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# taz.de -- Luisa Neubauer im Interview: Die größte Lüge der Klimapolitik?
> „Fridays for Future“-Aktivistin Luisa Neubauer über Radikalität,
> Elternerziehung, APO, Vorbilder und nervende Politiker.
Bild: Luisa Neubauer bei einer Protestveranstaltung im Berliner Invalidenpark, …
taz FUTURZWEI: Was ist für Sie als »Fridays for Future«-Aktivistin die
größte Lüge in Sachen Klimapolitik, Frau Neubauer?
Luisa Neubauer: »Wir machen doch schon« ist, glaube ich, die größte Lüge.
Die Wirklichkeit und die Vorstellung davon stimmen nicht überein.
Richtig. »Wir machen doch schon« weckt die Assoziation, man würde sich ja
schon um das Klima kümmern. »Wir machen ja schon – weiter wie bisher«, wä…
der korrekte Satz. Das ist der Stillstand, den wir erleben. Und was da
teilweise an Sprüchen im politischen Rahmen kursiert, deckt schon ein ganz
beeindruckendes Spektrum ab, von Vorwänden, Ausflüchten, Abkehrungen bis
hin zu tatsächlich dreisten Lügen.
Die Wahrheit ist, dass wir bis jetzt keine demokratische Mehrheit für
ernsthafte Klimapolitik haben.
Das Spannende an der Klimakrise ist ja, dass es da eine geophysikalische
Wahrheit gibt, an der nicht zu rütteln ist, plus-minus wissenschaftliche
Abweichung. Du gehst nicht in den Tag mit 413 ppm CO2 in der Atmosphäre und
denkst abends: Ah nee, manche mit denen ich spreche, finden das gar nicht
so schlimm, deswegen sind wir jetzt bei 380. Egal, wer was sagt, es sind
413 und das wird mehr. Wissenschaftliche Tatsachen haben eine andere
Stellung als kulturelle Wahrheiten. Aber wir verhandeln nicht, welche
Maßnahmen jetzt angebracht und hilfreich sind, sondern streiten, wie
schlimm es eigentlich ist. Wir verhandeln eine Argumentationsgrundlage, die
nicht zur Verhandlung steht.
Können Sie das konkret machen?
Statt mit ganz viel Expertise von Ökonomen, Unternehmerinnen, anderen
Involvierten die effektivste CO2-Steuer auszuklügeln, dreht sich die
Debatte darum, wie viel Zeit wir noch haben, ob es nicht besser wäre, wenn
wir das in drei Jahren machen, ob überhaupt wirklich alles so schlimm ist,
ob man nicht besser guckt, was kommt, und überhaupt China.
FFF sagen immer wieder, dass Klimapolitik sich nach der Wissenschaft
richten muss und es hier nicht reicht, einen gesellschaftlichen Kompromiss
auszuhandeln. Aber ein Unternehmer, der Verantwortung für seine
Arbeitsplätze spürt, hat eine andere Wahrheit, und jemand, der seinen
Arbeitsplatz zu verlieren droht, auch.
Das ist eine etwas verquere Betrachtungsweise oder? Wir rasen in diese
Klimakrise rein, um uns herum wird sich alles ändern. In dem wir jetzt
stillstehen, reißt es uns unweigerlich zurück, weil wir nicht mithalten mit
den geophysikalischen Entwicklungen um uns herum. Da ist es ein leeres
Argument zu behaupten, man müsste Menschen vor Klimaschutzmaßnahmen
schützen. Nein, man muss Menschen durch Klimaschutz schützen. Da sind wir
wieder bei der Frage der Ehrlichkeit. Ich finde, Ehrlichkeit ist ein
besserer Begriff als Wahrheit. Ehrlichkeit gegenüber der Drastik der Lage,
gegenüber dem Versagen der Klimapolitik in den letzten dreißig Jahren, die
uns trotz Wissens um die Datenlage an einen Punkt gebracht hat, wo
Maßnahmen immer disruptiver werden müssen, um überhaupt noch Wirkung haben
zu können.
Für den 20. September haben Sie zum weltweiten Streik ausgerufen, für den
sie auch Wissenschaftler, Eltern und „Workers for Future“ gewinnen wollen.
