# taz.de -- Luisa Neubauer im Interview: Die größte Lüge der Klimapolitik? | |
> „Fridays for Future“-Aktivistin Luisa Neubauer über Radikalität, | |
> Elternerziehung, APO, Vorbilder und nervende Politiker. | |
Bild: Luisa Neubauer bei einer Protestveranstaltung im Berliner Invalidenpark, … | |
taz FUTURZWEI: Was ist für Sie als »Fridays for Future«-Aktivistin die | |
größte Lüge in Sachen Klimapolitik, Frau Neubauer? | |
Luisa Neubauer: »Wir machen doch schon« ist, glaube ich, die größte Lüge. | |
Die Wirklichkeit und die Vorstellung davon stimmen nicht überein. | |
Richtig. »Wir machen doch schon« weckt die Assoziation, man würde sich ja | |
schon um das Klima kümmern. »Wir machen ja schon – weiter wie bisher«, wä… | |
der korrekte Satz. Das ist der Stillstand, den wir erleben. Und was da | |
teilweise an Sprüchen im politischen Rahmen kursiert, deckt schon ein ganz | |
beeindruckendes Spektrum ab, von Vorwänden, Ausflüchten, Abkehrungen bis | |
hin zu tatsächlich dreisten Lügen. | |
Die Wahrheit ist, dass wir bis jetzt keine demokratische Mehrheit für | |
ernsthafte Klimapolitik haben. | |
Das Spannende an der Klimakrise ist ja, dass es da eine geophysikalische | |
Wahrheit gibt, an der nicht zu rütteln ist, plus-minus wissenschaftliche | |
Abweichung. Du gehst nicht in den Tag mit 413 ppm CO2 in der Atmosphäre und | |
denkst abends: Ah nee, manche mit denen ich spreche, finden das gar nicht | |
so schlimm, deswegen sind wir jetzt bei 380. Egal, wer was sagt, es sind | |
413 und das wird mehr. Wissenschaftliche Tatsachen haben eine andere | |
Stellung als kulturelle Wahrheiten. Aber wir verhandeln nicht, welche | |
Maßnahmen jetzt angebracht und hilfreich sind, sondern streiten, wie | |
schlimm es eigentlich ist. Wir verhandeln eine Argumentationsgrundlage, die | |
nicht zur Verhandlung steht. | |
Können Sie das konkret machen? | |
Statt mit ganz viel Expertise von Ökonomen, Unternehmerinnen, anderen | |
Involvierten die effektivste CO2-Steuer auszuklügeln, dreht sich die | |
Debatte darum, wie viel Zeit wir noch haben, ob es nicht besser wäre, wenn | |
wir das in drei Jahren machen, ob überhaupt wirklich alles so schlimm ist, | |
ob man nicht besser guckt, was kommt, und überhaupt China. | |
FFF sagen immer wieder, dass Klimapolitik sich nach der Wissenschaft | |
richten muss und es hier nicht reicht, einen gesellschaftlichen Kompromiss | |
auszuhandeln. Aber ein Unternehmer, der Verantwortung für seine | |
Arbeitsplätze spürt, hat eine andere Wahrheit, und jemand, der seinen | |
Arbeitsplatz zu verlieren droht, auch. | |
Das ist eine etwas verquere Betrachtungsweise oder? Wir rasen in diese | |
Klimakrise rein, um uns herum wird sich alles ändern. In dem wir jetzt | |
stillstehen, reißt es uns unweigerlich zurück, weil wir nicht mithalten mit | |
den geophysikalischen Entwicklungen um uns herum. Da ist es ein leeres | |
Argument zu behaupten, man müsste Menschen vor Klimaschutzmaßnahmen | |
schützen. Nein, man muss Menschen durch Klimaschutz schützen. Da sind wir | |
wieder bei der Frage der Ehrlichkeit. Ich finde, Ehrlichkeit ist ein | |
besserer Begriff als Wahrheit. Ehrlichkeit gegenüber der Drastik der Lage, | |
gegenüber dem Versagen der Klimapolitik in den letzten dreißig Jahren, die | |
uns trotz Wissens um die Datenlage an einen Punkt gebracht hat, wo | |
