# taz.de -- Earth Day '90 - traurige Bilanz der US-Umweltschützer | |
> ■ Die groesste Feier aller Zeiten! | |
Über 200 Millionen Menschen weltweit teilten am Sonntag ihre Sorge um das | |
Wohlergehen unseres Planeten. Mit von der Partie: Politiker und | |
Graswurzelorganisationen, Medienstars und Kinder, Rocksänger und Indianer, | |
Industrievertreter und Arbeitslose. In Washington tummelten sich 150.000 | |
vor dem Kongressgebaeude, um das Ende einer Woche von Umweltaktionen mit | |
„Öko„-Rockstar Bruce Hornsby und den 1000 Maniacs zu feiern. Im Hintergrund | |
der Menge schwebte ein gigantischer Erdenball, eine Windmühle drehte leise | |
ihre Flügel, Sonnenkollektoren spiegelten den strahlenden Himmel. | |
Es waren die Amerikaner, die zum Earth Day 1990 aufgerufen hatten. Die | |
Umweltbewegung, so die Veranstalter, sollte neue Impulse erhalten, | |
Mitglieder gewinnen und vor allem breitere Bevölkerungsschichten als bisher | |
ansprechen. Mit einem der Erde gewidmeten Tag hatten amerikanische | |
Umweltvertreter bereits früher gute Erfahrungen gemacht. Es war 1970, als | |
Naturschützer Gaylord Nelson, damals Senator in Washington, zum ersten | |
Earth Day aufrief. Schon damals waren 20Millionen Amerikaner für die Umwelt | |
auf die Straße gegangen. Die Aktionen des Earthday 1970 waren | |
mitverantwortlich dafür, daß die Nixon-Regierung die amerikanische | |
Umweltschutzbehörde aus der Taufe hob und erste Umweltgesetze zur Luft- und | |
Wasserreinhaltung verabschiedete. Seinerzeit waren es hauptsächlich | |
Studenten, die, radikalisiert in der Anti-Vietnambewegung, auch gegen die | |
Zerstörung der Natur demonstrierten. | |
Earth Day 1990 nun, so das Ziel der Veranstalter, sollte Menschen aller | |
Bevölkerungschichten einbeziehen. Auf eine radikale Studentenschaft wollte | |
und konnte man genauso wenig setzen wie auf etablierte Umweltlobbyisten, | |
die in den letzten 20 Jahren die amerikanische Umweltbewegung dirigiert | |
haben und heute zunehmend unter Beschuß geraten. Der breiten Bevölkerung | |
sollte der Zustand des Planeten bewußt gemacht werden. Popstars und | |
Fernsehgrößen trugen das ihrige dazu bei. Nach dem Öko-Rummel in der | |
letzten Woche auf Straßen und Plätzen, in Konzertsälen und | |
Regierungshallen, in Zeitungen und Fernsehen hätte eigentlich jede | |
US-BürgerIn von dem miserablen Zustand ihrer Heimat überzeugen müssen. | |
Ob dies tatsächlich eine neue Graswurzelbewegung in diesem Jahrzehnt | |
auslösen wird, wie es sich die Veranstalter gewünscht hatten, wird weniger | |
von den Aktionen der letzen Woche als dem Elan organisationsfreudiger | |
Umweltvertreter abhängen. Die Voraussetzungen für eine neue, radikalere | |
Umweltbewegung in den USA sind nicht schlecht. Während im Weißen Haus außer | |
Lippenbekenntnissen nichts zum Vorteil der Umwelt geschieht, sind die | |
Amerikaner zunehmend über die globalen Umweltprobleme besorgt. Für 84 | |
Prozent der US -BürgerInnen ist die Umweltzerstörung gleich nach | |
Drogenmißbrauch, Kriminalität und dem Haushaltsdefizit ein ernstes Problem. | |
71 Prozent sind bereit, zum Schutz der Umwelt höhere Steuern zu zahlen. | |
Der gute Wille ist bitter notwendig. 20 Jahre, nachdem aus Earth Day 1970 | |
die amerikanische Umweltbewegung hervorging, wurde der Earth Day '90 auch | |