Ja, der 20. September ist der große Tag in Deutschland, da fordern wir,
dass alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf die Straße gehen. Wir
brauchen jetzt auch die Menschen, die in der fossilen Wirtschaft arbeiten
und sagen: Leute, hackt es?
Was unterscheidet FFF von den vorherigen Umwelt-, Öko- und
Klimaschutzbewegungen?
Kommt jetzt die Frage nach der neuen APO?
Nein. Jetzt kommt die Frage nach dem methodischen Ansatz, der dazu geführt
hat, dass FFF im Gegensatz zu Pulse of Europe oder Occupy zumindest bisher
großen Erfolg hat.
Wir machen Fridays for Future, ohne ein Vorbild zu haben. Es gab noch nie
so eine Jugendbewegung in so einem digitalen Zeitalter, die sich mit
wissenschaftlichen Grundlagen beschäftigt hat und mit schon beschlossenen
Zielen und gleichzeitig auch mit diesen Organisationsformen, also global,
schnell, präsent, mit einem großartigen Anspruch an Gleichberechtigung. Es
ist alles anders und das heißt, dass alles, was wir machen, learning by
doing ist. Und jeden Tag lernen wir, und ich auch, tausend neue Sachen.
Dass wir mal gegen die Wand laufen und nochmal neu anfangen, gehört auch
dazu.
Was nervt Sie an FFF?
Oh Gott. Dünnes Eis für mich.
Sagen Sie einfach die Wahrheit.
Ach, dass Leute einfach loslegen, das kommt nicht von selbst und ist immer
zäh. Aber am Ende ist man geflasht und denkt: Krass, was für ein geiles
Potenzial überall.
Spüre ich hier eine Prise Habeck-Pathos?
Nee, genau so erlebe ich das halt. Man unterschätzt einfach chronisch die
Möglichkeiten und den Einfallsreichtum von Leuten, die Bock haben.
Fridays ist eine Mainstream-Bewegung, haben Sie gesagt.
Habe ich gesagt?
Der alte Mainstream löst sich ja auf, wie der Niedergang der
Ex-Volksparteien und der Aufstieg der AfD und der Grünen zeigt. Die
Sozialökologie, die bisher am Rand war, wird Teil der neuen Mitte.
Ich glaube auch, dass Klimaschutz, die sozialökologische Frage,
meinetwegen, mehr und mehr ins Zentrum reinrutscht. Sicherlich sehen die
Grünen sich in der Nähe dieser Frage verortet. FFF sind überparteilich und
im Gespräch mit Jungen Unionern, die sogar teilweise bei uns
mitorganisieren, genauso wie mit JuLis und Solids und auch Leuten, die sich
völlig unparteiisch einbringen. Wir erreichen wahnsinnig viele Menschen,
die sich im Links-Rechts-Spektrum überhaupt nicht positionieren. Viele
Rechts-links-Fragen lösen sich gerade ein bisschen auf oder verschieben
sich.
Das heißt konkret?
FFF sind eine wissenschaftsgeleitete Bewegung und damit haben wir eine ganz
andere Argumentationsgrundlage. Wir sagen nicht, wir finden das
Finanzsystem ungerecht, sondern wir sagen, das Finanzsystem zerstört unsere
Zukunft und den Planeten wegen A, B und C. Selbstverständlich bringt ein
ernsthafter Angang der Klimakrise einen riesengroßen Rucksack an anderen
großen globalen und auch ideologischen Fragen mit sich. Aber in erster
Instanz sind wir rein dem Ziel verpflichtet. Das muss natürlich zusammen
gedacht werden mit Menschenrechten und Nachhaltigkeitsansprüchen.
Wie sind Sie kulturell und organisatorisch verfasst?
Wir sind eine relativ emanzipierte junge Generation. Wir sind global
vernetzt. Wir haben relativ hohe Ansprüche an Partizipation und
Mitbestimmung. Das macht uns in meinen Augen recht stark, dass wir da viel
Zeit und Energie reininvestieren herauszufinden, wie wir Entscheidungen so
treffen können, dass Menschen den Prozess hin zu dieser Entscheidung
mitgestalten. Praktisch sind wir auch eine vom Brexit geschädigte
Generation, die weiß, wie es nicht laufen soll.
