hin. „Wahrscheinlich ist das nicht gewerkschaftskonform. Sollte uns | |
das nicht zu denken geben?“ Auch bei der Pressekonferenz, die die | |
Kali-KumpelInnen am Ende der Demonstration veranstalten, kommt die | |
Arbeitnehmervertretung nicht gut weg. Nicht zufällig haben die Kumpel das | |
Gefühl, daß es die Gewerkschaft mit den Kollegen im Westen hält. | |
Schließlich unterstützt die IG Bergbau den Fusionsvertrag der | |
Mitteldeutschen Kali AG, die das Aus für Bischofferode bedeutet. | |
Oder das wahrscheinliche Aus. Denn jetzt ziehen die KumpelInnen vor die | |
Treuhand, um Rabbatz zu machen, bis Mitternacht: „Heute: Große | |
Treuhandschließung!“ | |
17 Sep 1993 | |
## AUTOREN | |
bascha mika | |
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