# taz.de -- Ein Schälchen Reis für Somalias First Lady | |
> Mogadischu nach dem Sieg der somalischen Rebellen/ 4.000 Tote und eine | |
> geplünderte Hauptstadt/ Die neue Führung ist vom Rest des Landes | |
> abgeschnitten/ Kein Essen und kein Benzin/ Wo ist Exdiktator Siad Barre?/ | |
> „Wir hofften, daß der alte Mann viel früher aufgeben würde“ ■ A… | |
> Mogadischu Bettina Gaus | |
Was unterscheidet eine Stadt von einer anderen menschlichen Ansiedlung wie | |
etwa einem Flüchtlingslager? Es gibt zwar Städte, die ohne Strom und | |
fließend Wasser auskommen müssen — etwas allerdings haben alle Städte auf | |
der Welt gemeinsam: in ihnen wird Handel getrieben. Und der Alltag der | |
Bevölkerung fügt sich im Zusammenspiel mit den Handlungen anderer zur | |
Infrastruktur zusammen. Nichts von alledem gilt in diesen Tagen für | |
Mogadischu. Alle Regeln des täglichen Lebens sind außer Kraft gesetzt, alle | |
Institutionen sind zusammengebrochen. Somalias Hauptstadt hat kollabiert. | |
Noch immer ist sie fast gänzlich von der Außenwelt abgeschnitten. | |
Hilfsmittel moderner Kommunikation sind nicht verfügbar. Der Geschäftsmann | |
Ali Muhammad Mahdi, der von der Rebellenbewegung USC (Vereinigter | |
Somalischer Kongreß) nach ihrem Sieg über die Regierungstruppen zum neuen | |
Präsidenten ausgerufen wurde, steht der Situation hilflos gegenüber: „Wir | |
arbeiten daran, den Kontakt nach draußen wiederherzustellen, aber uns | |
fehlen die nötigen Ersatzteile. Wir sind auf die Hilfe des Auslands | |
angewiesen.“ Die Unfähigkeit, mit anderen im Gespräch zu bleiben, birgt | |
große Gefahren in sich: die Widerstandsbewegung SNM (Somalische Nationale | |
Bewegung), die seit Monaten weite Teile von Nordsomalia kontrolliert, fühlt | |
sich schon jetzt durch die jüngsten USC-Beschlüsse übergangen. | |
Ein schweres Zerwürfnis, selbst ein bewaffneter Konflikt, zwischen den | |
ehemaligen Verbündeten ist nicht auszuschließen. Ali Muhammad Mahdi | |
beteuert: „Wir wollen uns mit Vertretern aller Gruppierungen der ehemaligen | |
Opposition an einen Tisch setzen, und es sollen auch alle an der neuen | |
Regierung beteiligt werden. Aber wir wissen nicht, wie wir mit den anderen | |
Bewegungen überhaupt in Kontakt kommen sollen.“ | |
Aber es fehlt nicht nur an Kommunikationsmöglichkeiten — es fehlt an allem. | |
„Bitte übermitteln Sie der Welt unseren Hilferuf“, fleht am Flughafen von | |
Mogadischu der Vizepräsident des Roten Halbmonds, Nur Elmi. „Wir haben kein | |
Benzin, keine Elektrizität, kein Wasser, keinen Transport. Menschen sterben | |
im Krankenhaus, weil es kein Diesel gibt, um den Generator im | |
Operationssaal zu betreiben.“ | |
Sofort nach unserer Ankunft am Flughafen werden wir von strahlenden | |
USC-Kämpfern umringt, die ihre Gewehre schwenken und rufen: „Allah ist | |
groß, wir haben gesiegt, willkommen, willkommen!“ Aber Freude und | |
Verzweiflung liegen dicht beieinander in diesen Tagen. Ein Mann, der im | |
letzten Gefecht noch verwundet worden ist, sagt glücklich: „Der Diktator | |
ist weg. Wir sind endlich frei.“ Sekunden später wird er von Schluchzern | |
geschüttelt und kann nicht weitersprechen — er denkt an Familienangehörige | |
und Freunde, die bei den Kämpfen ums Leben gekommen sind. | |
Irgendwo werden ein paar Liter Benzin organisiert, irgendwoher kommt ein | |
Auto: Die siegreichen Widerstandskämpfer wollen uns zeigen, was die | |
wochenlangen Kämpfe in ihrer Stadt angerichtet haben, die mit ihren | |
strahlend weißen Häuserwänden und ihren großzügig angelegten Fassaden und | |
Plätzen jahrelang ein Gemälde tropischen Friedens zu sein schien. Jetzt | |
bietet sich ein Bild der Verwüstung: fast kein Gebäude ist unversehrt | |
geblieben, riesige Löcher klaffen in dicken Mauern, rauchgeschwärzte | |
Trümmer liegen am Wegesrand, leere Höhlen dort, wo einst Fenster und Türen | |
waren, zeugen von Plünderungen. Kaum eine Wand, die nicht mit bunter Farbe | |
besprüht ist: „USC“ ist dort zu lesen — und „Guul!“ — Sieg! Aber d… | |
Menschen in Mogadischu können noch nicht aufatmen. Sie haben nichts zu | |
essen. Alle Geschäfte wurden ausgeraubt, nicht einmal fliegende Händler | |
bieten Waren feil. Geld ist praktisch wertlos in dieser Stadt — es gibt | |
