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# taz.de -- FREIZEIT FATAL
> ■ Fotoausstellung über den Umgang mit der Natur in der freien Zeit
Da sitzt er einsam am Ufer des Bodensees, hält sinnierend seine Angel ins
Wasser. Er ist einer von 1,5 Millionen, die sich, ordnungsgemäß mit
Angelkarte ausgerüstet, ein idyllisches Plätzchen an Teichen und Flüssen
suchen. Mal unterstellt, er latscht nicht durch das Schilf, die Kläranlage
jeden Gewässers, dann ist er aber immer noch nicht so sanft, wie er
aussieht. Er nervt einfach. Zumindest die Wasservögel, die er von ihren
Brutplätzen und ihrem Futternapf See vertreibt.
Lustig bunt sieht sie aus, die Luftaufnahme der Wiese am Seeufer. Mit
farbenfrohen Surf-Segeln, Badematten, Sonnenschirmen und dazugehörigen
Ausflüglern zugekleckst. Am Rand quetschen sich die geparkten Autos. An
guten Tagen stürmen von den rund 2,4 Millionen bundesdeutschen Surfern
beispielsweise lässige 20.000 den Walchensee in Oberbayern ein
zugebretterter See, kein Einzelfall.
Das sind nur zwei Bilder aus der Fotoausstellung Freizeit fatal, die im
November erstmalig in Hannover gezeigt wurde. Zu Tausenden zieht es am
Wochenende die Stadtmenschen hinaus. Einfach mal abschalten. Raus aus dem
Alltagsfrust, raus aus den zubetonierten Städten, raus aus den engen vier
Wänden. Nichts wie weg. Wohin? Ab ins Grüne. Am liebsten mit dem Auto.
Allein 50 Prozent des privaten Pkw-Verkehrs gehen auf das Konto Freizeit.
Freizeit, das klingt fast wie Freiheit. Hier bin ich Mensch, hier darf
ich's sein. Und so geht's fallera die Berge rauf und runter, abseits
ausgelatschter Pfade, in zünftigen Wanderstiefeln über duftige Almwiesen,
per Gleitschirm „sanft“ zu Tale schwebend, dabei gleich noch ein paar
Gemsen kräftig auf Trab gebracht.
Die Auswirkungen der Freizeit auf die Umwelt, angerichtet auf der Suche
nach Naturnähe, zeigt die vom „Bund für Umwelt und Naturschutz“
organisierte Wanderausstellung. Freizeit fatal wurde parteiübergreifend vom
Bundesumweltministerium, dem Kultusministerium Nordrhein -Westfalen und dem
Ökofonds der Grünen finanziert. „Wir wollten keine abgehobene
Fachausstellung, sondern eine populäre Ausstellung machen“, betonen die
Grafikerin Ilse Straeter und Susanna Voight, die in zweijähriger Arbeit das
Material für die 90 Ausstellungstafeln zusammengestellt haben. Ein im
besten Sinne eindrucksvoller Beitrag zum Thema Umwelterziehung. Lange
oberlehrerhafte Erklärungen erübrigen sich, die Fotos sprechen für sich,
unterstützt durch kurze informative Kommentare. Da wird kein moralischer
Zeigefinger erhoben, nach dem Motto: böse, böse, alles „puttgemacht“,
sondern ein Bogen geschlagen: vom berechtigten Bedürfnis nach erholsamer
Freizeitgestaltung über Schäden, die durch Übernutzung und auch durch
schlichte Unwissenheit entstehen, bis hin zu Lösungsansätzen. Im Brennpunkt
steht die ganz normale Naherholung, im Wald oder Watt, am Baggersee oder in
den Bergen. Denn gerade in den letzten Jahren geht der Trend verschärft zum
Natursport, und die Ausflugskarawanen am Wochenende werden immer länger.
Freizeit ist Abziehbild des Lebens und Arbeitens in einer
durchrationalisierten Leistungs- und Industriegesellschaft. Erholung aber
zack, prompte Bedienung ist gefragt. Dem entspricht der Trend zur
Kurzreise, die keine Zeit läßt, um tatsächlich anzukommen.
Zeit ist Geld. Dies wissen die Marketingstrategen der Freizeitindustrie am
besten. Die „Deutsche Gesellschaft für Freizeit“ schätzt den jährlichen
Umsatz, inclusive Tourismus, auf 240 Milliarden Mark. Bis zu 14 Prozent des
Einkommens werden in den privaten Haushalten schon heute für die
Freizeitgestaltung ausgegeben. Und der Markt boomt. Da heißt es, neue
Trends zu kreieren. Vom Mountainbike hat bis vor kurzer Zeit kein Mensch
etwas gehört, allein im letzten Jahr wurden 780.000 verkauft. Der Phantasie
scheinen keine Grenzen gesetzt, wenn es darum geht, im Zuge des
neuzeitlichen Körperkultes das Sportangebot modisch aufzupeppen und zu
erweitern. Der Abenteuerspielplatz Alpen, mit dessen Liftanlagen man
mittlerweile dreimal um die Erde gondeln könnte, wird eben nicht nur durch
die Massen geschunden, sondern auch durch die Differenzierung des
Sportangebotes. Grasski, Snowboard, Gletscherski, Monoski, Variantenski,
Skisurfen, Trickski, das ist nur eine kleine Auswahl. Die Reizschwelle
steigt. Was Neues muß her. Ein schnöder Krimi schockt schon längst nicht
mehr, da braucht's schon ein Horror-Video, und wer sich's leisten kann,
erobert per Hubschrauber die letzten einsamen Gipfel.
Das Fazit der Ausstellung heißt nicht: Bleibt bloß auf'm Balkon, sondern
sie will durch Aufklärung für einen bewußten Umgang mit der Natur werben.
An die Adresse von Politikern und Stadtplanern richtet sich die Forderung
nach Stadtökologie, das Grün in die Städte zu holen, bis in den letzten
Hinterhof; Erholung auch im eigenen Lebensraum durch das Naturerlebnis in
Fahrradnähe. „Freizeit als ein Laboratorium“, in dem neue Er-Lebensformen
ausprobiert oder wiederentdeckt werden können, wünscht sich Robert Jungk,
der das Vorwort zum Ausstellungskatalog verfaßt hat. Statt Freizeit fatal -
Freizeit kreativ. Schön wär's.
Kirsten Wulf
Die Ausstellung „Freizeit fatal“ kann von Initiativen und Verbänden
ausgeliehen werden. Kontakt: BUND, Graf-Adolf-Str. 7-9, 4030 Ratingen 1,
Tel.: 02102/14740; hier kann auch der Katalog bezogen werden. Nächste
Ausstellungsorte: Detmold (25.1. bis 14.2.90), Wuppertal (1.2. bis 28.2.),
Berlin (15.2. bis 16.3.), Stuttgart (17.3. bis 9.4.).
25 Nov 1989
## AUTOREN
kirsten wulf
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