# taz.de -- Die Inkarnation des Bösen | |
> J. Demmes Thriller „Das Schweigen der Lämmer“ ■ Von Karl Wegmann | |
Ungefähr 40 bis 50 Serienkiller sind jederzeit in den USA auf freiem Fuß. | |
Die Mörder sind sehr schwer zu fangen, da sie meist ohne erkennbares Motiv | |
töten. Kein Wunder also, daß die amerikanischen Krimi-Schreiber sich | |
intensiv mit diesem Phänomen befassen. Besonders in den 80er Jahren brachte | |
fast jeder dieser Autoren mindestens ein Buch mit der Geschichte eines | |
irren Wiederholungstäters heraus. Ein Mann fiel dabei besonders auf. Thomas | |
Harris hatte mit Roter Drache eine Story abgeliefert, die selbst den | |
hartgesottensten Krimi-Fans kalte Schauer über den Rücken jagte. Einige | |
US-Kritiker sprachen vom „ultimativen Psychokillerroman“ und die | |
'Washington Post‘ nannte das Buch „den besten Psychothriller unserer Zeit�… | |
Vor allem eine Figur hatte es allen angetan: Dr. Hannibal Lecter. Neben | |
diesem üblen Psycho wirkt Norman Bates wie Cinderella. | |
Ein paar Jahre später überraschte der scheue Harris, der niemals Interviews | |
gibt, Kritiker und Leser, als er mit Das Schweigen der Lämmer noch eins | |
draufsetzte. Die Fortsetzungsgeschichte war wieder glänzend erzählt und Dr. | |
Lecter sorgte abermals für eine kribbelnde Gänsehaut. Das Buch wurde mit | |
dem American Mystery Award für die beste „Crime Novel“ 1988 ausgezeichnet. | |
Michael Mann brachte 1986 Roter Drache auf die Leinwand. Doch erst Jonathan | |
Demme schaffte es, mit der Verfilmung von Das Schweigen der Lämmer, die | |
düstere und bedrohliche Stimmung der Harris-Romane einzufangen und wurde | |
dafür auf der letzten Berlinale mit einem (halben) Silbernen Bären | |
ausgezeichnet. | |
Buch und Film erzählen von einem Serienkiller, der mit Vorliebe | |
großgewachsene, üppige Frauen meuchelt. Da er seinen Opfern Teile ihrer | |
Haut abzieht, und weil Cops gerne Spitznamen verteilen, nennen sie ihn | |
Buffalo Bill. Er ist ein ebenso widerlicher wie cleverer Bursche und | |
bereitet den FBI-Jungs schlimme Kopfschmerzen. Spezialagent Jack Crawford | |
(Scott Glenn) kommt auf die kühne Idee, die kriminalpsychologisch geschulte | |
FBI-Anfängerin Clarice Starling (Jodie Foster) einzusetzen. | |
Sie soll einem Spezialisten, dem brillianten Psychiater Dr. Hannibal Lecter | |
(Anthony Hopkins), einige Tips zum Verhalten des Serienkillers entlocken. | |
Lecter (Spitzname: Hannibal der Kannibale) ist Experte auf dem Gebiet, denn | |
er war selbst einst ein gefährlicher Massenmörder und sitzt nun eine | |
lebenslange Haftstrafe in einer hermetisch abgeriegelten Spezialklinik ab. | |
Und so steigt Clarice hinab in den Hades. Der Gang, der sie zur Zelle des | |
Killers führt, vorbei an eingepferchten Männern, die ihr Obszönitäten | |
zuzischen, ist nur der Vorhof zur Hölle. Das wahre Grauen, die Inkarnation | |
des Bösen sitzt hinter Glas. Völlig emotionslos richtet es seine kalten | |
Augen auf die junge Frau. | |
Schon in der Eingangssequenz legt Demme die Stimmung des gesamten Films | |
fest. Jodie Foster joggt durch einen nebelverhangenen Wald, nur begleitet | |
von unheilverkündender Hintergrundmusik. Auch wenn sie dem Wahnsinnigen | |
gegenübertritt, bleibt sie allein, denn der Gefangene hat nichts | |
menschliches außer seinen Worten, die von Tod und Verderben erzählen. Die | |
Szenen, in denen Clarice mit Dr. Lecter zusammentrifft, gehören zu den | |
beklemmendsten des Films. Natürlich sind sie eine Variation des alten | |
Themas „die Schöne und das Biest“, nur findet sich in dieser modernen | |
Version nichts romantisches mehr. Die mordlustige Bestie ist unfähig zu | |
lieben, und die Polizistin empfindet kein Mitleid. | |
Sie will Informationen von dem Monster, und dafür läßt sie sich auf ein | |
gefährliches Spiel ein. Lecter gibt ihr verschlüsselte Hinweise auf Buffalo | |
Bill und verlangt als Gegenleistung einen Seelen-Striptease von Clarice. | |
Der manipulative Psychopath will ins Hirn der Frau, er verlangt, daß sie | |
ihre tiefsten Erinnerungen und Ängste vor ihm ausbreitet. | |
Wenn Jodie Foster und Anthony Hopkins ihre bizarre verbale Messerstecherei | |
ausfechten, sind sie einfach grandios. Selten verbreiten Film-Dialoge | |
soviel Angst und Schrecken. Und in dem kurzen Moment, als Hopkins einen | |
Finger von Clarice berührt, macht der Herzschlag des Zuschauers eine Pause: | |
Die aufwendige Jagd nach Buffalo Bill quer durchs Land ist nichts dagegen. | |
Auch als der Abhäuter das erste Mal auftaucht und seine schaurige Arbeit | |
verrichtet, wirkt das eher harmlos im Vergleich zum Zweikampf der beiden | |
Hauptdarsteller. | |
Kurz vor Schluß kommt es in einen Keller zum nervenzerfetzenden Showdown. | |
Doch es gibt kein Happy-End. Das Böse verschwindet nicht aus der Welt. Es | |
schlägt zu, zieht sich zurück und wartet auf die nächste Chance. | |
Jonathan Demme: Das Schweigen der Lämmer , mit Jodie Foster, Anthony | |
Hokins, Scott Glenn u.a., USA 1991, 124 Min. | |
Thomas Harris: Roter Drache , Heyne Verlag, 447 S., 9,80 DM; Das Schweigen | |
der Lämmer , Heyne Verlag, 358 S., 8,80 DM | |
11 Apr 1991 | |
## AUTOREN | |
karl wegmann | |
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