überhaupt nichts zu kaufen. Frauen tragen Kanister und schöpfen Wasser aus | |
Brunnen. „Ich muß beinahe zehn Kilometer laufen, um Wasser zu bekommen“, | |
sagt ein junges Mädchen. Als wir uns einer Gruppe nähern wollen, die mit | |
zerbeulten Eimern das kostbare Naß aus der Tiefe fischt, werden wir von | |
unseren Begleitern zurückgehalten: „Bleiben Sie hier. Das Grundstück ist | |
vermint.“ Den Frauen aber bleibt keine andere Wahl, als das Risiko | |
einzugehen. | |
Fast alle Männer auf den Straßen Mogadischus tragen Waffen. Es läßt sich | |
nicht erkennen, ob der Einzelne zum USC gehört, ein bewaffneter Plünderer | |
oder ein versprengter Soldat ist. Wo sind die Reste von Siad Barres Armee | |
hingekommen? Noch immer müssen sie über schweres militärisches Gerät | |
verfügen. „Oh, sie sind verschwunden, ganz und gar verschwunden“, meint der | |
USC- Vorsitzende Hussein Muhammed Pood. Stimmt das wirklich? Noch sind | |
nicht alle Städte Somalias gefallen — und noch immer weiß niemand, wo sich | |
der ehemalige Herrscher Siad Barre aufhält. | |
„Ich möche ihn vor Gericht sehen“, sagt Nurta, die Ehefrau des neuen | |
Präsidenten Ali Muhammad Mahdi. Sie kennt den Vorgänger ihres Mannes gut. | |
Bis zuletzt arbeitete sie als Rechtsberaterin in seinem Büro, während | |
gleichzeitig das von ihr geführte Hotel Maka über Monate hinweg der | |
Opposition als geheimer Treffpunkt diente. „Viermal hat mich Barre kommen | |
lassen und mich beschuldigt, im Untergrund zu arbeiten. Ich habe es | |
jedesmal geleugnet. Aber ich wußte, daß ich mein Leben riskiere.“ Sie lebt | |
jetzt mit ihrem Mann bei ihrem Bruder: Ihr eigenes Haus ist zerstört, | |
ebenso wie ihr Hotel. Und dem neuen Staatsoberhaupt geht es kaum besser als | |
dem Rest der Bevölkerung: „Wir haben heute etwas Reis, den kochen wir zum | |
Mittagessen“, berichtet Nurta. | |
## Patronenhülsen, zerborstenes Glas und Haufen von Kot | |
Im Hintergrund sind während unseres Gesprächs vereinzelt Schüsse zu hören. | |
„Das sind Freudensalven von Leuten, die entdeckt haben, daß ihr Haus weder | |
geplündert noch zerstört ist“, erklärt einer unserer USC-Begleiter. Es ist | |
schwer zu entscheiden, was unwahrscheinlicher ist: daß es sich um | |
Salutschüsse handelt oder daß tatsächlich noch ein Haus in dieser | |
zerstörten Stadt völlig intakt sein soll. Noch immer werden Schubkarren | |
durch die mit Unrat übersäten Straßen geschoben, die mit offenkundig | |
geplünderten Gütern vollgestopft sind. Viele Gebäude sind gänzlich | |
leergeräumt — in den einstmals prunkvollen Zimmern der ehemaligen | |
Präsidentenresidenz Villa Somalia liegen nur noch einige zerbrochene | |
Schubladen, zerborstenes Glas und Haufen von Kot. Der Innenhof ist mit | |
Patronenhülsen, Gewehren und Trümmern bedeckt. Und hier liegen noch immer | |
Leichen: An ihren Kleidern sind sie als Soldaten zu identifizieren, aber | |
kein Verwandter würde sie noch erkennen. Insekten haben ihre Gesichter | |
weggefressen. | |
Niemand weiß bisher, wieviele Menschen insgesamt seit Jahresbeginn ums | |
Leben gekommen sind — 4.000 wird als Zahl immer wieder genannt, aber jedem | |
ist klar, daß der Bürgerkrieg ebensogut mehr wie weniger Opfer gefordert | |
haben kann. „Wir hatten nicht erwartet, daß die Kämpfe so schwer sein | |
würden“, sagt die neue First Lady, „Wir hatten gehofft, daß der alte Mann | |
viel früher aufgeben würde.“ | |
Tausende sind vor den Gefechten aufs Land geflohen — einige kehren jetzt | |
zurück. Lastwagen rollen in die Stadt, hoch beladen mit Bananenstauden, auf | |
denen dichtgedrängt Menschen sitzen. Wie haben sie Benzin bekommen? In | |
Mogadischu ist derzeit selbst für die allerdringendsten Notfälle so gut wie | |
nichts aufzutreiben. Das erste Flugzeug des Internationalen Roten Kreuzes, | |
das am Mittwoch die Hauptstadt erreichte, konnte wegen Benzinmangels nicht | |
wie geplant am selben Tag zurückfliegen. | |
„Die ganze Welt sorgt sich um die Demokratie in Kuwait“, sagt ein | |
USC-Kämpfer bitter, „wer hat sich um uns gekümmert? Wir mußten alles | |
alleine machen. Und noch immer hilft uns keiner.“ | |
1 Feb 1991 | |
## AUTOREN | |
bettina gaus | |
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