# taz.de -- „Marsch auf Rom“ im Liegewagen | |
> Emilio Lussus Erinnerungen an die ersten Jahre des italienischen | |
> Faschismus ■ Von Elke Schubert | |
Die traumhafte Vision des italienischen Duce war ein Komödien-Festival, bei | |
dem er, der ränkeschmiedende kleine Vasall, inmitten von Standarten und | |
Triumphen die Rolle bestimmter antiker, vom Volk angehimmelter Vasallen | |
(der Cäsaren und Kaiser...) vor einer lebenden Menge spielte, die zum Rang | |
von Hampelmännern erniedrigt war.“ So beschrieb Elsa Morante in ihrem Roman | |
La Storia den fundamentalen Unterschied zwischen den beiden Bündnispartnern | |
der Achse Berlin-Rom, Mussolini und Hitler. | |
Tatsächlich hat der Faschismus in Italien einen anderen Verlauf genommen | |
als in Deutschland. Zwar war Hitler in den zwanziger Jahren ein großer | |
Bewunderer des Duce und glaubte, in der faschistischen Bewegung Italiens | |
die Verwirklichung seiner Vision zu erkennen, aber das spätere Verhältnis | |
war von Verachtung und Arroganz der Deutschen gegenüber den „chaotischen | |
Italienern“ geprägt. Immerhin hatte der Duce Jahre gebraucht, bis seine | |
Macht gefestigt war, während Hitler ein paar Monate genügten. Da es in | |
Italien keine Tradition des Antisemitismus gab, wurden die deutschen | |
Rassegesetze zwar dem Bündnispartner zu Gefallen übernommen, aber erst nach | |
der Besetzung Norditaliens konnten die Deutschen auch hier an die | |
Realisierung der Endlösung gehen, was dazu führte, daß selbst die | |
Carabinieri die Juden kurz vor dem drohenden Abtransport in die Lager | |
warnten. Die überwiegende Mehrheit der italienischen Juden überlebte, weil | |
sie vor den Verfolgern versteckt wurden; und es gab eine Resistenza, | |
während in Deutschland kaum nennenswerter Widerstand zu verzeichnen ist. | |
Diese völlig unterschiedliche Ausprägung bedarf einer Erklärung, ohne daß | |
man der Versuchung erliegt, ins Folkloristische zu verfallen. Hilfreich bei | |
der Suche nach den Ursachen der Differenz könnte ein Buch des Sarden Emilio | |
Lussu sein, das erstmals 1933 erschienen war und die Anfänge des Faschismus | |
in Italien beschreibt. | |
Lussu, Begründer der sardischen Aktionspartei, Abgeordneter des römischen | |
Parlaments und entschiedener Gegner des faschistischen Regimes, wurde 1927 | |
auf die Gefängnisinsel Lipari verbannt. 1929 gelang ihm die Flucht nach | |
Frankreich, wo er der antifaschistischen Bewegung Giustizia e Libertà | |
angehörte. Nach dem Krieg war Lussu Abgeordneter und Minister, bis er sich | |
1968 von der Sozialistischen Partei trennte und Mitglied der | |
linkssozialistischen PSIUP wurde. Er starb 1975 in Rom. | |
Marsch auf Rom und Umgebung ist keine historische Studie, sondern eine | |
überaus aufschlußreiche literarische Schilderung der Ereignisse, durch die | |
trotz aller Tragik Lussus trockener, zuweilen sarkastischer Humor | |
schimmert. Weitgehend autobiographisch beschreibt das Buch auch die | |
Enttäuschungen eines politischen Menschen, dessen Freunde sich von einem | |
Tag zum anderen auf die Gegenseite schlagen und dennoch versuchen, mit | |
phantasievollen Ausreden die Absolution des Verratenen zu erhalten. Seinen | |
Titel verdankt es Mussolinis legendärem „Marsch auf Rom“, den Lussu als | |
lächerliche Schmierenkomödie entlarvt, bei der die Schauspieler zuweilen | |
ihren Text vergessen und trotz zusammenstürzender Kulisse weiterspielen | |
müssen: „Das Schicksal Italiens muß sich in Rom entscheiden, das liegt auf | |
der Hand. Mussolini besteigt in Neapel den Schnellzug, fährt durch Rom nach | |
Norden und verbannt sich aus eigenen Stücken aus Mailand. Mailand liegt am | |
anderen Ende Italiens, rund 600 Kilometer von Rom entfernt. In Neapel wäre | |
er der Hauptstadt näher gewesen. Die vom Duce getroffene Wahl des | |
Gefechtsstandes ist zweifellos originell. Auch heutzutage sind, trotz aller | |