ein Anlaß, Bilanz zu ziehen. „Das Ergebnis ist peinlich“, beklagt Barry | |
Commoner, Leiter des „Zentrums für Biologie Natürlicher Systeme“ und | |
ehemaliger Präsidentschaftskandidat für die ökologisch orientierte | |
„Citizens Party“. „Eine Billion Dollar“, so Commoner, „haben wir seit… | |
für die Umwelt ausgegeben“. Und trotzdem: die Luftverschmutzung ist | |
lediglich um 18 Prozent zurückgegangen und seit 1982 sogar gleichgeblieben. | |
Neun von zehn der damals verschmutzten Flüsse sind heute im gleichen oder | |
einem schlimmeren Zustand als früher. Darüber können auch schöne Worte | |
hinwegtäuschen. Punktweise gibt es allerdings Verbesserungen, meint | |
Commoner. Doch konnte man vor 20 Jahren die Umweltmisere auch noch auf | |
einige Punkte reduzieren. Damals waren die Umweltschützer mit den | |
verdreckten Großen Seen beschäftigt; sie empörten sich, weil der | |
Cuyahoga-Fluß wegen seiner hohen Belastung mit Chemikalien in Brand geriet; | |
und sie setzten sich für das amerikanische Wappentier ein, einer Adlerart, | |
die vom Aussterben bedroht war. Unbekannt waren Ozonloch oder | |
Treibhauseffekt. Bodenerosion oder die Zerstörung tropischer Regenwälder | |
stand nicht auf der Tagesordnung der jungen Umweltbewegung. | |
„Erfolge haben wir nur dann erzielt, so Commoner, wenn die Verschmutzer | |
ihre Arbeitsweise grundsätzlich ändern mußten, der Produktionsprozeß so | |
umgemodelt wurde, daß Verschmutzung nicht reguliert, sondern gar nicht erst | |
auftreten konnte. Deshalb zum Beispiel sei es gelungen, die gesamten | |
Bleiemissionen in den USA um 94 Prozent zu senken und die | |
Quesilberverseuchung der Große Seen zu reduzieren. Diesen Schritt aber, und | |
das predigt Commoner braven Umweltlobbyisten seit Jahren, machen die | |
Umweltsünder nicht freiwillig. Umweltgesetze, diese Kompromisse zwischen | |
Politikern, der Umweltlobby auf der einen und der Industrielobby auf der | |
anderen Seite, verurteilen die Verschmutzer dazu, weniger zu sündigen. | |
Anreiz, auf schadstoffreie Produktionsformen umzustellen, bieten sie nicht. | |
Deshalb, meint Commoner, muß die Produktion von außen kontrolliert werden, | |
von einer aufgeklärten Bevölkerung und der von ihr gewählten Regierung. | |
Einstweilen hat die Industrie keine Umwälzungen nach dem Modell Commoner zu | |
befürchten. Im Weißen Haus sitzt ein Freund, und eine radikalere | |
Umweltbewegung beginnt erst jetzt allmaehlich, sich zu formieren. So hatten | |
die Chemiekonzerne und Stromproduzenten, die Holzindustrie und | |
Erdoelgiganten Grund genug, Earth Day 1990 kräftig mitzufeiern. Ein | |
gigantisches Banner zierte die Fassade des Bürogebäudes in Washington, wo | |
der Industrieverband der Chemiekonzerne residiert: „Chemical Manufacturers“ | |
Association Salutes Earth Day (der Verband der Chemiefabrikanten begrüsst | |
Earthday). Der Pepco-Konzern, der die Hauptstadt mit Strom beliefert, | |
veranstaltete mit seinen Angestellten eine Baumpflanzaktion an den Ufern | |
des Anacostia. Auf der anderen Flußseite demonstrierten aufgebrachte Bürger | |
gegen Pepcos geplante Erweiterung eines Kohlekraftwerks in Naehe ihres | |
Wohngebiets. Umweltbeflissen zeigte sich auch die US-Kriminalbehoerde FBI. | |
Im Foyer deren Hauptsitz in Washington war eine schoene Ausstellung zum | |