Maßnahmen immer disruptiver werden müssen, um überhaupt noch Wirkung haben | |
zu können. | |
Für den 20. September haben Sie zum weltweiten Streik ausgerufen, für den | |
sie auch Wissenschaftler, Eltern und „Workers for Future“ gewinnen wollen. | |
Ja, der 20. September ist der große Tag in Deutschland, da fordern wir, | |
dass alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf die Straße gehen. Wir | |
brauchen jetzt auch die Menschen, die in der fossilen Wirtschaft arbeiten | |
und sagen: Leute, hackt es? | |
Was unterscheidet FFF von den vorherigen Umwelt-, Öko- und | |
Klimaschutzbewegungen? | |
Kommt jetzt die Frage nach der neuen APO? | |
Nein. Jetzt kommt die Frage nach dem methodischen Ansatz, der dazu geführt | |
hat, dass FFF im Gegensatz zu Pulse of Europe oder Occupy zumindest bisher | |
großen Erfolg hat. | |
Wir machen Fridays for Future, ohne ein Vorbild zu haben. Es gab noch nie | |
so eine Jugendbewegung in so einem digitalen Zeitalter, die sich mit | |
wissenschaftlichen Grundlagen beschäftigt hat und mit schon beschlossenen | |
Zielen und gleichzeitig auch mit diesen Organisationsformen, also global, | |
schnell, präsent, mit einem großartigen Anspruch an Gleichberechtigung. Es | |
ist alles anders und das heißt, dass alles, was wir machen, learning by | |
doing ist. Und jeden Tag lernen wir, und ich auch, tausend neue Sachen. | |
Dass wir mal gegen die Wand laufen und nochmal neu anfangen, gehört auch | |
dazu. | |
Was nervt Sie an FFF? | |
Oh Gott. Dünnes Eis für mich. | |
Sagen Sie einfach die Wahrheit. | |
Ach, dass Leute einfach loslegen, das kommt nicht von selbst und ist immer | |
zäh. Aber am Ende ist man geflasht und denkt: Krass, was für ein geiles | |
Potenzial überall. | |
Spüre ich hier eine Prise Habeck-Pathos? | |
Nee, genau so erlebe ich das halt. Man unterschätzt einfach chronisch die | |
Möglichkeiten und den Einfallsreichtum von Leuten, die Bock haben. | |
Fridays ist eine Mainstream-Bewegung, haben Sie gesagt. | |
Habe ich gesagt? | |
Der alte Mainstream löst sich ja auf, wie der Niedergang der | |
Ex-Volksparteien und der Aufstieg der AfD und der Grünen zeigt. Die | |
Sozialökologie, die bisher am Rand war, wird Teil der neuen Mitte. | |
Ich glaube auch, dass Klimaschutz, die sozialökologische Frage, | |
meinetwegen, mehr und mehr ins Zentrum reinrutscht. Sicherlich sehen die | |
Grünen sich in der Nähe dieser Frage verortet. FFF sind überparteilich und | |
im Gespräch mit Jungen Unionern, die sogar teilweise bei uns | |
mitorganisieren, genauso wie mit JuLis und Solids und auch Leuten, die sich | |
völlig unparteiisch einbringen. Wir erreichen wahnsinnig viele Menschen, | |
die sich im Links-Rechts-Spektrum überhaupt nicht positionieren. Viele | |
Rechts-links-Fragen lösen sich gerade ein bisschen auf oder verschieben | |
sich. | |
Das heißt konkret? | |
FFF sind eine wissenschaftsgeleitete Bewegung und damit haben wir eine ganz | |
andere Argumentationsgrundlage. Wir sagen nicht, wir finden das | |
Finanzsystem ungerecht, sondern wir sagen, das Finanzsystem zerstört unsere | |
Zukunft und den Planeten wegen A, B und C. Selbstverständlich bringt ein | |
ernsthafter Angang der Klimakrise einen riesengroßen Rucksack an anderen | |
großen globalen und auch ideologischen Fragen mit sich. Aber in erster | |
Instanz sind wir rein dem Ziel verpflichtet. Das muss natürlich zusammen | |