Fortentwicklung der Waffen, 600 Kilometer zwischen dem Oberkommandierenden | |
und dem kämpfenden Heer eine außergewöhnliche Distanz. Dafür bietet aber | |
Mailand den Vorteil, daß es nur wenige Kilometer bis zur Schweizer Grenze | |
sind.“ Mussolini hatte schon längst die Genehmigung des italienischen | |
Königs Vittorio EmanueleIII. eingeholt, als er mit dem Nachtzug nach Rom | |
fuhr und seinen berühmten „Putsch“ wagte. Im Gegensatz zu Curzio Malaparte, | |
der 1933 in seinem Buch Technik des Staatsstreichs Mussolini als | |
großartigen Strategen feierte, hat Lussu zur selben Zeit die Farce bis in | |
ihre Einzelheiten durchschaut. Eine Farce zwar, doch mit welchen Folgen! | |
Anhand der Bevölkerung Sardiniens führt Lussu exemplarisch vor, wie die | |
faschistische Bewegung das Leben der Italiener von Grund auf veränderte. | |
Zunächst sah es so aus, als ob die „fasci“ in Sardinien scheitern würden. | |
Die Schwarzhemden terrorisierten zwar die Bewohner der widerspenstigsten | |
Dörfer und Städte, konnten zunächst aber keine Anhänger gewinnen. Die | |
gefürchtete Methode des öffentlichen Rhizinuseinflößens („Patriotische | |
Taufe“ genannt) bei besonders renitenten Gegnern und die Plünderung von | |
Häusern und Wohnungen verstärkten nur den Widerstand einer Bevölkerung, die | |
sich schon seit Ewigkeiten „von denen aus Rom“ benachteiligt und betrogen | |
fühlte. Dem eigens aus Rom angereisten Minister fiel die undankbare Aufgabe | |
zu, die aufgebrachten Sarden zu beruhigen und für das Regierungsprogramm zu | |
gewinnen. Sein Besuch in Cagliari gehört zu den erhellendsten Schilderungen | |
des Buches, denn die Reaktion auf den hohen Besucher war alles andere als | |
respektvoll. Im Sitzungssaal des Provinzialrates versammelte sich das | |
Publikum, und der Minister setzte zu einer pathetischen Rede an. „Schon der | |
Anblick der vielen Zigarren in der Brusttasche schien die Leute zu | |
amüsieren. Als der Redner dann nach den ersten Worten eine Zigarre aus der | |
Tasche fingerte und damit komplizierte akrobatische Übungen vollführte, | |
begannen einige Zuhörer zu kichern, der Lachreiz pflanzte sich durch die | |
Reihen fort, und schließlich brachen alle in schallendes Gelächter aus. Je | |
mehr Leute sich bemühten, das Lachen zu unterdrücken, desto lauter brach es | |
hervor[...] Die Heiterkeit nahm peinliche Formen an.“ Im | |
nationalsozialistischen Deutschland wäre eine auch nur annähernd ähnliche | |
Reaktion unvorstellbar gewesen. | |
Trotz dieser Schlappe führten die Schwarzhemden ihre Bestrafungsaktionen | |
weiter durch, sie belagerten Bergdörfer, verprügelten Oppositionelle und | |
versuchten sich in einer Politik der verbrannten Erde. Anstatt vor Angst zu | |
erstarren, wuchs die Verachtung der Bevölkerung. Weil sie den Faschismus | |
nicht als politische Strömung interpretierte, sondern als neue Variante des | |
in Sardinien nur allzu bekannten Banditentums, konnte die faschistische | |
Regierung mit Repressionen nichts erreichen. Mussolini mußte sich eine | |
andere Politik einfallen lassen, und hier kann man ihm den Respekt als | |
Meister der Intrige nicht verwehren: Er entmachtete den alten Präfekten und | |
besetzte den Posten mit einem psychologisch geschulten Politiker, der den | |
Sarden als erstes das Versprechen machte, sich ohne drohende Bestrafung an | |
den ehemaligen Peinigern rächen zu dürfen, wovon auch ausgiebig Gebrauch | |
gemacht wurde. Viele traten jetzt in die faschistische Bewegung ein und | |
wurden kurzerhand zu den Faschisten der „zweiten Stunde“ erklärt, während | |
man jene der „ersten Stunde“ wie heiße Kartoffeln fallenließ. | |
Mussolinis zweites sardisches Unternehmen ging dagegen schief: Der Präfekt | |
ließ auf seine Weisung hin ein spezielles Kolonialheer, die sardische | |
