| # taz.de -- ZWISCHEN DEN RILLEN | |
| > ■ Zwei Jazzplatten aus Berlin | |
| VON ANDREAS WEISER | |
| Jazz Anfang der Neunziger, das ist ein Parfüm, ein sportlicher Kleinwagen, | |
| eine Möbelkollektion, eine Fotoausstellung. Jazz, das ist ein Tenorsaxton | |
| in einem Werbespot für Whiskey oder die Großaufnahme eines | |
| Saxophonmundstücks in einer Zigarettenreklame. | |
| Jazz hat den Hauch des Besonderen und des leicht Verruchten. Jazz eignet | |
| sich hervorragend als Werbeträger für Produkte einer saturierten, | |
| erfolgsorientierten Yuppie -Generation. Jazz ist schick, weil er den | |
| gelangweilt -Erfolgreichen mit dem Kitzel der Exklusivität des Scheiterns | |
| anhaucht. Jazz ist zum Mythos und zum Design der 'Tempo'- und | |
| 'Wiener'-Generation geworden. Es scheint, Jazz interessiert eher als Flair | |
| denn als Musik. | |
| Und trotzdem gibt es ihn in diesem Land, erfrischender als je zuvor. Zwei | |
| dieser jungen, innovativen deutschen Jazzer, die beiden Berliner Andreas | |
| Willers (git) und Gebhard Ullmann (sax) haben mit The private Ear bzw. mit | |
| Per Dee Doo gerade ihre jeweils ersten Solo-Alben herausgebracht. Beide | |
| sind Exponenten einer bisher eher (vor allem von den eigenen Medien) | |
| unterschätzten Berliner Szene und arbeiten schon seit Jahren an gemeinsamen | |
| und persönlichen Projekten (Out to lunch, Minimal Kidds, Willers/Ullmann | |
| Duo, Elefanten, Das Projekt). Immer wieder sind sie auch durch ihre | |
| Zusammenarbeit mit international renommierten Solisten wie Enrico Rava oder | |
| Paul Bley aufgefallen. Das Goethe-Institut schickte sie nach Afrika, Asien | |
| und Australien. Nur in Deutschland telefonieren sie sich die Finger wund, | |
| um ab und zu einmal auf einem Festival spielen zu dürfen. | |
| So unterschiedlich beide Veröffentlichungen in Konzeption und Ausführung | |
| auch sind, jedes für sich ist ein kleinen Meisterstück. The private Ear | |
| baut eine melancholisch, oft düstere Spannung auf, die sich durch alle | |
| Stücke zieht, zum intensiven Zuhören zwingt und erst im letzten Stück, der | |
| regelrecht lieblichen Ballade True Tune sich auflöst und in die Entspannung | |
| entläßt. | |
| Willers‘ Kompositionen sind sehr offen angelegt, laden ein zu Assoziation | |
| und Improvisation; Möglichkeiten, die vor allem einer der interessantesten | |
| neuen europäischen Reed -Künstler, der Franzose Louis Sclavis, hervorragend | |
| und sehr spannend nützt. Vor allem die Kombination aus Willers eigenwillig | |
| sprödem elektronischen Gitarrensound und dem Sax - und Klarinettenspiel von | |
| Louis Sclavis macht die Platte zu einem Genuß. Einziger Minuspunkt: eine ab | |
| und zu doch ziemlich nervige Electropercussion. Ein paar natürliche Sounds | |
| wären da besser gewesen. | |
| Das Ullmannsche Projekt Per Dee Doo war ursprünglich in der Szene als das | |
| „Standardprojekt“ bekannt. Man (Martin Lillich: b, Niko Schoyble: dr, | |
| Michael Rodach: git, und eben Gebhard Ullmann: sax/fl) tat sich zusammen, | |
| um alte Jazzstandards ohne Respekt auseinanderzunehmen und ohne Angst vor | |
| Stilbrüchen und sonstigen Vergehen neu zusammenzusetzen. Spaß am Spiel mit | |
| Altbekanntem war Voraussetzung, Ziel und Zweck des Unternehmens. Und so | |
| entstand in nur zwei Tagen Aufnahmezeit eine Platte, die an Spielwitz und | |
| Power nur schwer zu übertreffen sein dürfte. Da wird aus Sonny Rollins‘ St. | |
| Thomas ein Reggae, der plötzlich in ein völlig kaputtes Gitarrensolo | |
| umkippt, um sich dann in zarten Sopransaxtönen wiederzufinden. Ein Uptime | |
| Swing zu Benny Goodmans Seven come eleven wandelt sich plötzlich in ein | |
| Gitarrengewitter Marke Rodach. | |
| Neben Ullmanns ekstatischem Saxophonspiel ist es vor allem Michael Rodach, | |
| der die Produktion zu etwas Besonderem macht. Seine Voicings und seine Soli | |
| sind exzentrisch und mitreißend. Ein Ausnahmegitarrist. Niko Schoyble und | |
| Martin Lillich - das Rhythmusgespann - spielen auf den Punkt. | |
| Andreas Willers: The private Ear | |
| Soundaspects SAS CD 034 | |
| Gebhard Ullmann: Der Dee Doo | |
| Nabel 4640 ZWEI JAZZPLATTEN AUS BERLIN | |
| 6 Aug 1990 | |
| ## AUTOREN | |
| andreas weiser | |
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