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# taz.de -- Ein Glas „Flüchtlingsblut“ im Wachturm
> ■ Ein Wachturm zwischen Kreuzberg und Treptow wird Museum und Kneipe / Am
> Montag wird das „Museum Der Verbotenen Kunst“ eröffnet / Zu trinken gibt
> es „Egon Krenz“ und „Flüchtlingsblut“
Treptow/Kreuzberg. Eben noch Westen, jetzt schon Osten, oder umgekehrt. Vom
Kreuzberger U-Bahnhof Schlesisches Tor die Schlesische Straße entlang, bis
in den ehemaligen Todesstreifen hinein. Weiter geradeaus setzt sich der Weg
in einer wunderbaren Platanenallee, der Treptower Puschkinallee, fort.
Dazwischen steht auf sandigem, hügeligem Boden der Grenzturm.
Von nahem sieht er viel kleiner aus, als diese Art Gebäude früher wirkte;
„früher“, da der Blick nach drüben im Stacheldraht hängenblieb. Dies war
die „Führungsstelle Schlesischer Busch“, von der aus das ganze Gelände
kontrolliert wurde. Jetzt verkündet ein Transparent an der Betonwand, daß
hier das „Museum Der Verbotenen Kunst“ entsteht. Die Mauer zur Westseite
hin ist bereits abgerissen, und nur ein unbewachsener Streifen Erde
markiert noch ihren Lauf. Daneben oder darauf stehen Cafe-Tische mit
Sonnenschirmen, denen die üblichen „HB„-Werbeaufdrucke fehlen.
Am kommenden Montag wird das Museum mit der ersten Ausstellung eröffnet:
Fotos von Bernd Markowsky, der 1976 zusammen mit Jürgen Fuchs und anderen
von der Staatssicherheit ausgebürgert wurde. Später werden in einer
ständigen Ausstellung im ersten Stock des Turms und bei Lesungen die Bücher
jener Künstler vorgestellt, die in der DDR mit Berufsverbot belegt,
eingesperrt und in den Westen abgeschoben wurden. Kalle Winkler, bei dem
die Fäden dieses Projektes zusammenlaufen, erklärt: „Wir wollen an die
Sachen, die in der DDR passiert sind, erinnern. Wenn jeder darüber
nachdenkt, was er persönlich mitgetragen hat - das wäre schon eine ganze
Menge.“
Er ist selbst betroffen. 1981 wurde er, 18 Jahre alt - oder 20, zu Daten
habe er kein Verhältnis mehr - wegen dreier Liedtexte zu 18 Monaten
verurteilt. „Gysi war mein Rechtsanwalt und hat mich von zwei Jahren und
sieben Monaten runtergeholt.“ Nach 13 Monaten kam er vom Abschiebeknast
Karl-Marx-Stadt über das Notaufnahmelager Gießen nach West -Berlin. Zu
seiner Zeit als Stasigefangener sagt er nur knapp: „Kleiner Raum, schlechte
Luft, schlechtes Essen.“ Alles weitere hat er beklemmend genau in seinem
Buch beschrieben, das in der Bundesrepublik im Oberbaumverlag und bei
Fischer erschien und in der DDR nun in diesem Jahr unter dem Titel Zur
Klärung eines Sachverhalts vom Aufbau -Verlag herausgebracht wurde.
Inzwischen hat er verschiedene Bands gegründet und ist mit ihnen
herumgetourt, hat als Second-hand- und Flohmarkt -Verkäufer gearbeitet und
ein dreiviertel Jahr in London gelebt. Bis zum 1. Dezember durfte er nicht
in die DDR einreisen. „Und denkst du, ich hab bisher ein
Entschuldigungsschreiben gekriegt?! Nach DDR-Gesetz bin ich immer noch
vorbestraft.“ Sein Antrag auf Rehabilitierung und der Strafantrag gegen die
damaligen Richter, Staatsanwälte und Stasimitarbeiter ist „erstmal
aufgenommen worden“, habe man ihm mitgeteilt, „aber es gebe noch kein
Gesetz dafür“. Und bis heute sei ihm und den anderen damals Ausgewiesenen
die Akteneinsicht verwehrt geblieben.
Nicht nur Mahnmal und Treffpunkt für Gespräche soll der Turm sein, sondern
darüber hinaus Veranstaltungsort für „Avantgardistisches“, wie Kalle sagt.
Offen für Konzerte, Theater, Aktionen - für jede Art neuer Kunst, die als
„anrüchig“ diskriminiert wird. Die graue Außenwand wird für Graffiti
freigegeben.
Bis zur Eröffnung haben Kalle und die sieben anderen, die sich um den Turm
kümmern - vier aus dem Osten, vier aus dem Westen, „aber das ist total
zufällig“ - noch jede Menge zu tun. Vor allem die Schäden am Turm sind zu
beseitigen: die von Kindern eingeworfenen Scheiben im oberen Stockwerk
ersetzen, die aufgebrochene Tür reparieren. Nebenher betreiben sie das
Cafe, das „so langsam anläuft“, in dem die unglaublichsten Begegnungen
passieren. „Ein Grenzoffizier hat hier seine letzten Dienststunden
verbracht, Sekt spendiert und sich mit 'nem Kreuzberger Punk unterhalten.“
Sekt steht als „Geglückte Flucht“ auf der Getränkekarte, die sich über d…
niedrigen Preise hinaus durch die makaber -ironischen Namen auszeichnet:
„Egon Krenz“ (Malzbier), „Fluchtmotiv“ (Kokoslikör), „Politischer H�…
(Leitungswasser), „Oder ich schieße“ (Wodka Saft), „Flüchtlingsblut“
(Kardaka), „Sozialistische Weltanschauung“ (Bananensaft). Im Herbst und
Winter wird das Cafe in den Turm verlegt, wobei die obere Etage so wie
früher hergerichtet werden soll, mit Telefon, Funkgeräten und der
Schalltafel, die das Berühren des Klingeldrahtes im Todesstreifen
signalisierte.
Den Turm hat die Gruppe von den Grenztruppen geschenkt bekommen, drei Tage
bevor die Kontrollen wegfielen. Dem ging ein mühseliger Weg von Behörde zu
Behörde voraus, auf dem Kalle die Bekanntschaft vieler Grenzoffiziere
machte, auch desjenigen, der die tödlichen Anlagen entworfen hat. „Die tun
mir leid. Die haben eigentlich umsonst gelebt, für eine schlechte
Geschichte. Und sie wußten es die ganze Zeit, und haben's immer verdrängt.“
Für das dazugehörige Grundstück müssen sie eine ungewöhnliche Pacht zahlen:
für fünf Jahre 32 Eichen von je 18 Zentimeter Durchmesser. Zunächst hatte
das Bezirksgartenamt 35.000 Mark für fünf Monate verlangt. Auf die Frage
nach dem Verwendungszweck des Geldes erfuhren sie, daß für die Aufforstung
des Schlesischen Busches Eichen gebraucht würden. Und die kosten in der
Baumschule je 1.100 Mark. „Da haben wir gesagt, gut, dann zahlen wir eben
in Eichen“, so Kalle. „Jetzt sind in Westdeutschland schon Leute am
Buddeln.“
Susanne Steffen
5 Sep 1990
## AUTOREN
susanne steffen
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