# taz.de -- AUGUSTUS OHNE AURA? | |
> ■ Zwischen musealer Präsentation und Entmythologisierung | |
Nach Beuys nun also Augustus: Nach Hasenfellen, Fettwannen und Filzrollen | |
füllt jetzt die kühle Glätte weißen Marmors in augusteisch-klassizistischer | |
Formgebung die Räume des Martin-Gropius-Baus. Berlin als diesjährige | |
Kulturstadt Europas widmet derzeit dem Imperator Caesar Augustus eine | |
Ausstellung. Das gibt insofern einen Sinn, als dieser Herrscher in der Tat | |
einen großen Teil des heutigen Europas, und weite Gebiete darüber hinaus, | |
unter seine Herrschaft gebracht hatte. Die Größe seines Imperiums und die | |
von ihm begründete monarchistische Herrschaftsform waren es, die ihn vor | |
fünfzig Jahren den Faschisten in Italien und Deutschland empfohlen hatten: | |
Die letzte große, dem Prinzeps Augustus gewidmete Ausstellung fand aus | |
Anlaß seines 2.000sten Geburtstags 1937 in Rom statt. Der Duce Mussolini | |
und - nach Zustandekommen der Achse Berlin-Rom - auch Hitler stilisierten | |
Augustus zu ihrem antiken Ahnherrn. Wissenschaftler der Altertumskunde in | |
beiden Ländern scheuten sich nicht, die Nähe ihrer Zeit zur augusteischen | |
Epoche unter Beweis zu stellen. | |
Die politische Vereinnahmung des Augustus war indessen ein | |
traditionsreiches Phänomen. Galt sein Vorbild unangezweifelt bis zum Ende | |
der römischen Antike, so lebte er auch im abendländischen Mittelalter als | |
idealer Herrscher weiter, insbesondere, seitdem der „Augustus„-Titel seit | |
Karl dem Großen zum wesentlichen Element der Kaisertitulatur wurde. Für die | |
christliche Geschichtsschreibung des Mittelalters war darüber hinaus die | |
Gleichzeitigkeit von Christi Geburt und augusteischer Herrschaft Anlaß | |
genug, aus Augustus ein Werkzeug Gottes zu machen: Man begrüßte die | |
weltweite römische Herrschaft, die die Vielfalt der zuvor existenten | |
Staaten aufhob und damit die Ausbreitung des Christentums erleichterte. | |
Von da an fungierte der Prinzeps für die jeweils Herrschenden als positives | |
Beispiel staatlicher Ordnungsmacht. Neben dieser dem Augustus | |
wohlgesonnenen Rezeption gab es immer wieder auch kritische Stimmen, die | |
sich auf Tacitus stützen konnten, und meistens aus der Feder von Leuten | |
stammten, die mit der jeweils herrschenden Staatsform nicht einverstanden | |
waren. Typisch ist in dieser Hinsicht, daß Ludwig XIV. von seinen | |
Hofschreibern geradezu topoihaft mit Augustus verglichen wurde. Die | |
französischen Aufklärer, vor allem Voltaire und Montesquieu, sahen dagegen | |
dann in Augustus den hinterlistigen Tyrannen, der dem römischen Volk seine | |
Freiheit geraubt hatte. Die schillernde Herrschaftsform des Prinzipats, | |
jene Militärmonarchie hinter ziviler Fassade, bot sich seit jeher für die | |
verschiedensten Deutungen an. So durfte man gespannt sein, welcher Augustus | |
hier präsentiert werde. | |
Katalog, Prospekt und Pressemitteilung des auch diesmal binationalen | |
italienisch-deutschen Unternehmens formulieren einen begrüßenswerten | |
Anspruch: Man wolle gleichsam in einer Gegen-Ausstellung zu jener in Rom | |
vor fünfzig Jahren betriebenen Augustus-Idealisierung die augusteische | |
Kunst in kritischer Sachlichkeit zeigen. So uneinangeschränkt dies im | |