gedacht werden mit Menschenrechten und Nachhaltigkeitsansprüchen. | |
Wie sind Sie kulturell und organisatorisch verfasst? | |
Wir sind eine relativ emanzipierte junge Generation. Wir sind global | |
vernetzt. Wir haben relativ hohe Ansprüche an Partizipation und | |
Mitbestimmung. Das macht uns in meinen Augen recht stark, dass wir da viel | |
Zeit und Energie reininvestieren herauszufinden, wie wir Entscheidungen so | |
treffen können, dass Menschen den Prozess hin zu dieser Entscheidung | |
mitgestalten. Praktisch sind wir auch eine vom Brexit geschädigte | |
Generation, die weiß, wie es nicht laufen soll. | |
Welche Rolle spielen für FFF klassische Medien wie Tagesschau, Tages- und | |
Wochenzeitungen? Keine mehr? | |
Nein. Die sind auch wichtig. Ich wünschte, dass die klassischen Medien noch | |
einen größeren Stellenwert eingeräumt bekämen. Was Informationsverbreitung, | |
Aufklärung, sachlich geführte Debatten betrifft, sehe ich wenig Formate, | |
die diese Leerstellen einnehmen könnten. Wir machen natürlich auch unsere | |
Medien, wir haben unseren Podcast und YouTube und Facebook und Twitter und | |
Instagram für unsere Mobilisierung. Aber gerade in CDU- oder AfD-Hochburgen | |
erreichen Sie die Leute nicht mit Twitter, sondern mit Tageszeitungen. | |
Was unterscheidet Sie noch von 68ern, Anti-Atom- und | |
Emanzipationsbewegungen des letzten Jahrhunderts? | |
Das ist ja nichts Neues, dass sich junge Menschen über die Regeln beklagen | |
und ihren Eltern sagen: Wir wollen es anders machen. Aber wir sagen nicht, | |
wie es anders und besser geht. Wir sagen: Freunde, könntet ihr mal bitte | |
schleunigst durchsetzen, was ihr schon 1992 in Rio und 2002, 2006 und 2015 | |
alles beschlossen habt? | |
Sie sagen uns Älteren in aller Freundschaft, dass wir endlich das tun | |
sollen, was wir sagen, also unser Lügen oder Selbstbetrügen beenden? | |
Naja, es ist, als würden wir unsere Eltern und unseren Staat ein bisschen … | |
ich will jetzt nicht sagen: erziehen. Aber es ist schon so, als würden wir | |
in so eine ganz merkwürdige Lehrer- und Lehrerinnenrolle schlüpfen. | |
Das war ein bedrückender Moment bei einem Grünen-Parteitag, als Sie denen | |
die Meinung geigten und die sprangen auf und jubelten. Über ihr eigenes | |
Totalversagen? Oder weil sie in alter Ignoranzkultur denken, die anderen | |
seien schuld? | |
Oder weil sie sich verzettelt haben. | |
Die Kinder müssen den Erwachsenen sagen, dass sie sich verzettelt haben und | |
es so nicht weitergehen kann. Die Mündigkeitszuständigkeit hat sich | |
umgedreht? | |
Die Front verläuft zwischen denen, die vom Status quo am meisten | |
profitieren und denen, die am meisten dadurch verlieren. Und wir Junge | |
fragen uns: Warum sind die Sachen so, wie sie sind, wenn sie doch einfach | |
anders sein könnten? Und das müssen wir volle Lautstärke machen, weil wir | |
absolut nichts zu verlieren haben, außer unserer Zukunft. | |
Wieso nichts zu verlieren, Sie sind doch auch relativ privilegierte | |
Mittelschichtsleute mit Weltbürgerkultur? | |
Teilweise mag das so sein. Aber wir sind absolut nicht diejenigen, die | |
finanzielle Vorteile davon haben, dass Unternehmen jetzt auf Kosten des | |
Klimas Rendite generieren. Es ist im Gegenteil so, dass die Klimakrise uns | |
alles nehmen kann. Aber weil Sie Weltbürger sagten: Wir wachsen auf und uns | |
