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# taz.de -- Krieg der Rotationsmaschinen
> ■ Mit ruppigen Methoden versucht der konservative Burda-Verlag der
> 'Bild'-Zeitung im Osten Konkurrenz zu machen. 'Super' - ein
> Boulevard-Blatt für Herz und Bauch, führt dabei einen Streit mit dem
> Springer-Verlag
Von einem „Hetzblatt mit Körpersprache“ träumten 1978 die Gründer der
tageszeitung, und niemand wußte damals so recht, was damit gemeint war.
Heute, da die taz in den Kreis der seriösen überregionalen Qualitäts-Presse
aufgenommen ist, dürfte dieser Anspruch in den gepflegten Redaktionsetagen
der Kochstraße nur noch nostalgisches Schmunzeln erregen. Mit Verspätung
scheint sich der verwegene Wunsch jetzt unter umgekehrten Vorzeichen im
Wilden Osten zu erfüllen. Seit dem 2.Mai kämpft 'Super‘ um die gebrochenen
Herzen der Ost-Leser und wagt das Unmögliche: der unumschränkten Herrschaft
von 'Bild‘ die Stirn zu bieten.
In früheren Jahrzehnten hatten Gewerkschaften wie Studentenbewegung über
eine Gegen-'Bild‘-Zeitung phantasiert, Gruner und Jahr nach einer kühlen
Kostenrechnung müde abgewinkt und sich letztlich mit dem Ankauf der
'Hamburger Morgenpost‘ beschieden. Mit dem konservativen, katholischen
Burda- Verlag tritt nun ein Herausforderer an die Kioske, der in früheren
Zeiten eher durch perfekte Druckqualität und biedere Zeitschriften,
zwischen 'Burda-Moden‘ und 'Bunte‘, auf sich aufmerksam machte.
Nach dem Tod von Axel Caesar Springer war die heile Welt der deutschen
Großverlage leicht aus den Fugen geraten. Erst stieg Dr.Hubert Burda,
gelernter Kunsthistoriker und Sponsor des erlauchten Petraca- Preises, zum
publizistischen Kronprinzen bei Springer auf, um dann genauso rasch im
Streit mit seinen Brüdern abzustürzen. Alle Versuche, mit schlichten
Programmen und wenig Anteilen beim Privatsender Sat1 Fuß zu fassen,
scheiterten an den rüden Methoden von Film-Mogul Leo Kirch. Der kleine
Bruder Hubert mußte verbittert hinnehmen, daß seine älteren Geschwister
nach der Teilung des Familienerbes ihre Springer-Anteile mit horrendem
Gewinn verkauften, um das Geld anschließend in einer maroden
Fluggesellschaft zu verpulvern. Entsprechend deutscher Beharrlichkeit
bemühten die zerstrittenen Parteien ohne sonderliche Erfolge die Gerichte
und gewährten dabei der Öffentlichkeit einen Blick auf die Staubpopel unter
manch einem prominenten Familiensofa. J.R. und Cliff Barnes lassen grüßen.
Angesichts der festgezurrten Märkte blieb als Erlösung und neuer Kampfplatz
nur der Osten. Während die Konkurrenz-Verlage mit leicht variierten
West-Zeitschriften dort das Zeitalter der neuen Pressefreiheit einläuteten,
startete Burda mit zwei Neugründungen. 'Super-Ilu‘ und 'Super-TV‘, speziell
für die neuen Bundesländer gemacht, eroberten auf Anhieb mit jeweils rund
einer Million Exemplaren den Markt. Diese ersten Erfolge legten die Idee
nahe, in diesen Goldgräberzeiten endlich auch in den Sektor der
Tageszeitungen zu expandieren, um im Osten zu holen, was im Westen gegen
Springer nicht mehr erreichbar war: der Ausbau der eigenen Marktposition.
Geplant wurde, nach eigenem Selbstverständnis, eine neue
„Wirklichkeitszeitung“.
## Das ganze Leben zum Kampfpreis von 30 Pfennig
Im neuen Männerbund mit dem australisch-englischen Großverleger Murdoch
investierte Hurbert Burda innerhalb des letzten halben Jahresknapp 200
Millionen Mark. Im Hause von 'adn‘ installierte man ein hochmodernes
Redaktionssystem, und vor den Toren Berlins wurde ein Betonplattenwerk mit
gebrauchten Maschinen aus Schottland in ein Druckzentrum verwandelt. Doch
leider ging noch weit vor der Nullnummer der vorgesehene Chefredakteur
verloren. Günter Prinz, in der Branche als genialster Blattmacher gerühmt
und im Streit von seinem Stammhaus Springer geschieden, war von Burda nur
mit einem Beratervertrag angeheuert worden. Und als Intimfeind Peter Tamm,
Springer-Vorstand und leidenschaftlicher Buddelschiffsammler, im internen
Machtkampf dem Ex-Zigaretten-Manager Wille unterlag, der rechtzeitig von
der Droge zum Papier gewechselt hatte, ließ Prinz Hubert Burda wieder im
Stich und eilte heim nach Hamburg. Zurück blieben eine Rumpfmannschaft und
eine ausgefeilte Konzeption: aus dem Osten, für den Osten und von Ostlern
gemacht. Das ganze Leben zum Kampfpreis von 30 Pfennig.
Und so verkündete der in Offenburg gebürtige Burda mit Wohnsitz München in
seinem Editorial zur ersten Ausgabe treuherzig, was ihm seine redaktionelle
Marktforschung in Abgrenzung zu 'Bild‘ diktiert hatte: „Weil die Menschen
keine Spagatzeitung wollen, die im Westen anders schreibt als im Osten.
'Super‘-Zeitung ist da, weil die Menschen hier eine Sprachrohr brauchen.
Für ihre Sorgen und Freuden. Für ihr Glück und ihre Tränen.“ Zur
Bekräftigung meldeten fast alle Medien, zu 80 Prozent arbeite 'Super‘ mit
Ost-Belegschaft — eine Zählung, die allein den umgeschulten Druckern zu
danken ist, während in der Redaktion das Verhältnis umgekehrt aussehen
dürfte. Hochbezahlte Journalisten aus dem Westen schlüpfen in geknechtete
Ost-Seelen.
Gemäß der Befindlichkeit ihrer Zielgruppen hatten die Burda-Strategen drei
Kernthemen ausgemacht, die 'Super‘ mit bunten Bildern und knappen Sätzen
transportieren soll: rote Socken und böse Stasi, alte Seilschaften, neue
Betrüger und der Neid auf die Wessis. Daß jede zweite Seite mit einer
oftmals unscharf gedruckten Darstellung weiblicher Nacktheit den männlichen
Leser zu erfreuen sucht, ist selbstverständlich.
## Schlagzeilen tief unter der Gürtelinie
In der ersten Woche schien auch alles super zu gelingen. Nach schwachem
Start mit dem Aufmacher „Kati Witt läßt Luxuswohnung leerstehen“ steigerte
sich die Redaktion am zweiten Tag: „Angeber-Wessi mit Bierflasche
erschlagen. Ganz Bernau freut sich, daß er tot ist.“ Ein Fall für den
deutschen Presserat. Dann: „Gottschalk beleidigt alle Ossis. So doof sind
wir nicht.“ Und als Krönung eine Sex-Neid-Mord-Kombination: „West-Frau
lachte über nackten Ossi. Kehle durchgeschnitten. Vorher hatte sie noch das
schlimme Wort Schlappschwanz gesagt.“
Daneben bot und bietet 'Super‘ auch in seinen Rubriken einiges: „Das
Wut-Telefon“, als Beißholz gegen alle und jeden, natürlich „Die geheimen
Orte der Lust zwischen Rostock und Suhl“ und die Serie „Die dreckigen
Tränen der roten Götter“, dargeboten von der Edelfeder des
Trottoir-Journalisten und ehemaligen Doppelagenten Heinz van Nouhuys. Als
Übernahme aus Murdochs englischen Gazetten beteiligt sich 'Super‘ an der
Entlarvung eines „Schweiniseurs“, berichtet Bedrohliches aus der
Sowjetunion, „Hunger in Rußland: Zootiere fallen ihre Wärter an“, fragt
„Wieviele Männer darf eine anständige Frau haben. Sind zwölf zuviel?“ und
wärmt alte Geschichten über westliche Hochstapler im Osten auf. Selbst im
Sportteil kämpft 'Super‘ gegen die Kolonisierung: „Achtung! Auch Bayern
jagt unsere Stars.“
Mit der Erfindung des prognostischen Journalismus gelang es 'Super‘, ein
neues Feld der hohen Kunst der Recherche zu betreten. Unter der Überschrift
„Mielke will im Fernsehen weinen. Beste Sendezeit für das Scheusal.“ wurde
über ein beantragtes, aber noch nicht geführtes Interview von Spiegel-TV
mit dem Ex- Stasi-Chef berichet. Zurück aus der Zukunft zitierte 'Super‘
wörtlich: „Der einstige Herr der Angst wird brabbeln: ,Ich muß kein
schlechtes Gewissen haben.‘“
Neben diesen Schreckensvisionen spendet 'Super‘, wie von Burda versprochen,
aber auch Labsal und Trost: „Der Schrei-Adler fliegt wieder. Und noch acht
Gründe auf unser Land stolz zu sein.“ Wobei sich „unser Land“ auf das
Gebiet der 'Super‘- Wetterkarte bezieht — die alte DDR und keine Meile
mehr. Die Sporterfolge, „Wir laufen schneller als die Wessis“, das neue
Fußballwunder mit Doll und Sammer (ehemalige DDR-Nationalspieler, Anm. d.
Red.), unsere Frauen und das Comeback von Preußens Gloria sind die Trümpfe,
an denen sich der Ost-Leser aufrichten soll.
## Super-Schlag gegen Kohls Eier
Aber der konsequente Versuch, Eduard von Schnitzlers Schwarzen Kanal auf
Papier wieder auferstehen zu lassen, blieb nach einer Woche im Eigelb von
Halle kleben. Auf Seite eins nahm sich Super erst der Gesichtschirurgie von
Frau Mielke an: „3 x geliftet. 10 Jahre jünger für Scheusal Erich.“ Direkt
darunter konnte 'Super‘ seine klammheimliche Freude über den Eierwurf nicht
verbergen. „Klatsch, klatsch, das saß. Kohl in Halle mit Eiern beworfen.“
Und im Text hieß es: „Die Volksseele kochte über: Nach seinem Besuch bei
den Chemiearbeitern in Buna wurde Kanzler Kohl in Halle mit Eiern beworfen,
dreimal getroffen. Demonstranten schrien Lügner, schlugen nach Kohl.“
Solch offene Freude über Gewalt, vor mehr als zehn Jahren beim unbekannten
Mescalero aus Göttingen noch verbissen von der Staatsantwaltschaft
verfolgt, fand jetzt seinen moralischen Richter in 'Bild‘. Erst ließen die
Hamburger den beschimpften Gottschalk über mehrere Spalten vor dem wüsten
Hetzblatt warnen. „Liebe Ossis, laßt euch nicht aufhetzen. Wir Deutschen
hatten die Mauer lange genug, wir brauchen keine neue im Kopf.“ Dann legte
'Bild am Sonntag‘ mit einem Kommentar „Gegen Haß und Gewalt“ nach. „Ei…
Zeitung, die sich super findet, tatsächlich aber mit Hetzartikeln gegen
Westdeutsche ihr Geschäft macht, jubilierte. Klatsch, klatsch, das saß...
Der Weg vom Hühnerei bis zur Pistolenkugel ist kürzer als man denkt.“
Und 'Super‘ knickte ein. Ob ein Anruf bei Burdas Bevollmächtigten, dem
Ex-CDU-Abgeordneten Todenhöfer die Wende herbeiführte, bleibt ein
Geheimnis. Jedenfalls fragte 'Super‘ am nächsten Montag über einem
Kanzler-Porträt mit schwarz-rot-goldenem Rahmen: „Ist Kohl ein Held? Kohls
männliche Reaktion beim Eier-Anschlag der Chaoten hat in ganz Deutschland
große Bewunderung erregt.“ In die Defensive gedrängt, beschwerte sich
'Super‘ mit rührender Naivität über „Faule Eier aus Hamburg. Eine böse
Unterstellung, die daneben trifft. 'Super‘ stellt klar: Wir sind gegen
Gewalt in jeder Form, seien es Eier oder schlimme Worte aus Hamburg.
'Super‘-Leser wissen: wenn Eier fliegen, dann klatscht es. 'Super‘
beschrieb den Vorgang. PS. Lieber Kanzler, hoffentlich haben Sie uns nicht
mißverstanden. Das würde uns wirklich leid tun.“
Für den Rest der Woche schwenkte Super auf staatstragenden Kurs ein:
Kanzler-Lob und Empörung über Schalk-Golodkowski teilten sich die
Headlines. „Kanzler Löwenherz und die Frage, wie zornig darf ein Staatsmann
sein?“, „Kanzler, stopp den Wahsinn. Zeig die Fäuste nochmal.“, „Was in
Halle wirklich geschah: Attentat.“ konkurrierten mit „Frechste Bewerbung
des Jahres; Schalk will zur Treuhand.“
Im Blattinneren bediente 'Super‘ weiter vermeintliche Vorurteile und
Instinkte ihrer Leser. Keine emotionale Lücke wurde ausgespart. Neid und
Haß nicht nur subtil angedeutet, sondern offen geschürt. Im Vergleich wirkt
'Bild‘ in diesen Wochen wie ein aufklärendes, intellektuelles Medium, der
sachlichen Information verpflichtet. Schien in der Vergangenheit die
'Bild‘-Behauptung, belegt durch qualitative Marktforschung, aufgesetzt, sie
erfülle für ihre Leser Über-Ich-Funktion, so erhält sie heute im Vergleich
ihre Berechtigung. 'Super‘ zielt direkt auf das Es und die Triebökonomie,
sie artikuliert ungefiltert Haß und Frustrationen bei einem Publikum, das
noch nicht gelernt hat, eine Boulevardzeitung als Gesamtkunstwerk zu
begreifen.
