# taz.de -- Berlin: Todesursache Ausländerhaß | |
> Im Märkischen Viertel wurde auf offener Straße ein junger Türke erstochen | |
> / Deutscher Täter ärgerte sich über „all die Kanaken“ / Kripo: „Keine | |
> Anhaltspunkte für ausländerfeindliche Motive“ / Angst und Wut unter den | |
> ausländischen Nachbarn ■ Aus Berlin Vera Gaserow | |
Nach dem abendlichen Tee wollte der 25jährige Ufuk Sahin am Freitag abend | |
nur noch einmal mit dem Freund um den Häuserblock gehen. Eine Stunde später | |
war der junge Türke tot. Er wurde auf offener Straße im Märkischen Viertel, | |
der Berliner Betontrabantenstadt mit hohem „Republikaner„ -Stimmanteil, | |
erstochen. Den 29jährigen Andreas Sch., der ihn umgebracht hat, hatte Ufuk | |
Sahin bis wenige Minuten vor seinem Tod noch nie gesehen. Er hatte auf der | |
Straße nur einige wenige Worte mit ihm gewechselt. Ufuk Sahins letzte Worte | |
an den ihm Unbekannten, der ihn zuvor als „Kanaken“ beschimpft hatte: „Ich | |
bin ein Mensch, du bist ein Mensch, was soll das also?“ | |
Unmittelbar danach, so berichtet Murat P., der seinen Freund Ufuk an diesem | |
Abend begleitete, zog Andreas Sch. ein Klappmesser und verletzte sein | |
Gegenüber mit einem Stich in die Leistengegend tödlich. | |
Sichtlich erschüttert und vor Erregung zitternd, berichtete Murat P. | |
zusammen mit der Familie Sahin gestern im Büro der Berliner | |
Ausländerbeauftragten über den Hergang der Tat am Freitag abend. Bei ihrem | |
Spaziergang seien Ufuk und er an Andreas Sch. und dessen Freundin | |
vorbeigekommen. Dabei habe Andreas Sch. laut und vernehmlich gesagt: | |
„Seitdem diese Ausländer hier sind, gibt es keine Sicherheit mehr. Sieh mal | |
da, zwei Kanaken.“ Ohne sich davon provozieren zu lassen, seien sein Freund | |
und er einfach weitergegangen. Auf ihrem Rückweg seien sie jedoch erneut | |
auf Andreas Sch. gestoßen, der offenbar an einem Häuserblock auf sie | |
gewartet hatte. „Ausländer raus! Kanaken raus! Deutschland den Deutschen!“ | |
habe er gerufen, und dann, als Ufuk Sahin ihn fragte, warum er so etwas | |
sage, habe Andreas Sch. zugestochen. In der Version der Mordkommission der | |
Berliner Kripo hört sich das so an: „Es kam zu einem Wortwechsel, und | |
plötzlich war ein Messer im Spiel. Für ausländerfeindliche Tendenzen beim | |
Täter gibt es keinerlei Anhaltspunkte.“ | |
Andreas Sch. war nach der Tat weggelaufen, hatte dann aber von seiner | |
Wohnung aus selbst die Polizei gerufen. | |
Er wurde festgenommen und sitzt wegen Verdachts des Totschlags in | |
Untersuchungshaft. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung will die Fortsetzung | |
auf Seite 2 | |
FORTSETZUNGEN VON SEITE 1 | |
Polizei nichts festgestellt haben, was auf eine Zugehörigkeit zu einer | |
rechtsextremen Gruppierung hindeuten könnte. Er selbst habe bei seiner | |
Vernehmung erklärt, im Prinzip habe er eigentlich nichts gegen Ausländer. | |
Andreas Sch. ist bereits einmal vor fünf Jahren wegen Körperverletzung | |
verurteilt worden. Von seinem Äußeren her ist er nicht den Skinheads | |
zuzuordnen, dennoch ranken sich inzwischen auf deutschen und türkischen | |
Flugblättern zahlreiche Gerüchte um seinen politischen Hintergrund: Waffen | |
seien in seiner Wohnung gefunden worden, soll ein Nachbar erzählt haben. | |
Jugendliche im Märkischen Viertel habe er angesprochen, ob sie nicht | |
mit ihm in den Wald kommen wollten, um wehrsportartige Übungen zu machen. | |
Ufuk Sahins jüngerer Bruder berichtete gestern, Andreas Sch. sei wohl | |
ziemlich „ausgeflippt“. Er habe des öfteren mit einem Luftgewehr vom Balkon | |
auf Kinder gezielt, so daß sie ihm zugerufen hätten, er solle „diesen | |
Scheiß“ lassen. Viele türkische Kinder seien Andreas Sch. deswegen lieber | |
aus dem Weg gegangen. | |
Der Tod Ufuk Sahins, der eine Frau und ein zweijähriges Kind hinterläßt, | |
hat unter seinen Landsleuten Angst, aber auch deutlich spürbare Wut | |
hinterlassen. „Die Leute kommen zu mir an meinen Imbiß und fragen: Was | |
sollen wir tun?“ berichtete auf der gestrigen Pressekonferenz der türkische | |
Wohnungsnachbar der Familie Sahin. „Sollen wir uns jetzt auch Messer und | |
Pistolen neh | |
men?“ fragten andere aufgebracht in die Runde. | |
Verschiedene deutsche und ausländische Gruppen rufen anläßlich des Todes | |
von Ufuk Sahin für den kommenden Samstag zu einer Demonstration. Von morgen | |
an wird am Ort des Verbrechens eine Mahnwache abgehalten werden. | |
17 May 1989 | |
## AUTOREN | |
vera gaserow | |
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