wird gesagt, die Welt liegt dir zu Füßen, alle Tore stehen dir offen. | |
Natürlich manifestiert sich das auch in einem Globalitätsanspruch, einem | |
Bewusstsein darüber, was wir hier eigentlich gerade für einen Irrsinn | |
veranstalten auf Kosten anderer. Das heißt, wir stellen auch fest, dass wir | |
auf die Gegenwart von anderen eindreschen. | |
Gleichzeitig aber wollen Sie, also die zwanzigjährigen Weltbürger, doch | |
schon auch weiter fliegen, weil das essenziell ist für moderne Berufe, | |
Netzwerke, Familien, Lebensstile und auch Engagement. Oder geht es darum, | |
dass wir alle nicht mehr fliegen und uns ins Nationale oder Lokale | |
zurückziehen? | |
Wie lange reden wir jetzt, bis wir bei der Flugfrage sind? | |
22 Minuten, neun Sekunden. | |
Also, das muss ich weiter ausführen. | |
Es geht mir nicht um die Privatisierung des Politischen, es geht um die | |
Fortsetzung der liberal-globalen Moderne. | |
Jaja, das sehe ich schon. Also: Ich glaube nicht, dass wir langfristig in | |
einer Welt leben werden, wo niemand mehr fliegt. Bei ganz vielen | |
Entwicklungen müssen wir fragen: War das eine gute Entwicklung oder war das | |
ein Schuss in den Ofen? Definitiv. Das ist beim internationalen Flugverkehr | |
eine andere Geschichte. Dass es aber nicht so weitergehen kann wie jetzt, | |
ist die Ausgangslage, mit der man sich zurechtfinden muss. | |
Wir fliegen weiter, aber politisch anders strukturiert. Wie? | |
Man muss ein Preismodell finden, dass kostendeckend ist und wo die | |
ökologischen Kosten internalisiert werden. Aber wenn wir uns mit dem | |
Fliegen beschäftigen wollen, super, dann reden wir mal im ersten Schritt | |
über Inlandsflüge in Deutschland, das sind achtzig Prozent Businessflüge. | |
Muss das sein? Glaube ich nicht. Das hat nichts mit einer liberalen Moderne | |
zu tun, sondern mit einer Scheinbequemlichkeit. Der entscheidende Punkt | |
ist: Wenn wir unsere Freiheit in der Zukunft mit der Freiheit von heute | |
zusammenbringen wollen, dann stellen wir fest, dass nicht alles so | |
weitergeht. Aber ich sträube mich dagegen, an dieser einen Frage zum | |
Flugverkehr aufzuhängen, wie eine liberale Moderne künftig funktionieren | |
kann. | |
Aber kein Rückzug aus dem Weltbürgertum, bei dem die Flughäfen geschlossen | |
werden und jeder auf seiner Scholle Gemüse anpflanzt und einmal im Monat | |
Zug fährt? | |
Sicher nicht. Die mächtigsten Institutionen der Welt haben kein Interesse | |
daran, irgendwas zu verändern, weil sie die großen Profiteure sind – auch | |
der voranschreitenden Klimakrise, zumindest kurzfristig. Wenn ich sage, ich | |
bleibe bei mir, mache für mich meine zwei Bahnfahrten im Monat, meinen | |
vegetarischen Konsum und mein Flohmarkt-Shoppen, dann räume ich schon mal | |
das Feld und lasse zu, dass das alles voranschreitet. | |
Was dann? | |
Was wir brauchen, sind die Ökomodernen, die mit vollem Elan auf das Feld | |
ziehen und denen, die Verlustängste oder einfach Vorbehalte haben, zeigen, | |
wie gut das Leben funktionieren kann in einem ökologisch definierten | |
zukunftsfähigen Wohlstand. Dass es kein Widerspruch sein muss, dass diese | |
Krise Angst machen muss, aber auch Mut machen kann. Und in der Sprache von | |
Robert Habeck Sehnsucht und Hunger nach Veränderung mit sich bringen kann. | |
Sie stehen also doch auf Habeck-Pathos? | |