Katalog mit seinen qualitativ wertvollen Beiträgen deutscher und | |
italienischer Wissenschaftler gelungen ist, so sehr zeigt die Ausstellung, | |
wie schwierig es ist, die Macht der Bilder zu brechen. Wie kann man | |
ideologisch aufgeladene Kunstwerke zeigen, ohne daß diese zunächst | |
unmittelbar ihre ästhetische Wirkung entfalten? Die damit transportierten | |
Botschaften - Frieden, Weltherrschaft, Ruhe, Sicherheit und Prosperität - | |
zu relativieren, dazu bedarf es umfassenden historischen | |
Hintergrundwissens, das die kommentierenden Schrifttafeln kaum vermitteln | |
können. Sie haben ja zunächst und vorrangig die Aufgabe, die sich dem | |
heutigen Betrachter nicht ohne weiteres erschließende Ikonographie der | |
Exponate zu erklären. Denn die ausgestellten Objekte sind schön, doch | |
hinter der Schönheit versteckt sich eine Absicht. Man hat es nicht mit | |
einer l'art pour l'art zu tun, hier sollte eine politische Stimmung erzeugt | |
werden: ein allgemeiner, die neue Regierungsform tragender Konsens. | |
„Die Ausstellung ist der römischen Kunst zur Zeit der späten Republik und | |
des Augustus gewidmet“ - so steht es im Faltblatt. Sie will also nicht, wie | |
man vom Titel her zunächst annehmen kann, die historische Rolle des | |
Augustus in jenem politischen Transformationsprozeß darstellen, der die res | |
publica romana in die Monarchie überführte; man findet auch keine | |
Veranschaulichung des alltäglichen Lebens jener Zeit. Was es zu sehen gibt, | |
ist sozusagen in archäologischer Rein-Kultur, der künstlerische Überbau der | |
augusteischen Herrschaft. Die Exponate werden in der Tat meistens „ohne | |
Aura“, sachlich und unprätentiös präsentiert, in zehn nach Themen | |
geordneten Räumen (Architektur Sonnenuhr und Ara Pacis - Porträt - | |
Idealplastik Wandmalerei - Politische Programme - Religionspolitik | |
Darstellung der Beamten - Münzen und Gemmen - Römische Politik in | |
Germanien). Die im Titel ebenfalls genannte „verlorene römische Republik“ | |
kommt am ehesten noch in dem Raum mit den Porträts vor, wo es auch einige | |
Köpfe anderer Politiker und Zeitgenossen gibt. Hier findet sich zumindest | |
auch ein Hinweis auf Agrippa, jenen uneigennützigen Helfer des Prinzeps, | |
ohne dessen militärische und organisatorische Begabung Augustus nicht das | |
geworden wäre, was er war, der ihm die Schlachten gewonnen, der Rom mit | |
Wasserleitungen versorgt, der dort das imposante Pantheon gebaut hat. | |
Offensichtlich scheut man sich so sehr vor dem Verdacht eines | |
personalistischen Geschichtsbilds, daß man nicht einmal eine Zeittafel zum | |
biographisch-politischen Werdegang des Augustus aufhängen mochte, die ja | |
ohne weiteres mit einer tabellarischen Darstellung des allgemeinen | |
politischen Geschehens zu verbinden gewesen wäre. Dieser historische Rahmen | |
fehlt - oder ob man meint, ihn voraussetzen zu können? | |
Augustus, der Bezugspunkt aller überlieferter künstlerischer Aktivität | |
jener Zeit war, drängt sich aber wie von selbst immer wieder in den | |
Vordergrund. Deshalb wäre es wohl nicht nötig gewesen, die Augustus-Statue | |
von Prima Porta, freilich eines der beeindruckendsten Objekte, derart zu | |
