# taz.de -- Tendenz zum Forcieren | |
> ■ Prokofjews „Liebe zu den drei Orangen“ in Dortmund | |
Nach dem alten Kalender fiel Sergej Prokofjews Geburt auf den 5.Mai. Und so | |
war es durchaus sinnfällig, daß die Dortmunder Premiere der Oper Die Liebe | |
zu den drei Orangen als Nachzügler der landesweiten Erinnerungen und | |
Ehrungen zum 100. Geburtstag des Komponisten aus der Ukraine zu diesem | |
Termin anberaumt wurde. Oft und gern wurde das kurz nach dem Ersten | |
Weltkrieg entstandene Opus 33, die dritte der sieben Prokofjew- Opern, als | |
„durch und durch russisch“ gefeiert, obwohl das Werk 1921 in Chicago auf | |
französisch zur Uraufführung kam und das „Russentum“ des Meisters vom Gut | |
Sonzowka heute nicht mehr als unbedingt gesicherte Größe gelten darf. Zudem | |
geht die Story vom Prinzen und seiner Liebe zu den drei Apfelsinen auf eine | |
Spielvorlage des venezianischen Dichters Carlo Gozzi aus der Mitte des | |
18.Jahrhunderts zurück. Freilich markiert die Literaturoper als vertontes | |
Schauspiel tatsächlich eine besondere russische Variante der Musikdramatik | |
seit den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Wsewolod Meyerhold nutzte | |
1913 Gozzis Text für ein Theaterprojekt, das die überraschenden Wendungen | |
der commedia dell'arte und deren Triumph des Wunderlichen und Wundersamen | |
zur Kampfansage gegen den auf den russischen Teatern herrschenden Realismus | |
und Naturalismus nutzte. Daß den westlichen Ohren Prokofjews kühle und | |
gehämmerte Tonsprache als etwas „typisch Russisches“ erschien, ist eher | |
Produkt einer simplifizierenden Rezeptionsgeschichte als Wahrnehmung der | |
tatsächlichen Gegebenheiten. Jedenfalls tritt heute stärker ins Bewußtsein, | |
daß Prokofjew aus einem sehr südlichen Gouvernement des Zarenreiches | |
stammte und daß das ukrainische Ambiente in seiner Kunst Spuren hinterließ. | |
In Dortmund ist die Welt des Königs, der die Melancholie seines Sohns mit | |
allen Mitteln bekämpfen lassen will, ein schwarzer Salon. Walter Perdacher | |
hatte das Bühnenbild entworfen: ein Flügel, ein Kronleuchter, eine | |
Zimmerpalme zieren jenes triste Dasein, in dem der Prinz unheilbar krank | |
erscheint, weil ihm das Lachen — offensichtlich für immer — vergangen ist. | |
Da sich in dieser komischen Oper aber alles glücklich fügt, lacht der | |
Thronfolger über ein Mißgeschick der Fata Morgana, nachdem alle offiziellen | |
Versuche zu einer Belustigung fehlschlugen. So geht das ja häufiger mit dem | |
organisierten Humor. | |
Damit die Drei Orangen in Dortmund nicht farblos blieben, sorgte | |
Marie-Thérèse Jossen für kräftige Übertreibungen bei den Kostümen. Vor | |
allem bemühte sich Johan Botha als übergewichtiger Prinz und das | |
Prinzessinnen-Terzett Buenaventura Braunstein/Rotraut Wallner/ Beate Frey | |
um kraftvollen Gesang. Allerdings konnte die allzu glatte Inszenierung von | |
Georges Delnon den surrealen Witz in der Küche Kreontas und in der Wüste | |
des Lebens nicht so recht freisetzen. Vielleicht bleibt dergleichen | |
gegenwärtig Theatermachern aus dem wilden Osten vorbehalten, die schon | |
durch die Wüste mußten und authentisch vom Kampf gegen die Köchin mit dem | |
großen Löffel zu berichten wissen. | |
Prokofjews Musik wirkt auch siebzig Jahre nach ihrer Entstehung noch | |
frisch, sportiv und mitreißend — gleichwohl könnte sie prägnanter ausfallen | |
als unter der Leitung von Laurent Wagner. Der konservative Grundzug des von | |
Prokofjew mitgeprägten Neoklassizismus ist bei dieser frühen Oper nicht zu | |
überhören und dürfte konstitutiv für die neuerliche Erfolgssträhne dieses | |
Werks sein. Den Dortmundern jedenfalls gefiel diese Art der Aufbereitung | |
und auch der allzeit zum Forcieren tendierende Gesang ausnehmend gut. | |
Frieder Reininghaus | |
Die nächsten Aufführungen: 18. und 29.Mai, 20 Uhr. | |
15 May 1991 | |
## AUTOREN | |
frieder reininghaus | |
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