Ah, es gibt so ein Habecksches Bürgervokabular, wo der ja schon ganz gute | |
Worte findet. Jedenfalls ist Rückzug nicht das Ding und kann nicht die | |
Antwort sein – in der globalisierten Welt, wo mehr denn je Fronten | |
aufgemacht werden zwischen nationalistischen Tendenzen und den | |
transnationalen Globalisierten. – Ich meine, wie ist der Neoliberalismus | |
denn um die Welt gejettet? Nicht, indem er gesagt hat: Ich höre mich mal | |
gemütlich in meiner Kommune um. Natürlich ist es wichtig, dass es auch die | |
Menschen gibt, die bei sich zu Hause in Leuchtturmprojekten zeigen, wie es | |
gehen kann. Aber der Anspruch muss sein, dass wir dann so viel, so oft, so | |
laut, so klar und verständlich wie möglich darüber reden und das in die | |
Welt raustragen. | |
In bestimmten linksdrehenden Milieus sagen sie, Greta Thunberg ist super, | |
weil die ist radikal – und Luisa Neubauer ist nicht radikal genug. | |
Aha, ist das so? | |
Das sagen die. | |
Cool. Okay. Ja. Und, was soll ich jetzt sagen? | |
Wie Sie das sehen? | |
Ob ich nicht radikal bin? Ach, ist ja immer Betrachtungssache. Wir sind | |
eigentlich radikal unradikal. Ich auch. | |
Radikal unradikal? | |
Wir sagen, Leute, ihr habt vor dreieinhalb Jahren was unterschrieben, also | |
macht jetzt mal. Und weil ihr anscheinend damit sehr lange braucht, stellen | |
wir euch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zur Seite und legen euch | |
auch noch hin, was denn die ersten Schritte sein könnten. Das finde ich | |
jetzt nicht wirklich radikal. | |
Ich persönlich finde, das Einhalten der Klimaziele ist sehr radikal | |
angesichts der Realität. Aber noch Ältere haben Projektionen in den Köpfen, | |
Rudi Dutschke, Che Guevara ... und Greta Thunberg wirkt halt auch etwas | |
außerirdisch. | |
Also, wenn die Gleichung ist, dass Greta radikal ist und ich bin nicht | |
radikal, dann kann ich damit gut leben. Vielleicht ergänzen wir uns. Wir | |
brauchen diese großen »Radikalen«, die nochmal ein ganz anderes Feld | |
aufmachen. Aber da es auch darum geht, den Leuten zu erklären, dass | |
Klimaschutz nicht heißt, allen ihr Auto wegzunehmen, ist es entscheidend, | |
dass es Leute gibt, die Offenheit zeigen, meinetwegen auch | |
Anschlussfähigkeit. Die zeigen, dass Klimaschutz keine Einstellung oder | |
Haltung ist, sondern Grundlage für alles, was in der Zukunft kommt. | |
Das Faszinierende am Greta-Bild ist das psychische und körperliche Leiden | |
an der Erderhitzung und gleichzeitig die Lebensstil-Konsequenzen, die sie | |
daraus gezogen hat. Das gibt ihr eine große, ikonische Kraft. Aber dieser | |
Lebensstil ist nicht massentauglich, schon gar nicht weltweit. | |
Es braucht aber auf jeden Fall mehr Menschen, die vorleben, wie ein gutes | |
ökologisches Leben aussehen kann. Auch wenn ich mir bewusst bin, dass ich | |
ja keinesfalls der Durchschnitt bin und in einer privilegierten | |
Ausgangslage. Ich kann ja monatelang Vollzeitklimagewissen sein, weil ich | |
studiere. Weil ich Kapazitäten habe, mich in der Sache zu bilden und weil | |
ich die Freiheit habe, kritisch zu sein. | |
Sie persönlich diskutieren auch in Christian Lindners Videopodcast, bei RWE | |
und im Springer-Club mit dem Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner. Was | |
bringt das? | |
Ich glaube, mit dem Klima ist man immer eine Art ungebetener Gast und man | |
