# taz.de -- Von Bar Kochba zu Makkabi | |
> ■ DSB-Seminar über die jüdische Turn- und Sportbewegung in Deutschland | |
Selbst drei Goldmedaillen bewahrten den Berliner Alfred Flatow nicht vor | |
dem Tod im KZ. Aus dem Altersheim deportierten die Nazis den 70jährigen | |
ehemaligen erfolgreichen Turner und ersten deutschen Olympiasieger der | |
Spiele 1896 in Athen aufgrund seines jüdischen Glaubens im September 1942 | |
nach Theresienstadt, wo er wenige Wochen später, am 28.Dezember, starb. | |
Sein Vetter Gustav Felix, in Griechenland ebenfalls Medaillengewinner, | |
erlitt ein ähnliches Schicksal. Er wurde 1940 mit seiner Familie aus dem | |
niederländischen Exil ins jüdische Ghetto Theresienstadt verschleppt, wo er | |
an Entkräftung verschied. | |
Schon lange vor der physischen „Endlösung“ hatten die deutschen Faschisten | |
die organisatorische „Endlösung“ des jüdischen Sportlebens realisiert. Am | |
10.November 1938, am Morgen nach dem Novemberpogrom, verfügten die Nazis | |
die Zwangsauflösung sämtlicher jüdischer Sportvereine und -verbände. Aus | |
Anlaß des 50.Jahrestages der als „Reichskristallnacht“ sprachlich | |
verharmlosten Judenverfolgung setzten sich Sportwissenschaftler und | |
Zeitzeugen vier Tage lang in der Willi-Weyer-Akademie des Deutschen | |
Sportbundes (DSB) in Berlin mit der Geschichte der jüdischen Turn- und | |
Sportbewegung in Deutschland auseinander. | |
1898, vor 90 Jahren, gründeten Berliner Zionisten den Turnverein Bar | |
Kochba, den ersten jüdischen Sportclub. Robert Atlasz, nach dem Ersten | |
Weltkrieg vom SC Charlottenburg zu Bar Kochba übergetreten, erinnerte sich | |
noch an den ersten Start seines späteren Clubs beim damals legendären | |
Staffellauf Berlin - Potsdam, bei dem sich 50 Athleten pro Team die 25 | |
Kilometer lange Strecke aufteilen mußten: „Bar Kochba belegte 1909 bei | |
diesem wichtigsten Sportereignis Platz 19 unter 40 Mannschaften.“ Ende der | |
zwanziger Jahre habe sich die jüdische Staffel mehrmals unter den besten | |
Fünf plaziert, sagte der 90jährige Atlasz, der 1936 nach Palästina | |
emigriert war. | |
Erfolge in anderen Disziplinen folgten der Gründungs- und | |
Konsolidierungsphase. Jüdische Athleten beziehungsweise Vereine überzeugten | |
im Rudern, Boxen, Fußball und der Leichtathletik. So gehörten zur | |
4x-100-Meter-Staffel des SC Charlottenburg, die 1927 deutschen Rekord | |
gelaufen war, mit Natan, Lewin und Gerber drei Juden. | |
„1921 schlossen sich die zionistisch ausgerichteten Sportvereine im | |
Weltverband Makkabi zusammen, der Nachfolgeorganisation des ersten | |
Dachverbandes 'Jüdische Turnerschaft'“, referierte der Bonner | |
Sporthistoriker Hajo Bernett. Der Deutsche Makkabi-Kreis habe 1925 | |
Konkurrenz erhalten. „Liberal oder antizionistisch eingestellte Juden | |
gründeten den Turn- und Sportverein 'Schild‘, der sich 1933 zum Sportbund | |
'Schild‘ im 'Reichsbund jüdischer Frontsoldaten‘ ausweitete“, erklärte … | |
weiter. Eine Hauptursache für die Gründung jüdischer Sportvereine lag laut | |
Bernett im Antisemitismus, der schon vor Hitlers Machtantritt 1933 zum Teil | |
stark verbreitet gewesen sei. „Es gehörte viel Mut dazu, Anfang der | |
dreißiger Jahre als jüdischer Sportler mit dem Davidstern auf der Brust | |
durch den Grunewald zu laufen“, berichtete Günter Löwenstein, der letzte | |
Generalsekretär des Deutschen Makkabi-Kreises. | |
Paradoxerweise setzte mit dem 1933 beginnenden Ende des jüdischen Sports in | |
Deutschland ein unfreiwilliger Aufschwung der jüdischen Vereine ein. Im | |
April hatte die schon immer besonders national und „deutsch“ ausgerichtete | |
Deutsche Turnerschaft (DT) den „Arierparagraphen“ eingeführt, was den | |
Ausschluß sämtlicher jüdischen Mitglieder zur Folge hatte. „Vor dem | |
15.Deutschen Turnfest in Stuttgart sollte die DT 'judenrein‘ sein“, | |
zitierte Bernett den damaligen DT-Führer Edmund Neuendorf. Die anderen | |
Verbände des Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen (DRL) zogen in den | |
nächsten Monaten widerstandslos, wenn auch zum Teil in abgeschwächter Form, | |
nach: Dem Deutschen Schwimmverband folgten die Boxer, der Deutsche | |
Fußballbund, die Leichtathleten, die Ruderer, der Deutsche Ski-Verband, die | |
Deutsche Schach-Vereinigung, der Deutsche Tennis-Bund etc. | |
Sämtliche jüdischen Sportler, unabhängig von Alter, Leistung und Ansehen, | |
wurden als „Reichsfeinde“ aus ihren Clubs geschmissen. Auf dieser | |
