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# taz.de -- Der Fall Pinochet und das Völkerrecht
> Experten bezweifeln, daß Chiles Ex-Diktator wegen „Terrorismus“ und
> „Völkermords“ ausgeliefert und verurteilt werden kann. Gäbe es einen
> Internationalen Strafgerichtshof, wäre die Rechtslage eindeutig  ■ Von
> Andreas Zumach
Genf (taz) – War Pinochets Festnahme in England auf der Basis eines
internationalen Haftbefehls spanischer Justizbehörden im Einklang mit dem
Völkerrecht? Wäre es Rechtens, den chilenischen Ex-Diktator von
Großbritannien nach Spanien auszuliefern und dort vor Gericht zu stellen?
Hätte zum Zeitpunkt der Pinochet-Diktatur der Internationale
Strafgerichtshof (ICC) existiert, dessen Statut im Juli von 120 Staaten
verabschiedet wurde, wären diese Fragen eindeutig zu beantworten.
„Völkermord“, „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, „Folter“ und
„Terrorismus“ – die Hauptvorwürfe gegen Pinochet im internationalen
Haftbefehl – fallen in die Zuständigkeit des ICC, wenn die nationale
Gerichtsbarkeit im Herkunftsland des Beschuldigten zu einer Strafverfolgung
nicht in Lage ist oder diese verweigert. Der Tatbestand der Unfähigkeit
bzw. Verweigerung ist erfüllt mit dem auf Pinochet und seine Mittäter
zugeschnittenen Amnestiegesetz Chiles und der Gewährung von Immunität vor
strafrechtlicher Verfolgung für den „Senator auf Lebenszeit“.
Das ICC-Statut zeigt zwar, daß die internationale Staatengemeinschaft
erhebliche Fortschritte gemacht hat im Bemühen, sich über die Definition
bestimmter Kernverbrechen und ihre strafrechtliche Verfolgung zu einigen.
Doch diese politische Argumentation schafft noch keine zwingende
juristische Handhabe für eine Auslieferung Pinochets und ein Verfahren vor
einem spanischen Gericht. Bieten die völkerrechtlichen Grundlagen, auf die
die spanischen Untersuchungsrichter ihren Haftbefehl stützen, diese
Handhabe?
Experten der Internationalen Juristenkommission (ICJ) – einer
regierungsunabhängigen Organisation – haben Zweifel bezüglich der Vorwürfe
„Völkermord“ und „Terrorismus“. „Terrorismus“ ist im Völkerrecht …
eindeutig definiert. Die nationalen Bestimmungen im Strafgesetzbuch
Spaniens reichen nach Einschätzung der ICJ-Experten wohl nicht aus, um die
Auslieferung Pinochets an Spanien durchzusetzen. Die Genozid- Konvention
der UNO von 1948 gilt zunächst nur für den Völkermord an „nationalen,
ethnischen, rassischen oder religiösen Gruppen“.
Ob sich die Konvention auf politische Oppositionsgruppen ausweiten läßt,
ist strittig. Zudem enthält die Genozid-Konvention nur Vorschriften für
eine Strafverfolgung durch die Behörden des Tatortstaates oder durch ein
(bislang nicht existentes) „Internationales Tribunal“ (Artikel 6).
Die Antifolterkonvention von 1984 läßt auch die Strafverfolgung durch die
Herkunftsländer der Opfer zu (Art 5). Damit sind spanische Gerichte
zumindest für die 79 spanischen StaatsbürgerInnen zuständig, deren
Verschwinden Pinochet im ersten Haftbefehl zur Last gelegt wird. Fraglich
ist dies mit Blick auf die 15 verschwundenen BürgerInnen
lateinamerikanischer Länder. Nach Artikel 5 der Antifolterkonvention wäre
es auch möglich, daß Pinochet von den Gerichten Großbritanniens der Prozeß
gemacht wird.
Nach Meinung der ICJ-Experten hätten die spanischen Untersuchungsrichter
ihren Haftbefehl statt auf die erwähnten Konventionen besser oder zumindest
zusätzlich auf die vier Genfer Konventionen von 1949 und ihre
Zusatzprotokolle von 1977 stützen sollen. Diese Konventionen zum
humanitären Völkerrecht gelten zwar in erster Linie Bestimmungen für
zwischen- und innerstaatliche Konflikte. Die Artikel 3 aller Konventionen
sowie im zweiten Zusatzprotoll verbieten jedoch jede Form von willkürlicher
Festnahme, Deportation, Mißhandlung, Terror oder Folter gegen Zivilisten,
die nicht oder nicht mehr aktiv an den innerstaatlichen Konflikten
beteiligt sind. Diese Bestimmungen lassen sich nach Überzeugung der
ICJ-Experten eindeutig auf Chile nach Pinochets Putsch anwenden. Und die
Durchsetzung der Genfer Konventionen sowie die strafrechtliche Ahndung von
Verstößen ist die völkerrechtliche Verpflichtung jedes Staates, der die
Konventionen ratifiziert hat. Nach Ansicht von amnesty international wurde
mit der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ vom Dezember 1948
„verbindliches Völkergewohnheitsrecht“ geschaffen und damit eine
ausreichende Basis für einen Prozeß gegen Pinochet in Spanien oder
Großbritannien.
24 Oct 1998
## AUTOREN
Andreas Zumach
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