Die moralische Empörung, die in den ersten Kommentaren über 'Super‘
schwappte, ist verständlich, doch sie verkennt die ökonomischen Gründe, auf
die der Burda Verlag setzt. Nur neben und gegen 'Bild‘ liegt eine Chance,
eine zweite nationale Boulevardzeitung zu etablieren. Da kann auch ein
konservativer Verlag auf politische Ansprüche und moralische Ambitionen
keine Rücksichten nehmen.
Ob dieser ehrgeizige Plan gelingt, ist bislang allerdings fraglich. Zwar
fanden die Macher nach der staatstragenden Woche wieder zu alter Form
zurück, aber der Wind der Konkurrenz wird stärker. Unverdrossen
schlagzeilen die hochbezahlten Publizisten aus der Mollstraße: „Neid!
Fleißigem Ossi Haus angezündet: Zuviel Erfolg.“, „1. Ossi im Hungerstreik.
Wessis wollen sein Haus, arbeitslos, Frau weggelaufen.“ oder „Honecker
wartete schon mit dem Wodka: Rote Socken auf der Flucht nach Moskau
gestoppt.“ Aber die Scharte gegen 'Bild‘ sitzt tief. Fehlmeldungen und die
gesunkenen Börsenkurse der Springer-Aktie werden bemüht, um den Rivalen
anzunehmen, hämisch die gesunkene 'Bild‘- Auflage im Osten kolportiert. Man
fühlt sich als Opfer: „Mit falschen Zitaten verleumdet 'Bild‘ die
'Super‘-Zeitung.“
Leicht nervös kontert Springer: „Kurzsichtig und dumm“, titelte 'Bild‘ a…
Seite zwei, „ein enger Kanzlerberater spricht von Burdas Drecksblatt.“ Und
die 'Welt‘ wollte wissen, Kohl höchstpersönlich habe von „Dreck und
Blödsinn“ gesprochen, und damit 'Super‘ gemeint. 'Super‘ bewirkte einen
erstaunlichen Wandel: 'Bild‘ räumte der früher vielgeschmähten linken
Kampfpresse breiten Raum ein; 'Süddeutsche‘ und 'Zeit‘ wurden in der
Kommentarspalte bereitwillig und lange zitiert. Wolfgang Vogel, Honeckers
Anwalt beim innerdeutschen Menschenhandel, wurde mit einem bewegenden
Beitrag zur Pensionierung gewürdigt: „Ein Patriot tritt ab. Also dann, auf
Wiedersehen Herr Dr.Vogel, und herzlichen Dank aus Ost und West.“ Vor
Monaten in 'Bild‘ noch unvorstellbar.
Wer diesen Kampf gewinnt, wird die von Citizen Axel Caesar oft beschworene
Abstimmung am Kiosk entscheiden. 'Bild‘ hat bereits mehr als die Hälfte
seiner Auflage im Osten verloren, macht im Westen aber weiter fette
Gewinne. Branchengerüchte wollen wissen, die Startauflage von 'Super‘
(500.000) sei nach drei Wochen stark abgebröckelt. Ob die umgeschulten
Plattenwerker, die täglich stolz in 'Super‘ über ihren neuen Arbeitsplatz
berichten, sich im Herbst nicht doch wieder in der Warteschlange vor dem
Arbeitsamt einfinden, ist ungewiß.
Aktueller Nachtrag: Sensation bei 'Super‘ — seit Montag mit
deutschlandweiter Wetterkarte; ab Freitag statt „Die dreckigen Tränen der
roten Götter" nun „Die tragischen Helden der Revolution" als Serie. Das
sind doch Fortschritte!
7 Jun 1991
## AUTOREN
thomas simeon
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