Welche Rolle spielen für FFF klassische Medien wie Tagesschau, Tages- und
Wochenzeitungen? Keine mehr?
Nein. Die sind auch wichtig. Ich wünschte, dass die klassischen Medien noch
einen größeren Stellenwert eingeräumt bekämen. Was Informationsverbreitung,
Aufklärung, sachlich geführte Debatten betrifft, sehe ich wenig Formate,
die diese Leerstellen einnehmen könnten. Wir machen natürlich auch unsere
Medien, wir haben unseren Podcast und YouTube und Facebook und Twitter und
Instagram für unsere Mobilisierung. Aber gerade in CDU- oder AfD-Hochburgen
erreichen Sie die Leute nicht mit Twitter, sondern mit Tageszeitungen.
Was unterscheidet Sie noch von 68ern, Anti-Atom- und
Emanzipationsbewegungen des letzten Jahrhunderts?
Das ist ja nichts Neues, dass sich junge Menschen über die Regeln beklagen
und ihren Eltern sagen: Wir wollen es anders machen. Aber wir sagen nicht,
wie es anders und besser geht. Wir sagen: Freunde, könntet ihr mal bitte
schleunigst durchsetzen, was ihr schon 1992 in Rio und 2002, 2006 und 2015
alles beschlossen habt?
Sie sagen uns Älteren in aller Freundschaft, dass wir endlich das tun
sollen, was wir sagen, also unser Lügen oder Selbstbetrügen beenden?
Naja, es ist, als würden wir unsere Eltern und unseren Staat ein bisschen …
ich will jetzt nicht sagen: erziehen. Aber es ist schon so, als würden wir
in so eine ganz merkwürdige Lehrer- und Lehrerinnenrolle schlüpfen.
Das war ein bedrückender Moment bei einem Grünen-Parteitag, als Sie denen
die Meinung geigten und die sprangen auf und jubelten. Über ihr eigenes
Totalversagen? Oder weil sie in alter Ignoranzkultur denken, die anderen
seien schuld?
Oder weil sie sich verzettelt haben.
Die Kinder müssen den Erwachsenen sagen, dass sie sich verzettelt haben und
es so nicht weitergehen kann. Die Mündigkeitszuständigkeit hat sich
umgedreht?
Die Front verläuft zwischen denen, die vom Status quo am meisten
profitieren und denen, die am meisten dadurch verlieren. Und wir Junge
fragen uns: Warum sind die Sachen so, wie sie sind, wenn sie doch einfach
anders sein könnten? Und das müssen wir volle Lautstärke machen, weil wir
absolut nichts zu verlieren haben, außer unserer Zukunft.
Wieso nichts zu verlieren, Sie sind doch auch relativ privilegierte
Mittelschichtsleute mit Weltbürgerkultur?
Teilweise mag das so sein. Aber wir sind absolut nicht diejenigen, die
finanzielle Vorteile davon haben, dass Unternehmen jetzt auf Kosten des
Klimas Rendite generieren. Es ist im Gegenteil so, dass die Klimakrise uns
alles nehmen kann. Aber weil Sie Weltbürger sagten: Wir wachsen auf und uns
wird gesagt, die Welt liegt dir zu Füßen, alle Tore stehen dir offen.
Natürlich manifestiert sich das auch in einem Globalitätsanspruch, einem
Bewusstsein darüber, was wir hier eigentlich gerade für einen Irrsinn
veranstalten auf Kosten anderer. Das heißt, wir stellen auch fest, dass wir
auf die Gegenwart von anderen eindreschen.
Gleichzeitig aber wollen Sie, also die zwanzigjährigen Weltbürger, doch
schon auch weiter fliegen, weil das essenziell ist für moderne Berufe,
Netzwerke, Familien, Lebensstile und auch Engagement. Oder geht es darum,
dass wir alle nicht mehr fliegen und uns ins Nationale oder Lokale
zurückziehen?
Wie lange reden wir jetzt, bis wir bei der Flugfrage sind?
22 Minuten, neun Sekunden.
Also, das muss ich weiter ausführen.
Es geht mir nicht um die Privatisierung des Politischen, es geht um die
Fortsetzung der liberal-globalen Moderne.
Jaja, das sehe ich schon. Also: Ich glaube nicht, dass wir langfristig in
einer Welt leben werden, wo niemand mehr fliegt. Bei ganz vielen
Entwicklungen müssen wir fragen: War das eine gute Entwicklung oder war das
ein Schuss in den Ofen? Definitiv. Das ist beim internationalen Flugverkehr
eine andere Geschichte. Dass es aber nicht so weitergehen kann wie jetzt,
ist die Ausgangslage, mit der man sich zurechtfinden muss.
Wir fliegen weiter, aber politisch anders strukturiert. Wie?
Man muss ein Preismodell finden, dass kostendeckend ist und wo die
ökologischen Kosten internalisiert werden. Aber wenn wir uns mit dem
Fliegen beschäftigen wollen, super, dann reden wir mal im ersten Schritt
über Inlandsflüge in Deutschland, das sind achtzig Prozent Businessflüge.
Muss das sein? Glaube ich nicht. Das hat nichts mit einer liberalen Moderne
zu tun, sondern mit einer Scheinbequemlichkeit. Der entscheidende Punkt
ist: Wenn wir unsere Freiheit in der Zukunft mit der Freiheit von heute
zusammenbringen wollen, dann stellen wir fest, dass nicht alles so
weitergeht. Aber ich sträube mich dagegen, an dieser einen Frage zum
Flugverkehr aufzuhängen, wie eine liberale Moderne künftig funktionieren
kann.
Aber kein Rückzug aus dem Weltbürgertum, bei dem die Flughäfen geschlossen
werden und jeder auf seiner Scholle Gemüse anpflanzt und einmal im Monat
Zug fährt?
Sicher nicht. Die mächtigsten Institutionen der Welt haben kein Interesse
daran, irgendwas zu verändern, weil sie die großen Profiteure sind – auch
der voranschreitenden Klimakrise, zumindest kurzfristig. Wenn ich sage, ich
bleibe bei mir, mache für mich meine zwei Bahnfahrten im Monat, meinen
vegetarischen Konsum und mein Flohmarkt-Shoppen, dann räume ich schon mal
das Feld und lasse zu, dass das alles voranschreitet.
Was dann?
Was wir brauchen, sind die Ökomodernen, die mit vollem Elan auf das Feld
ziehen und denen, die Verlustängste oder einfach Vorbehalte haben, zeigen,
wie gut das Leben funktionieren kann in einem ökologisch definierten
zukunftsfähigen Wohlstand. Dass es kein Widerspruch sein muss, dass diese
Krise Angst machen muss, aber auch Mut machen kann. Und in der Sprache von
Robert Habeck Sehnsucht und Hunger nach Veränderung mit sich bringen kann.
Sie stehen also doch auf Habeck-Pathos?
Ah, es gibt so ein Habecksches Bürgervokabular, wo der ja schon ganz gute
Worte findet. Jedenfalls ist Rückzug nicht das Ding und kann nicht die
Antwort sein – in der globalisierten Welt, wo mehr denn je Fronten
aufgemacht werden zwischen nationalistischen Tendenzen und den
transnationalen Globalisierten. – Ich meine, wie ist der Neoliberalismus
denn um die Welt gejettet? Nicht, indem er gesagt hat: Ich höre mich mal
gemütlich in meiner Kommune um. Natürlich ist es wichtig, dass es auch die
Menschen gibt, die bei sich zu Hause in Leuchtturmprojekten zeigen, wie es
gehen kann. Aber der Anspruch muss sein, dass wir dann so viel, so oft, so
laut, so klar und verständlich wie möglich darüber reden und das in die
Welt raustragen.
In bestimmten linksdrehenden Milieus sagen sie, Greta Thunberg ist super,
weil die ist radikal – und Luisa Neubauer ist nicht radikal genug.
Aha, ist das so?
Das sagen die.
Cool. Okay. Ja. Und, was soll ich jetzt sagen?
Wie Sie das sehen?
Ob ich nicht radikal bin? Ach, ist ja immer Betrachtungssache. Wir sind
eigentlich radikal unradikal. Ich auch.
Radikal unradikal?
Wir sagen, Leute, ihr habt vor dreieinhalb Jahren was unterschrieben, also
macht jetzt mal. Und weil ihr anscheinend damit sehr lange braucht, stellen
wir euch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zur Seite und legen euch
auch noch hin, was denn die ersten Schritte sein könnten. Das finde ich
jetzt nicht wirklich radikal.
