# taz.de -- Europas Wälder vor dem Kollaps | |
> Großangelegte internationale Studie prophezeit eine rasante | |
> Beschleunigung des Waldsterbens / Die Schadstoffreduzierung muß weit über | |
> alle bisherigen Zielvorgaben hinausgehen / Mit Westmilliarden müßten | |
> zuerst die Giftschleudern im Osten verstopft werden ■ Von Gerd | |
> Rosenkranz | |
Ost-Berlin (taz) - Alle in der Vergangenheit ausgehandelten internationalen | |
Absichtserklärungen zur Bekämpfung des Sauren Regens können die Wälder | |
Europas nicht retten. Die Zerstörung der Baumbestände wird im Gegenteil | |
wesentlich rasanter fortschreiten als bisher befürchtet. Abhilfe könnte | |
allenfalls ein ungeheurer Finanz- und Technologiestrom schaffen, der über | |
viele Jahre vor allem von West nach Ost zu fließen hätte. Das sind die | |
wichtigsten Ergebnisse einer großangelegten Studie über | |
grenzüberschreitende Luftverschmutzung in Europa, die das „Internationale | |
Institut für Angewandte Systemanalyse“ (IIASA) in Laxenburg bei Wien | |
gestern in Ost-Berlin vorstellte. | |
79 Prozent der Nadelwälder und 39 Prozent der Laubwälder Europas sind nach | |
Angaben des schwedischen Leiters des IIASA -Projekts, Professor Sten | |
Nilsson, allein durch Schwefelemissionen aus Kraftwerken von Zerstörung | |
bedroht, wobei die regionalen Unterschiede gewaltig sind. In Ost- und | |
Mitteleuropa liegen nur noch ganze zwei Prozent der Nadelwälder unterhalb | |
der als schädigend angesehenen Schwefelbelastung. Bei den Laubwäldern sind | |
im Osten noch 16 und in Mitteleuropa noch 50 Prozent nicht unmittelbar | |
bedroht. Die Zahlen belegen nach Angaben Nilssons, daß die „bestehenden | |
Strategien zur Verringerung der Luftverschmutzung unzureichend sind und | |
geändert werden müssen“. | |
Eine internationale Konvention über grenzüberschreitende Luftverschmutzung | |
hatte bereits 1979 eine Schadstoffreduktion der einzelnen europäischen | |
Länder um jeweils 20 Prozent bis zum Jahr 2000 anvisiert. Selbst diese | |
halbherzige Zielvorgabe wird bis heute nur von wenigen Staaten eingehalten. | |
Für eine wirkliche Entlastung von den Auswirkungen des Sauren Regens würde | |
aber nach den Ergebnissen des Laxenburger Instituts, in dem sich nicht | |
-staatliche Wissenschaftsorganisationen der westlichen Industrienationen | |
und Akademien der Wissenschaften des früheren Ostblocks zusammengeschlossen | |
haben, nicht mal eine gleichmäßige Reduktion der Emissionen um 50 Prozent | |
ausreichen. Vielmehr müßten die Mittel - nach den Berechnungen der IIASA | |
wären statt der bisher vorgesehenen zwölf mindestens 31 Milliarden jährlich | |
notwendig vorrangig in den osteuropäischen Ländern eingesetzt werden, in | |
denen die Schwefeldioxid-Emissionen konzentriert sind. „Die Reduktion der | |
Übersäuerung auf dem gesamten Kontinent wäre doppelt so groß“, wenn die | |
Mittel in Zukunft in Filteranlagen und Kraftwerksneubauten in der DDR, der | |
CSFR, in Polen und Ungarn investiert würden, sagte Nilsson. | |
Karl Bellmann von der Akademie der Wissenschaften der DDR schlug in | |
dieselbe Kerbe: Eine „gewaltige Schere“ klaffe zwischen den notwendigen | |
Schadstoffreduzierungen und der finanziellen Potenz der betroffenen Länder. | |
Selbst bei einer Reduktion auf 80 oder 70 Prozent der derzeitigen Belastung | |
komme man in der DDR bald „unausweichlich in den Kollapsbereich“. Als die | |
größte Sorge der Zukunft bezeichnete Bellmann die zunehmende Belastung mit | |
Stickoxiden, die bisher in der DDR keine so große Rolle gespielt habe wie | |
etwa in der Bundesrepublik. Ein explodierendes Straßenverkehrsaufkommen | |
werde „großes zusätzliches Kopfzerbrechen bereiten“, ebenso wie die heute | |
schon „skandalöse“ Stickstoffbelastung durch die Großviehzentren der DDR. | |
11 Apr 1990 | |
## AUTOREN | |
gerd rosenkranz | |
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