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> ■ »Systemausfall« — Der Ostsampler BERLINER PLATTENTIPS | |
Nur 20 Tage nach dem Erscheinen der Leipziger Szene-LP Persona non grata! | |
gibt es nun eine definitive Scheibe für die ganze Republik: Systemausfall | |
heißt das gute Stück, das den Anspruch erhebt, der Ostsampler zu sein. Und | |
das ist er dann auch. Vertreten ist so ziemlich alles von Rang und Namen | |
einer neuen Generation von professionell arbeitenden »Amateurmusikern« aus | |
dem östlichen Indiebereich. Bereits vor dem Ausfall haben diese Gruppen das | |
System untergraben, indem sie es schlichtweg ignorierten. »Herbst in | |
Peking« ist wohl eine der Bands, die es dabei am meisten gebeutelt hat. Die | |
gegen sie gezogenen Register reichten vom Liebesentzug, »keine Platte«, | |
nicht mal eine Single, bis zum gnadenlosen Auftrittsverbot, als die Band im | |
Juni 90 ausschweifend über den Bandnamen hinaus polemisierte. | |
Sänger Rex hat sich nun auf seine Art revanchiert. Was folgte, war kein | |
rünstiger Rachefeldzug, sondern ganz einfach eine Korrektur. Als Chef der | |
Plattenfirma Peking Records wurde er vom westdeutschen Indievertrieb SPV | |
angesprochen, in Coproduktion eine Ostplatte zu machen. Ein Vorstoß in neue | |
Formen der Zusammenarbeit in einem Bereich, bei dem sich zu allererst | |
natürlich handfeste Absichten realisieren müssen. | |
Der Vorstellung von SPV folgend, sollte es sich dabei um die Fortsetzung | |
eines Funpunksamplers handeln, der »Volxmusik« bundesdeutscher Bands | |
präsentiert. Die bisherige Arbeit des noch jungen Peking-Labels deutet | |
allerdings an, daß man hier gute Laune auch anders auffaßt. Die erste LP | |
von »Herbst in Peking«, damals noch in Gemeinschaft von KPM, setzte | |
diesbezüglich schon Zeichen. To be Hip — lautete der mißverständliche | |
Slogan, den Hipsters war's recht! Es folgte eine Single, danach der | |
Trümmerhaufen der Letzten Tage von Pompey. Eine neuerlich zu erwartende | |
Produktion ist dem Oberguru mit dem prophetischen Megagedächtnis, Trötsch, | |
vorbehalten. Wenn SPV da auf Funfunk setzt, ist das schon recht abgebrüht | |
[worum geht's eigentlich? wage ich mich zu entblößen. sezza]. Was letztlich | |
auf dem Ostsampler herauskam, ist demzufolge alles andere als musikalischer | |
Bierdosenspaß. Was aber den Partner in Hannover wenig kümmert. Er ist damit | |
erstmal auf dem Markt und das ist bei seinem Programm auch gut so. | |
Angesichts der Kommödien, die sich in ostdeutschen Plattenläden abspielen! | |
Hier geben sich jetzt Heino (der Falsche), James Last und Audrey Landers | |
die Klinke in die Hand. | |
Die Interessengemeinschaft dieser LP-Produktion umfaßt aber noch zwei | |
weitere Verbündete. Das ist zum einen der Ostberliner Plattenladen Home, | |
mit dem einzig funktionierenden Postbestellsystem in den neuen Ländern und | |
zum anderen ist DT 64 involviert. »Jugendradio präsentiert« heißt es auf | |
dem Cover und auch im recht witzig produzierten Funktrailer, den man alle | |
Ohren lang bei DT zu hören bekommt. Wie lange noch ist fraglich. Sicher ist | |
dieser Promotionservice auch ein Stück Überlebensstrategie für den Sender, | |
dessen Abschaltung ja schon einmal geprobt wurde. Mit einer Verlautbarung | |
des amtierenden Rundfunkintendanten Singelstein zur nachfolgenden | |
Frequenzübernahme durch den RIAS und dem historischen Moment des Black Out | |
für DT beginnt der Ostsampler. Mit den Protestovationen und | |
Solidaritätsbekundungen der DT-Fans in Dresden endet die Platte. Wort- | |
Klänge, die der Rundfunkrat im Ohr behalten sollte... Die Musik, die Bands | |
und in engem Zusammenhang damit auch der Jugendsender sind der Osten, sind | |
Ostkultur im positiven Sinne. Sondows Beitrag »Born in the GDR« ist ein | |
klares Bekenntnis für eine historisch gewachsene Musik- und Kunstlandschaft | |
mit einer eigenstädigen Identität. Nicht nur dieser Song des vorliegenden | |
Samplers transportiert ein Gefühl von »Heimtat«, das weder etwas mit dem | |
ausgefallenen System zu tun hatte noch das es sich für die Umarmung von | |
seiten der Deutschen Bank erwärmen könnte. Quertreiber und Paßgänger, die | |
schon den Parademarsch nicht mitmachten und jetzt auch den Einheitstritt | |
nicht aufnehmen, gibt es weiterhin zuhauf: »Herbst in Peking« prophezeiten | |
bereits die »Bakschischrepublik«, »Feeling B« erkennen sich im »Lied von | |
der unruhevollen Jugend« und »Die Skeptiker« blicken auf der LP — wie immer | |
sehr skeptisch — in eine »Strahlende Zukunft«. Als dienstälteste | |
Störenfriede sind natürlich auch Renft und Engerling dabei. Hier allerdings | |
überstrahlt die politisch einwandfreie Gesinnung musikalische Qualität, die | |
möglicherweise auf anderen Platten besser aufgehoben wäre. Das den | |
altväterlichen Renfts 15 Jahre lang nichts Neues einfiel, ist schon | |
bedenklich. Daß ihre Sprachlosigkeit die Maueröffnung überdauert, legt die | |
Vermutung von einer permanenten Potenzstörung nahe. Sie steuerte die | |
Live-Aufnahme einer ihrer, wie immer gigantischen volksverbundenen | |
Rock-Epen aus den 70er Jahren bei. Über eine Personalliason mit »Home« | |
gelang es auch »Engelring« sich als Fremdkörper von irischer Schönheit | |
unters Volk zu mischen. Ein Prosit der Ausgewogenheit! | |
Aber trotz eines musikalischen Spektrums, das von Bob Dylan-geschwängerten | |
Balladen der Gruppe »Keimzeit« bis hin zu avancierten »Noise Core« von | |
Herrn Blum nebst »Beil« und von »Der Expander des Fortschritts« reicht, | |
gehen die 15 Titel der Platte, musikalisch wie textlich zusammen. Die Songs | |
brauchen einander als Ergänzungen, Reibeflächen und differenzierte | |
Sichtweisen auf das zentrale Thema »Heimat«. | |
Eine erste Singleauskoppelung vom Ostsampler wird in wenigen Wochen | |
erscheinen: der Dance Mix von »Herbst in Flake«, den eigens für diese LP | |
formierten Sonderprojekt. Eine Scheibe mit dem hintersinnigen Titel | |
»Bakschisch for Burundi«. Burundi, wo soll das denn liegen, etwa zwischen | |
Rostock und Suhl? Dann würde es bald heißen: Systemausfall! Micha Möller | |
14 Jan 1991 | |
## AUTOREN | |
micha möller | |
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