„Säuberung“ der „arischen“ Vereine beruhte der personelle Zulauf der | |
jüdischen Clubs. Bis zu ihrer Zerschlagung 1939 organisierten der Deutsche | |
Makkabi-Kreis und der Sportbund „Schild“ als die größten und bedeutendsten | |
Dachverbände jeweils über 20.000 Mitglieder. Dazu kamen kleinere | |
Zusammenschlüsse, so daß knapp ein Zehntel der deutschen Juden sportlich | |
organisiert war. | |
Die Olympischen Spiele 1936 in Garmisch Partenkirchen und Berlin brachten | |
der jüdischen Bevölkerung nur minimale Erleichterungen, während „die | |
Diskriminierung jüdischer Sportler uneingeschränkt weiterlief“, erläuterte | |
Hans Joachim Teichler (Bonn). Hitler habe zwar gewisse Konzessionen | |
gemacht, etwa die Entfernung anti-jüdischer Schilder kurz vor und während | |
der Olympiade, „aber in der Kernfrage der gleichberechtigten Behandlung | |
jüdischer Athleten blieb er dogmatischer Antisemit“. Daran habe auch | |
ausländischer Druck, etwa durch das US-amerikanische IOC -Mitglied | |
Sherrill, nichts geändert, zumal die Nazis, etwa durch den späteren | |
IOC-Präsidenten Avery Brundage (USA), auch indirekt Unterstützung | |
erhielten. | |
„Selbst die als Sieg des Sports über die Politik gefeierten Zugeständnisse | |
in der Frage der 'Alibi-Juden‘, einem Vorschlag des damaligen belgischen | |
IOC-Präsidenten Henri de Baillet-Latour, erwiesen sich als | |
Scheinkonzessionen“, beurteilte Teichler den Start der Fechterin Helene | |
Mayer und des Eishockeyspielers Rudi Ball. Als sogenannte „Halbjuden“ seien | |
beide zu diesem Zeitpunkt noch im Besitz der Reichsbürgerrechte gewesen. | |
Die rauhe Wirklichkeit zeigte nach Meinung des Referenten der Fall Gretel | |
Bergmann: „Die 'volljüdische‘ Hochspringerin ließen die Verantwortlichen | |
aus fadenscheinigen Gründen an der Qualifikation scheitern.“ Dabei hatte | |
sie kurz zuvor mit 1,60 Meter einen neuen deutschen Rekord aufgestellt. | |
Am 10.November 1938 folgte dann das organisatorische Ende der jüdischen | |
Sportvereine. Am Morgen nach der Pogromnacht versiegelten Gestapo-Beamte | |
Büros im „Haus der zionistischen Organisationen“ in der Berliner | |
Meinekestraße 10. Trotz des bis zuletzt regelmäßigen Sportbetriebs waren | |
die jüdischen Clubs, Athleten und Funktionäre allerdings zuvor massiven | |
Schikanen und Einschränkungen unterworfen. Seit Jahren durften sie keine | |
„arischen“ Anlagen benutzen, Vereins- und Vorstandssitzungen fanden | |
grundsätzlich unter Gestapo -Aufsicht statt. | |
Auf dem Sportplatz im Grunewald, den jüdische Athleten selbst gebaut und | |
den die Jüdische Gemeinde Berlin 1930 finanziert hatte, fand im September | |
1938 mit dem jüdischen Schulsportfest die letzte große jüdische | |
Sportveranstaltung statt. „6.000 Jungen und Mädchen nahmen teil“, erinnerte | |
sich Paul Yogi Mayer bei der Besichtigung nach 50 Jahren, „und die | |
Aschenbahn ist heute noch genauso schlecht wie damals.“ Der 1939 nach | |
London emigrierte ehemalige Zehnkämpfer beim Berliner Sport-Club wechselte | |
nach Inkrafttreten des „Arier-Paragraphen“ zur liberalen Jüdischen | |
Sportgemeinschaft und erlebte die Zwangsauflösung seines Sportbundes | |
„Schild“ als Jugenddezernent im Berliner Büro am Kurfürstendamm 200. | |
Zum Abschluß der Tagung charakterisierte die DSB -Vizepräsidentin Erika | |
Dienstl „den Sportaustausch mit Israel als ein besonderes Anliegen und eine | |
besondere Verpflichtung für uns“. Weitgehend aufgrund persönlicher | |
Freundschaften sei es schon Mitte der fünfziger Jahre zu ersten, | |
inoffiziellen Gesprächen gekommen. „Es war ein Weg der kleinen Schritte bis | |
zum heutigen intensiven Kontakt und Austausch, bei dem die | |
Sportjugendverbände beider Länder eine Vorreiterrolle gespielt haben“, | |
sagte die Funktionärin. Für sie „war und ist der Sport eine der besten | |
Brücken der Vergangenheitsbewältigung“. | |
Als Vergangenheitsbewältigung aus der Sicht der damaligen Opfer könnte die | |
Neugründung von Makkabi Deutschland im November 1965 betrachtet werden, | |
„dem Jahr der Urteilsverkündung der Auschwitz-Prozesse“, wie Robert | |
Rowienski, Vizepräsident des neuen jüdischen Sportverbandes, erinnerte. „Es | |
war ein Start ins Ungewisse.“ Makkabi Deutschland zählt inzwischen neun | |
Vereine mit 14.000 Mitgliedern - kein Vergleich zu den über 20.000 | |
organisierten Zionisten in über 200 Clubs vor 50 Jahren. | |
Elmar Dreher | |
22 Nov 1988 | |
## AUTOREN | |
e.dreher | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |