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# taz.de -- Ein Königreich für ein Libretto
> ■ Der Münchener Biennale letzter Teil
Bekanntlich leidet das traditionelle Musiktheater unter
Gewichtungsproblemen: Die Musik geht zu Herzen, aber die Sprache nicht mal
ins Ohr aufgrund geradebrechter Reime; das Bühnenbild ist avantgardistisch,
die Story aber durchmottet oder brüchig und so fort. Und bekanntlich hat
sich die 1988 von Hans Werner Henze ins Leben gerufene Münchener Biennale
-als internationales Festival für neues Musiktheater vorgenommen, diese
Gewichtungsprobleme nach und nach zu lösen und ein Musiktheater entwickeln
zu helfen, in dem Musik und Handlung, Sprache und Gestik, Sinn und Form -
und was dergleichen Gegensätze mehr sind - eine Einheit bilden sollen.
Den bescheidensten Versuch hierzu, was den Aufwand anbelangt, unternahm das
Figurenspiel „Hinter der Mauer„ des Train Theatre Jerusalem zu der
brillanten Musik von Betty Olivero. Die Komponistin, 1954 in Tel Aviv
geboren, studierte bei Luciano Berio und übernahm in diesem Jahr die erste
Auftragsarbeit für die Biennale. Ihre Musik, hervorragend eingespielt vom
Ensemble für Neue Musik München (Leitung Roger Epple), ist ein dichtes
Gewebe aus vielfach bis zur Schmerzgrenze hochgezogenen Tönen, dramatisch,
vielfarbig, äußerst emotional. Folkloristisch anmutende Elemente werden
abgelöst von Passagen, in denen die Spannung über Dissonanzen bis zum
Höhepunkt getrieben wird; ein Mezzosopran (Gony Bar Sela) übernimmt die
schwierige Rolle des Chors in der antiken griechischen Tragödie: Sie ist
Erzählerin und Kommentatorin, zuweilen auch die innere Stimme der stummen
Spieler. Ihr Text ist auf wenige Worte beschränkt, in langen, unendlich
ausgedehnten Linien, sich festhakend an einzelnen Vokalen.
Das Train Theatre Jerusalem hat die gleichnamige Erzählung von Chaim
Nachman Bialik zur Musik einstudiert: Die Familie eines jüdischen
Holzhändlers läßt sich in einer ländlichen Gegend nieder. In der
Nachbarschaft lebt eine alte Frau, „die Heidin“, mit einem Findelkind und
ihren Hunden. Zwischen den beiden Familien, die verschiedene Kulturen
repräsentieren, entsteht Feindseligkeit, die von den Kindern - dem
Findelkind Marinka und dem Sohn des Holzhändlers, Noach - überwunden wird:
Eine romantische Liebe spinnt sich an. In der kurzen Aufführung (1 Stunde),
die mit den einfachsten Mitteln sensibel arbeitet, ist zweifelsohne
erreicht worden, was Ziel der Biennale ist: eine untrennbare,
illuminierende Verbindung von Musik, Dramatik und Bewegung.
Die Klippen der symbolischen und poetischen Ästhetik des Train Theatre
Jerusalem zeigten sich in der folgenden Inszenierung, der Fabel „Ikarus“
nach Gabriel Garcia Marquez zur Musik von Babette Koblenz und Hans
-Christian von Dadelsen. Der mythologischen Geschichte entsprechend (deren
wirre, symbolüberfrachtete Handlung sich nicht wiederzugeben lohnt), ist
die Musik des Komponistenteams weicher, diffuser, in größeren Bögen
gespannt. Die Bebilderung der Fabel, obwohl enthusiastisch in Szene
gesetzt, erinnerte gleichwohl an eine mißglückte (oder sogar geglückte?)
Eurythmieveranstaltung, und man kam angesichts der handelnden Figuren
(Mutter Erde, Baby, alter Mann und Vogel) nicht um die Frage herum, ob das
denn nun für Erwachsene die angemessene Unterhaltung sei...