inszenieren, wie dies geschehen ist - als alleiniges, illuminiertes Objekt | |
in einem abgedunkelten Raum. Andererseits: Steht man hier dem Ruhe und | |
Zuversicht ausstrahlenden, jugendlichen Augustus gegenüber, so mag man wohl | |
etwas von jener Wirkung ahnen, die die massenhaft im ganzen römischen Reich | |
verbreiteten Herrscherbildnisse erzielen sollten. In diesem Raum zeigt sich | |
der Konflikt der Ausstellung zwischen musealer Präsentation und | |
Entmythologisierung des Augustus besonders deutlich. | |
Ohne Zweifel gibt es für den Antikenfreund viel Sehenswertes. Hinzuweisen | |
ist insbesondere auf jene Reiterstatue aus Bronze, die auf Prospekt und | |
Plakat für die Ausstellung wirbt. Griechische Fischer fanden sie 1979 in | |
ihrem Netz, leider ohne das dazugehörige Pferd. Ihr Fang ist, nach Abschluß | |
der Restaurationsarbeiten, in Berlin zum ersten Mal öffentlich ausgestellt. | |
Damit ist nun nicht nur die einzige erhaltene großplastische | |
Reiterdarstellung des Augustus zu sehen, sondern zudem ein Augustus, dem | |
man ahnungsweise sein Alter ansieht, was durchaus ungewöhnlich ist. Sein | |
Fingerring mit dem Zeichen des Pontifex Maximus, dessen Würde Augustus erst | |
12 v.Chr., also im Alter von 51 Jahren annahm, gibt das Datum, nach dem die | |
Statue entstanden sein muß. Augustus erscheint hier durch seine hageren | |
Gesichtszüge, die angespannte Stirnpartie und die fest geschlossenen Lippen | |
abweichend von der ihn sonst kennzeichnenden alterslos idealisierenden | |
Physiognomie dargestellt. | |
Daß der augusteische Klassizismus sich für die Römer mit einer fast grellen | |
Buntheit vertrug, zeigt anschaulich ein Gipsmodell des auf dem | |
Augustus-Forum in Rom befindlichen Mars-Ultor-Tempels. Nach der Politur der | |
nach zwei Jahrtausenden verblaßten Oberfläche der verschiedenen | |
Marmorsorten, die zu flächigen Mosaiken zusammengesetzt waren, wird | |
deutlich, wie unruhig der ästhetische Eindruck der Gesamtanlage gewesen | |
sein muß, zu der man sich auch bunte Wände zu denken hat. So entstand ein | |
optisch eindringlicher Reiz, während auf der ideologischen Ebene die aus | |
allen Erdteilen stammenden Marmorsorten augenfällig die weltweite | |
Herrschaft der Römer symbolisierten. Der Winckelmannsche Mythos von stiller | |
Einfalt und edler Größe der Alten wird auch hier widerlegt. | |
Ines Stahlmann | |
Die Ausstellung bietet Gelegenheit, einige Prachtstücke römischer Kunst | |
kennenzulernen. Möchte man neben dem ästhetischen Genuß mehr über den | |
historischen Augustus erfahren, so lohnt sich auf jeden Fall Kauf und | |
Lektüre des Katalogs. Vielleicht lockt manch einen auch die begleitende | |
Filmreihe „Rom vor der Kamera“ in den Martin-Gropius-Bau: Unter dem | |
Stichwort „Mythos Antike“ gibt es alte Hollywood -Schinken und Asterix zu | |
sehen, unter dem der „Spurensuche“ zeigt man anspruchsvollere Filme, etwa | |
von F.Fellini, M.Duras, P.Greenaway oder J.-M.Straub (bis zum 13.8. jeweils | |
freitags und samstags um 18 Uhr im Kinosaal des Gropius -Baus; die | |
Ausstellung läuft noch bis zum 14.8., 10-22 Uhr, montags geschlossen). | |
22 Jun 1988 | |
## AUTOREN | |
Ines Stahlmann | |
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