# taz.de -- Filmischer Szene-Tratsch | |
> ■ Sönke Wortmanns Fernsehspiel „Eine Wahnsinnsehe“, 19.35 Uhr, ZDF | |
Im Gewühl einer Demo, so um 1968 herum, lernen sie sich kennen, der | |
frischgebackene Bereitschaftspolizist Till (Thomas Heinze) und Jana | |
(Barbara Auer), die barrikadenstürmende Tochter eines neureichen Arztes. | |
Blasse s/w-Bilder erinnern an alte Einblendungen aus der „Tagesschau“. So | |
beginnt ansonsten der auf betulichen Naturalismus abzielende | |
Bewältigungsfilm und keine schrille Komödie. Abwarten. | |
Im Durchgangszimmer der stilechten Wohngemeinschaft (sprich WG), wo | |
Intimität eine reaktionäre Attitüde ist, bewegt sich Jana so ungezwungen | |
wie Katharina Witt auf dem Eis. Bärtige Mattenträger faseln über | |
„Küchendienst“. Till ist irritiert und zieht die Hose wieder herauf. Bis zu | |
ihrer Heirat hat er jedoch in Punkto „sozialistischer Revolution“ | |
ideologisch kräftig nachgerüstet und vermeldet stolz die Gründung der | |
ersten „roten Zelle“ im Polizeichor. Schließlich ist Janas Kumpel, der | |
Jurastudent Strubel (Heinrich Schafmeister), ein geduldiger Referent. Der | |
geistigen Zweisamkeit scheint nichts mehr im Weg zu stehen. | |
Trotzdem oder gerade deswegen läßt die erste Ehekrise nicht lange auf sich | |
warten. Nach dem allein unternommenen Urlaub in der Toskana redet die | |
Aktivistin plötzlich über seltsame Dinge wie „Lustprinzip“ und | |
„Sexualtriebe“, was Till zunächst so fremd vorkommt wie dereinst die | |
Marx-Zitate ... Bald schon entpuppt sich der freudianische | |
Toskana-Analytiker (der, wie sollte es anders sein, auch noch Lorenz heißt, | |
mit langem ooo) als alte Drecksau, die Unzucht mit Abhängigen treibt, unter | |
anderem mit Jana. Aber das ist halb so wild. Schon führt Jana die | |
eklektizistischen Sinnsprüche des glatzköpfigen Bauernfängers aus Poona im | |
Mund ... | |
Die „Trips“ seiner Frau werden für Till zur tragikomischen Aufholjagt, | |
derweil Jana unbekümmert wie ein Schmetterling von einer Blüte der | |
Denkboutiquen zur nächsten flattert. Das klingt genauso klischeehaft wie | |
die Realität war bzw. immer noch ist. Die Ideen der 68er, die | |
Psychoanalyse, Bhagwan, die Esoterik und der Yuppie-Trip, mag man | |
einwenden, sind keine austauschbaren Lebensphilosophien. Der derbe Witz des | |
Films schert sich einen Dreck um „Inhalte“, mit Recht! Um genüßlich | |
auszuschlachten, daß jede Ideologie als mentales Fast-food zum Hype wird, | |
ist ihm das trivialste Mittel nicht platt genug. | |
Eine Wahnsinnsehe (blöder Titel) ist weniger Film als kabarettistische | |
Szenenfolge. Wenn z.B. das von den Eltern in den Arsch geschobene | |
Einfamilienhaus zum „Arshram“ umgebaut wird — alles weiß gestrichen und | |
überall diese beknackten Bhagwan-Bilder an der Wand, blasiert- zickiges | |
Gefasel über „Energy“ (sprich: Ennertschi) — dann kann so ein Film gar | |
nicht trivial genug daherkommen, um den Tatsachen gerecht zu werden. Es ist | |
nunmal so, daß die Hype-Fetischisten je schon eine Kopie waren, dessen | |
Original bestenfalls eine Fata Morgana war. | |
Hätte ein routinierter Spitzenregisseur das Ding gedreht, wäre es bestimmt | |
halb so interessant geworden. Gerade dieser antiseptische Low- | |
Budget-Realismus des Fernsehfilms mit seinen hölzernen Überzeichnungen | |
bringt die Sache herrlich auf den Punkt. Was Regisseur Sönke Wortmann in | |
seinem Debüt zustande bringt, ist eigentlich nichts anderes als filmischer | |
Tratsch. Und das kann ja sooo entspannend sein ... (Wie man hört, fühlen | |
sich viele Bekannte des Drehbuchautors Karlheinz Freynik übel | |
verunglimpft.) Manfred Riepe | |
12 Nov 1990 | |
## AUTOREN | |
manfred riepe | |
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