Umweltschutz zu bewundern. Mittlerweile werden engagierte Umweltschützer | |
von der Behoerde genauestens aufs Korn genommen und vor Gericht gezerrt. | |
Auch das Pentagon war dabei: Nachdem die Verteidigungsexperten gerade mehr | |
Land für Kriegsmanoever gefordert hatte, gaben sie jetzt bekannt, dass | |
Teile einiger Militaerbasen zu Naturschutzgebieten deklariert werden | |
sollen. Andererseits zog der ehemalige schwarze Praesidentschaftskandidat | |
Jesse Jackson durch den laendlichen Süden, um die dortige meist arme und | |
schwarze Bevoelkerung für die Umwelt zu mobilisieren. Arme und Minderheiten | |
haben reichlich Grund, sich zu organisieren. Amerikanischer Giftmüll wird | |
vornehmlich dort gelagert, wo überwiegend Schwarze, Indianer oder Bürger | |
lateinamerikanischen Ursprungs leben. Und nicht zuletzt spielten Kinder und | |
Jugendliche eine wichtigeRolle am Earth Day 1990. Druch die Innenstadt von | |
Baltimore zogen 3000 Schüler und Schülerinnen mit Kostümen aus Müll, der | |
zum Recycling bestimmt war. Kalifornische Kinder setzten Marienkaefer frei, | |
um auf die Rolle von Insekten in der Schaedlingsbekaempfung aufmerksam zu | |
machen. Jugendliche in Brasilia jubelten Paul McCartney zu, der seine erste | |
Tournee seit 13 Jahren den 'Friends of the Earth‘ widmet. Kinder und | |
Jugendliche erreichen,- das ist Arbeit an der Basis hatte | |
EarthDay-Veranstalter Dennis Hayes erklaert, denn die Haelfte der | |
Erdbevoelkerung ist heute jünger als 25 Jahre! Eine Photoaustellung im New | |
Yorker UNO-Gebaeude bleibt eine dereindringlichsten Earth | |
Day-Veranstaltungen. 42 Astronauten aus 14 Laendern zeigen anhand von | |
Photos, die sie vor 20 Jahren undin jüngster Zeit vom Weltraum aus | |
aufgenommen haben, wie es umunseren Planeten bestellt ist. Deutlich | |
sichtbar sind Oelfilme auf den Ozeanen, unübersehbar die Ausweitung | |
entwaldeter Gebiete rings um den Aequator im Laufe der letzten zwei | |
Jahrzehnte. 'Wir sollten uns nichts vormachen‘, warnte Lester Brown, einer | |
der anerkanntesten globalen Umweltkenner, waehrend der Vorbereitungen zum | |
Earth Day. Brown ist Vorsitzender des Washingtoner 'Worldwatch Institute‘. | |
'Wir sollten uns nichts vormachen... Am 22. April wird die Sonne über einem | |
Planeten aufgehen, der viel überfüllter, heruntergewirtschafteter und | |
verschmutzter ist als am Earth Day 1970... Wenn der letzte Demonstrant | |
wieder in den Bus steigt, und die Informationstische abgebaut sind, kehren | |
wir zu unserer Aufgabezurück, eine umweltvertraegliche globale Wirtschaft | |
aufzubaün. Noch niemals ist unsere Zivilisation mit einer solchen | |
Herausforderung konfrontiert worden.‘ Doch Brown fügt hinzu:'Der Gedanke an | |
die Veraenderungen in der Weltpolitik im vergangenen Jahr erneürn den | |
Glaube an Wunder. Die politischenAenderungen in Osteuropa verweisen | |
vielleicht auf etwas tieferliegendes, auf den Beginn eines globalen | |
Umdenkens. Gesellschaften scheinen Schwellen des Bewusstseins zu | |
überschreiten, hinter denen Veraenderungen in einem Ausmass stattfinden, | |
von denen man nicht einmal hat traeumen moegen. | |
silvia sanides | |
24 Apr 1990 | |
## AUTOREN | |
silvia sanides | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |