# taz.de -- Der Hunger ist größer als die Furcht | |
> Seit Wochen häufen sich die Aktionen der Renamo auf der Nationalstraße 1 | |
> von Maputo nach Xai Xai/ Die Ernährungslage verschlimmert sich/ 116.000 | |
> Menschen werden hier mit einer täglichen Ration unter dem Uno-Minimum | |
> versorgt ■ Aus Xai-Xai Willi Germund | |
Der Hang am Stadtrand von Xai-Xai ist bereits mit kleinen runden Hütten | |
übersät, die schattigen Plätze unter ausladenden Mangobäumen sind längst | |
vergeben. Aber Lusumilia Paulino beklagt sich nicht, als sie mit Hilfe | |
ihrer zwölf- und 14jährigen Töchter in einem unbesetzten Eckchen die | |
Schilfmatte ausrollt, die als Wand der neuen Behausung dienen wird. „Hier | |
fühlen wir uns sicher“, erklärt die 33jährige Mutter von vier Kindern. | |
Lusumilia Paulino gehört zu den neuesten Flüchtlingen, die aus der Umgebung | |
in die Hauptstadt von Mosambiks Provinz Gaza strömen. Ein einziger Schuß in | |
der Nacht zuvor genügte: Zusammen mit ihren Nachbarn in dem zehn Kilometer | |
entfernten Dorf Julius Nuyerere raffte sie ihre sieben Sachen zusammen und | |
floh nach Xai-Xai. | |
Die Provinzhautpstadt, 200 Kilometer nördlich von Mosambiks Hauptstadt | |
Maputo an der Mündung des Limpopo-Flusses gelegen, galt in der | |
Vergangenheit als sicher. Aber seit sechs Wochen häufen sich die Aktionen | |
der Renamo in der Gegend. So reichte der Schuß in der Nacht als Alarmsignal | |
für Lusumilia Paulino und ihre Kinder. | |
Wie sie haben schon Tausende von anderen „Dislocados“ — Vertriebene — in | |
den letzten Jahren Zuflucht in Xai-Xai gesucht. Das Provinznest strahlt | |
mosambikanische Normalität aus. Die kolonialen Bauten mit ihren Holzsäulen | |
und ausladenden Dächern brauchen dringend einen frischen Anstrich. Von der | |
Neonreklame aus den 60er Jahren blieben nur noch die Fassungen. Xai-Xai ist | |
verschlossen wie fast alles in Mosambik. | |
## „Nachts Renamo, tagsüber Frelimo“ | |
Auf den 200 Kilometern von Maputo bis Xai-Xai muß jederzeit mit der Renamo | |
gerechnet werden. Schon 40 Kilometer außerhalb des im Süden Mosambiks | |
gelegenen Maputo hinterließ die von Südafrika lange Jahre unterstützte | |
Truppe einen Pfad der Zerstörung auf der Nationalstraße 1. Die vereinzelten | |
Häuser entlang der Straße sind verlassen und ausgeplündert, die Wände von | |
Geschoßnarben übersät. Stromleitungsmaste, an denen nur noch zwei bis drei | |
Meter lange Kabelreste baumeln, säumen die Überlandstraße. Alle 500 Meter | |
hockt ein Soldat in Tarnuniform und knallroter Baskenmütze auf einer der | |
meterhohen Stangen. Er soll Renamo-Kämpfer erspähen. | |
Die vielen Patrouillen, die zu Fuß unterwegs sind, erwecken keinen | |
vertrauensfördernden Eindruck. Entgegen allen militärischen Regeln | |
marschieren die Soldaten in einem engen Abstand hintereinander — und | |
stoppen immer wieder Autos, um Zigaretten abzustauben. „Nachts Renamo, | |
tagsüber Frelimo“, lautet gar ein Spruch in Mosambik, wonach weder die | |
Rebellen noch die Streitkräfte der regierenden Frelimo Politik von | |
Bereicherung zu trennen wissen. | |
„Alle unsere Transporte gehen über Land“, sagt Allen David von der | |
nordamerikanischen Hilfsorganisation „Care“ in Xai-Xai. Den ausländischen | |
Mitarbeitern der 160 Hilfsorganisationen in Mosambik ist die Reise über | |
Land verboten. Den meisten Mosambikanern bleibt keine andere Möglichkeit. | |
Die schweren Lastwagen sind teilweise so vollgepackt, daß die Ladebracken | |
sich biegen. Über der Ladung türmen sich die Bündel der Passagiere. Es ist | |
ein Reiseverkehr ohne feste Ankunftszeiten. „Wir wissen nie, ob unser | |
Tranport drei Tage oder drei Wochen unterwegs ist“, erklärt der Leiter | |
eines Hilfswerks in Maputo. | |
„Care“-Vertreter Allen David, ein gebürtiger Inder, versorgt von Xai-Xai | |
aus 116.000 Vertriebene in der Gaza-Provinz. Sie erhalten monatlich zwölf | |
Kilo Mais, Bohnen und Speiseöl. Eine Ration, die um 30 Prozent unter dem | |
von den Vereinten Nationen als Minimum für ausreichende Ernährung | |
festgesetzten Grenzwert liegt. Aber mehr kann nicht verteilt werden, weil | |
nicht mehr Hilfe kommt. | |
Von 218.000 Tonnen Mais, die in diesem Jahr benötigt werden, hat das | |
Ausland nur 170.000 Tonnen zugesagt. Davon aber sind bisher erst 110.000 | |
Tonnen angekommen. Die Lage in Mosambik ist so dramatisch, daß nicht genug | |
Mais vorhanden ist, um die Bevölkerung im Umkreis von Maputo zu versorgen. | |
„Die Leute haben Angst, daß wegen unserem Projekt die Renamo angreifen | |
könnte. Aber größer als die Furcht ist der Hunger, und sie sind froh, daß | |
wir Essen liefern“, erzählt ein Mitarbeiter der Organisation „Save the | |
Children“. Vier Wochen ist es her, da lieferten sich Armee- Einheiten ein | |
eineinhalbstündiges Gefecht mit der Renamo außerhalb von Xai-Xai. Oft aber | |
erfährt die Armee zu spät von einem Angriff. | |
„Wir wissen nicht, ob sie leise sein wollen oder keine Munition mehr | |
haben“, erzählt Allen David. Die „Bandidos“ — die Banditen, wie der | |
Oberbegriff für Renamo und alle lautet, die im Krieg ihr eigenes Süppchen | |
kochen — metzeln seit neuestem ihre Opfer wieder ausschließlich mit | |
Buschmessern und Äxten nieder. 600.000 Menschen starben in Mosambik seit | |
Beginn des Konflikts vor rund 14 Jahren. | |
Toni Bättig, der am Stadtrand von Xai-Xai im Auftrag der Vereinten Nationen | |
und unter Schweizer Finanzierung Latrinendeckel fabriziert, wird jeden Tag | |
an den Krieg erinnert. Der Lastwagen des Projekts ist von Einschlägen | |
übersät. Der Fahrer entkam verletzt, als er bei einer Fahrt nach Maputo in | |
einen Renamo-Hinterhalt geriet. Der aus dem Schweizer Kanton Luzern | |
stammende Toni Bättig ist denn auch überstolz auf den reißenden Absatz | |
seiner Latrinendeckel: „Wir haben in diesem Jahr schon über 900 verkauft, | |
obwohl wir nur in der Stadt aktiv sein können.“ Die Betondeckel sollen die | |
Plumpsklos der Mosambikaner abdecken und so die Verbreitung von Krankheiten | |
eindämmen. | |
Im Norden Mosambiks grassiert zur Zeit eine Choleraepidemie und eine | |
Masernepidemie. John Newman, der für Care die landesweiten Hilfslieferungen | |
koordiniert: „Unterernährung und Masern, das ist eine mörderische | |
Kombination.“ | |
In der Umgebung von Xai-Xai hat sich die Ernährungslage in jüngster Zeit | |
verschlimmert. Neben dem Krieg sorgt nun eine Trockenheit für Probleme. | |
„Die meisten Leute würden gerne arbeiten“, weiß Allen David. Aber die | |
„mangelnde Sicherheit“ verhindert dies. | |
Wie sehr es an Sicherheit mangelt, wird jedes Wochenende deutlich. Dann | |
fährt kein Auto mehr auf der Straße nach Maputo. Der Grund: die Soldaten | |
der Frelimo-Regierung ziehen sich Samstagmittags zurück. Bis Montagmorgen | |
gehört die Nationalstraße 1 dann der Renamo. | |
7 Dec 1990 | |
## AUTOREN | |
willi germund | |
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