„Prima legione“, bilden, die in Libyen als Sondereinheit gegen feindlich | |
gesonnene Gruppen eingesetzt werden sollte. Da sich zunächst keiner | |
meldete, verdoppelte man kurzerhand den Sold, was den gewünschten Erfolg | |
brachte. Schon nach zwei Monaten Abwesenheit kursierten auf Sardinien | |
Gerüchte, die sich bald bestätigen sollten: Die Legion hatte im Angesicht | |
des Feindes gemeutert. Kurz vor einem geplanten Angriff rührte sie sich | |
nicht vom Fleck, weil die Legionäre ihren rückständigen Sold verlangten, | |
der ihnen aufgrund des Rekrutierungsvertrages zugesprochen worden war. Der | |
italienischen Regierung blieb nichts anderes übrig, als reguläre | |
Heereseinheiten nach Libyen zu entsenden, um die Meuterer zu umzingeln. | |
Erst jetzt setzten sie sich mißmutig in Bewegung; man sah jedoch ein, daß | |
mit einer solchen Einheit kein Krieg zu gewinnen war, blies das ganze | |
Unternehmen ab und schickte die Legionäre nach Hause. Mit Spannung | |
erwarteten die Bewohner von Cagliari die Rückkehr ihrer Truppe, und was | |
ihnen geboten wurde, war die Parade eines ungeordneten Haufens. „Die | |
Landungsoperationen zogen sich ungewöhnlich in die Länge, und die Legionäre | |
verloren die Geduld. Sie schwärmten aus und verliefen sich. Viele setzten | |
oder legten sich auf den Kais zur Ruhe. Andere gingen in die Kaffeehäuser | |
des Hafenviertels und bestellten in barschem Befehlston etwas zum Trinken. | |
Wenn es ums Zahlen ging, brüllten sie: 'Die Rechnung bezahlt General | |
Gandolfo.‘[...] Für die Kinder war es ein epochales Ereignis, ein Vergnügen | |
sondergleichen. In Hinkunft versprachen die Mütter schlimmen Kindern: 'Wenn | |
du brav bist, darfst du dir die faschistische Legion anschauen.‘“ | |
Marsch auf Rom und Umgebung ist voll von solchen Geschichten, die sich wie | |
ein Mosaik zu der einen großen zusammensetzen. Lussu macht mit seiner | |
Spottlust deutlich, warum der Faschismus in Italien nie wirklich zu einer | |
„Staatsreligion“ wie in Deutschland werden konnte. Die dem faschistischen | |
italienischen Staat zugrundeliegende Idee vom legitimen Nachfolger des | |
großen Römischen Reiches und seiner Cäsaren erweist sich als ebenso | |
lächerlich wie der legendäre „Marsch auf Rom“; nur die Nationalsozialisten | |
haben beides für bare Münze genommen, nicht aber die italienische | |
Bevölkerung. Was nicht heißen soll, daß dieses Staatsgebilde harmlos war, | |
denn sein Gegner wurden gnadenlos verfolgt. Zwar gab es keine | |
Vernichtungslager, dafür aber die berüchtigten Gefängnisse und die | |
Verbannung in entlegene unzugängliche Orte wie beispielsweise die Insel | |
Lipari, südlich von Sizilien. Auch Lussu blieb davon nicht verschont. | |
Nachdem er kurz zuvor einem Attentat zum Opfer gefallen war, bei dem er nur | |
durch das beherzte Eingreifen eines Freundes noch mit einer | |
Gehirnerschütterung davongekommen war, wurde sein Haus von einer | |
Hundertschaft Faschisten umstellt. Lussu erschoß den ersten Angreifer, der | |
über den Balkon in sein Haus gelangen wollte. Der Mordprozeß endete mit | |
einem Freispruch, ein weiteres Indiz dafür, daß die italienische Justiz | |
auch nach fünf Jahren faschistischer Diktatur noch nicht gleichgeschaltet | |
war und auf Lussus Popularität Rücksicht nehmen mußte. Trotz des | |
Freispruchs wurde er wie viele Oppositionelle auf die karge Insel Lipari | |
verbannt. Wie ihm die Flucht von diesem hermetisch abgeschlossenen, streng | |
bewachten Ort gelang, ist schon wieder eine andere Geschichte. Es bleibt zu | |
wünschen, daß sich der Europa-Verlag entschließt, Lussus Bücher Auf der | |
Hochebene und vor allem Theorie des Aufstands neu aufzulegen. | |
Emilio Lussu: Marsch auf Rom und Umgebung, Europa-Verlag, 254 Seiten, | |
gebunden, 32,—DM | |
21 Jun 1991 | |
## AUTOREN | |
elke schubert | |
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