muss deshalb lange einfach rumhängen, bis es eine Selbstverständlichkeit | |
ist, dass man Teil davon ist. Das heißt, dass man auch im Journalistenclub | |
von Springer ab und zu vorbeiguckt und checkt, wie die Lage ist. Plus, ich | |
glaube, eine entscheidende Zielgruppe sind nicht die Menschen, die in der | |
Chefetage rumsitzen und aus dem Eckbüro gucken, sondern die Menschen, die | |
deren Entscheidungen vorbereiten, die nächste Ebene an Entscheidern oder | |
Akteuren. | |
Die muss man treffen? | |
Ja, und die trifft man an diesen Orten. Oder junge Menschen, die schon ganz | |
viel erreicht haben im Leben, etwa mit einem Start-up. Menschen, die an | |
entscheidenden Stellen neu anfangen oder schon massivst mitgestalten: Wenn | |
die nicht die Klimakrise auf dem Schirm haben, kommen wir nicht weiter. | |
In einem Spiegel-Streitgespräch sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier | |
sinngemäß zu Ihnen, sie sollten erst einmal schön zu Ende studieren und | |
dann könnten Sie die Welt verbessern. Sie sagten: Ich will nicht schön zu | |
Ende studieren, ich will, dass Sie jetzt handeln, denn Sie sind der Letzte, | |
der noch handeln kann. Er versteht es nicht? | |
Dahinter steht auch die Frage, wie man es schafft, Menschen auf Augenhöhe | |
zu begegnen, die zwanzig Jahre jünger sind und im schlimmsten Fall noch | |
Frauen. Ich sehe da schon eine Reihe von Konflikten, die sich zusätzlich | |
zum Klimakonflikt so auftürmen, dass am Ende eine ratlose Jugend vor einem | |
dickköpfigen älteren Entscheidungsträger sitzt ... | |
... dickköpfig ist gut ... | |
… und sich fragt, was da schiefgelaufen ist. Und wieso dieser Mensch unser | |
Land regiert. | |
Weil wir ihn gewählt haben. Oder seine Partei. | |
Wir nicht. | |
Jaja. Das ist der Witz an einer Demokratie. Das man eine Mehrheit braucht. | |
Deswegen finde ich es sehr gut, wenn Sie eine Mehrheit der Jungen für | |
ernsthafte Klimapolitik gewinnen. | |
Ja, sicherlich. Es ist ja eben nicht damit getan, zu sagen, wir finden eine | |
Partei, die Klimaschutz feiert, und dann legen wir los. Nein. Wir gehen | |
unfassbare Veränderungen an, eine riesengroße Transformation. Da reicht | |
nicht ein politischer Akteur oder eine Partei. | |
Warum, Frau Neubauer, konzentriert sich zumindest die öffentliche | |
Aufmerksamkeit auf junge Frauen als Verkünderinnen dieser lang ignorierten | |
Wahrheit, nachdem Ökograubärte und die mit sich selbstbeschäftigten Grünen | |
vierzig Jahre nicht durchdrangen? | |
Kommunikationspsychologen können das sicherlich fundierter erklären, aber | |
es ist ein gigantischer Unterschied, wer eine Botschaft verkündet. Junge | |
Menschen, die man lange als Durchhänger abgestempelt hatte, erscheinen auf | |
der Bildfläche und benutzen eine andere Sprache, die nicht schon dreizehn | |
Runden durch den Bundestag gezogen ist. Ganz entscheidend ist, dass wir den | |
Anspruch erheben können, weil es um unsere Zukunft geht. Wir können sagen: | |
Ihr nehmt, was wir noch gar nicht hatten und damit auch nicht mehr kriegen. | |
Dass junge Frauen vorne stehen, finde ich jetzt nicht so wahnsinnig | |
erstaunlich. Wir sind eine emanzipierte Generation und das heißt, natürlich | |
achten wir auf Gender Balance bei den Speakern. | |
Wo sind die Jungs? | |
Die sind auch da, sie machen unfassbar wichtige Arbeit, vor und oftmals | |
auch hinter den Kulissen. Tauchen aber statistisch tatsächlich weniger auf | |
unseren Streiks auf. | |
Haben Sie persönlich Vorbilder? | |
Wie ich sagte, das war ein relativ unbespieltes und damit freies Feld, es | |
gibt da keine präsenten klimapolitischen Stimmen, mit denen ich | |
aufgewachsen bin. Naomi Klein vielleicht? | |
Aber keine Angela Davis. | |
Tut mir leid, die kenne ich nicht. Was noch wichtig ist, bei der Frage um | |
die weibliche Erscheinung der Bewegung: Wenn da jemand steht, der jung ist | |
und weiblich wie Greta, inspiriert und spricht das ganz anders junge | |
weibliche Personen an. Das, glaube ich, hat einen großen Effekt. | |
Brauchen wir demnach Gendersternchen? | |
Wir brauchen Wege, damit Sprache verschiedene Geschlechter bedenkt. Ob das | |
jetzt das Gendersternchen ist oder nicht – sollen die Leute so | |
praktizieren, wie sie es glücklich macht. Aber ich fühle mich definitiv | |
nicht angesprochen, wenn da steht: »Die Klimastreiker rufen zum Streik | |
auf.« Wenn wir nicht anfangen, die Hälfte der Gesellschaft in unserer | |
Sprache mitzunehmen, dann glaube ich nicht, dass wir mit einem | |
emanzipatorischen Projekt ausreichend Erfolg haben können. | |
Muss die nächste Bundeskanzlerin eine Frau sein? | |
Wenn es so eine wäre wie Annegret Kramp-Karrenbauer, dann danke bestens. | |
Liebäugeln Sie insgeheim mit Ökosozialismus? | |
Was ist das? | |
Die Vorstellung, den Kapitalismus zu überwinden und Öko und Sozialismus in | |
perfect harmony zusammenzubringen. | |
Ich glaube, dass Herr Lindner denkt, dass wir das wollen, oder? Die | |
Planwirtschaft? | |
Der FDP-Vorsitzende spricht bisweilen so. | |
Ich glaube, das möchte er glauben, dass wir das wollen. | |
Also kein Ökosozialismus. | |
Wenn wir die Klimakrise ernsthaft angehen, dann werden wir feststellen, | |
dass wir ganz viel verändern müssen. Und nach diesen ganzen Veränderungen, | |
werden wir feststellen, dass wir nicht mehr in einem Kapitalismus leben, | |
wie wir ihn heute erleben. Aber ich glaube nicht, dass das dann ein | |
Sozialismus ist und auch kein Ökosozialismus. Das wird eine andere Form | |
sein von einem Wirtschaftssystem. Der richtige Ansatz ist nicht zu fragen, | |
was das dann ist. | |
Sondern? | |
Wo wollen wir hin, wie kommen wir dahin und was sind die Alternativen? Das | |
Wie ist entscheidend. | |
Wann ist FFF überflüssig? | |
Uh, cool! Gute Frage. Was macht uns überflüssig? Die Entdeckung des | |
Selbsterhaltungstriebs der bundesdeutschen Politik und Industrie. Wir | |
erschaffen Lebensräume, die nicht mehr sicher für Menschen sind. Das muss | |
man sich mal reinziehen. Ich glaube, sich dieser Absurdität, dieses | |
existenziellen Widerspruchs erst wirklich bewusst zu werden, ist der | |
entscheidende Schritt als Gesellschaft, als politisches Ganzes. Aber ich | |
sehe keinen Anlass, sich darauf zu verlassen, dass schnell gehandelt wird. | |
Die Lage hat sich ja nicht verbessert in den letzten dreißig Jahren. Seit | |
dem Pariser Abkommen 2015 ist sogar alles drastischer geworden. Also, ich | |
bin tragischerweise zuversichtlich, dass wir noch eine Weile protestieren | |
werden müssen. | |
Interview: [1][PETER UNFRIED] | |
12 Sep 2019 | |
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## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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