Bei der hochgelobten und vom Münchner Publikum begeistert aufgenommenen
Inszenierung der Dance Opera „The Mother of Three Sons„ von Ann T. Greene
(Libretto) und Bill T. Jones (Choreographie und Regie) wiederholte sich das
Vergnügen, auf Mutter Erde, Bruder Fluß, Vogel, Sonne und Mond zu treffen.
Die phantasievollen Kostüme, die lebhafte Choreographie konnten nicht
wettmachen, was das banale Bühnenbild und die archaisch-kitschige
Pseudostory, deren Handlungsfäden sich unentwirrbar verknäuelten, schon
angerichtet hatten. Eine spannende, vielfarbige Musik zu dem Dreiakter
schrieb der JazzkomponistLeroy Jenkins: Gershwin und Strawinsky gehen in
Afrika einen trinken, nehmen die Tierstimmen am Flußufer ebenso auf wie das
Grillenzirpen, das Rauschen des Wassers wie den feuchten Dunst über den
Wäldern und das Trommeln im Busch... ekklektisch, stimulierend, klangreich.
„Ein Königreich für ein Libretto“, dieser Stoßseufzer drängte sich zum
zweiten Male auf bei der One-Woman-Show „Miriam“, Text und Musikvon William
Osborne.Die musikalische Besetzung (elektronisches Klavier, Piano und vier
Posaunen sowie die Stimme der Akteurin Abbie Conant) entspricht in ihrer
Kargheit der minimalistisch organisierten Musik, die aus sich unendlich
wiederholenden Läufen besteht, basierend auf einer Gruppe von drei Noten,
die in vier verschiedenen Transpositionen die Oktave ergeben. Wenn's denn
nach Dramatik ruft, findet ein Laufrausch der Pianistin seinen Abschluß in
der klirrenden Veranschlagung dessen, was eine Hand im höchsten
Tastenbereich hergibt. Die Performancekünstlerin Abbie Conant mühte sich
nach Kräften, dem heillos gepanschten Text (unverdauter Beckett, kombiniert
mit Sylvia Plath, Marilyn French und dem, was die Frauenbewegung sonst noch
so hergibt) so etwas wie Authentizität abzuringen, mußte aber an dieser
übergroßen Aufgabe zum Unglück aller scheitern.
Den Abschluß der Inszenierungen bildete die Oper „Le Precepteur„ nach dem
„Hofmeister„ von Jakob Michael Reinhold Lenz. Das Libretto schrieb der
Lyriker Hans -Ulrich Treichel, der sich entschieden hatte, die ganze
Unübersichtlichkeit der Handlung unverschnitten zu erhalten. Daß dies
riskante Unternehmen gelang, ist vor allem einem zu verdanken: dem
Bühnenbildner Antoine Fontaine. In einer völlig schwarzen, von Tafelwänden
konstruierten Bühne, die den steifen Protestantismus, die Leibfeindlichkeit
und Strenge der spätabsolutistischen deutschen Gesellschaft radikal
veräußerlicht, ist eine Konzentration auf Handlung und Personen (in
entsprechender Kostümierung von Anne Grand-Clement) erst möglich. Regisseur
Philippe Piffault war leider weniger radikal in der Umsetzung, er schwankte
zwischen statuarischer, kompromißloser Choreographie und Anleihen bei der
klassischen Operndramaturgie - und entsprach damit vertrackterweise der
Musik von Michele Reverdy. Harte, spannungsreiche Geräusche wechselten mit
wenig charakteristischen Klangpassagen, die immer wieder neu angesetzt und
abgebrochen wurden, eine wunderbar gelöste, sprachlose Arie der Lise stand
leider unvermittelt in einer insgesamt unverbindlich wirkenden Musik. Wenn
Regie und Musik bis zum Ende gegangen wären in der Charakterisierung der
Personen und Stimmungen, im Gegensatz von Melodie und Geräusch, Gefühl und
Erstarrung, es wäre ein wirklich großer Abend geworden.
Elke Schmitter
21 May 1990
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