Ich persönlich finde, das Einhalten der Klimaziele ist sehr radikal
angesichts der Realität. Aber noch Ältere haben Projektionen in den Köpfen,
Rudi Dutschke, Che Guevara ... und Greta Thunberg wirkt halt auch etwas
außerirdisch.
Also, wenn die Gleichung ist, dass Greta radikal ist und ich bin nicht
radikal, dann kann ich damit gut leben. Vielleicht ergänzen wir uns. Wir
brauchen diese großen »Radikalen«, die nochmal ein ganz anderes Feld
aufmachen. Aber da es auch darum geht, den Leuten zu erklären, dass
Klimaschutz nicht heißt, allen ihr Auto wegzunehmen, ist es entscheidend,
dass es Leute gibt, die Offenheit zeigen, meinetwegen auch
Anschlussfähigkeit. Die zeigen, dass Klimaschutz keine Einstellung oder
Haltung ist, sondern Grundlage für alles, was in der Zukunft kommt.
Das Faszinierende am Greta-Bild ist das psychische und körperliche Leiden
an der Erderhitzung und gleichzeitig die Lebensstil-Konsequenzen, die sie
daraus gezogen hat. Das gibt ihr eine große, ikonische Kraft. Aber dieser
Lebensstil ist nicht massentauglich, schon gar nicht weltweit.
Es braucht aber auf jeden Fall mehr Menschen, die vorleben, wie ein gutes
ökologisches Leben aussehen kann. Auch wenn ich mir bewusst bin, dass ich
ja keinesfalls der Durchschnitt bin und in einer privilegierten
Ausgangslage. Ich kann ja monatelang Vollzeitklimagewissen sein, weil ich
studiere. Weil ich Kapazitäten habe, mich in der Sache zu bilden und weil
ich die Freiheit habe, kritisch zu sein.
Sie persönlich diskutieren auch in Christian Lindners Videopodcast, bei RWE
und im Springer-Club mit dem Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner. Was
bringt das?
Ich glaube, mit dem Klima ist man immer eine Art ungebetener Gast und man
muss deshalb lange einfach rumhängen, bis es eine Selbstverständlichkeit
ist, dass man Teil davon ist. Das heißt, dass man auch im Journalistenclub
von Springer ab und zu vorbeiguckt und checkt, wie die Lage ist. Plus, ich
glaube, eine entscheidende Zielgruppe sind nicht die Menschen, die in der
Chefetage rumsitzen und aus dem Eckbüro gucken, sondern die Menschen, die
deren Entscheidungen vorbereiten, die nächste Ebene an Entscheidern oder
Akteuren.
Die muss man treffen?
Ja, und die trifft man an diesen Orten. Oder junge Menschen, die schon ganz
viel erreicht haben im Leben, etwa mit einem Start-up. Menschen, die an
entscheidenden Stellen neu anfangen oder schon massivst mitgestalten: Wenn
die nicht die Klimakrise auf dem Schirm haben, kommen wir nicht weiter.
In einem Spiegel-Streitgespräch sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier
sinngemäß zu Ihnen, sie sollten erst einmal schön zu Ende studieren und
dann könnten Sie die Welt verbessern. Sie sagten: Ich will nicht schön zu
Ende studieren, ich will, dass Sie jetzt handeln, denn Sie sind der Letzte,
der noch handeln kann. Er versteht es nicht?
Dahinter steht auch die Frage, wie man es schafft, Menschen auf Augenhöhe
zu begegnen, die zwanzig Jahre jünger sind und im schlimmsten Fall noch
Frauen. Ich sehe da schon eine Reihe von Konflikten, die sich zusätzlich
zum Klimakonflikt so auftürmen, dass am Ende eine ratlose Jugend vor einem
dickköpfigen älteren Entscheidungsträger sitzt ...
... dickköpfig ist gut ...
… und sich fragt, was da schiefgelaufen ist. Und wieso dieser Mensch unser
Land regiert.
Weil wir ihn gewählt haben. Oder seine Partei.
Wir nicht.
Jaja. Das ist der Witz an einer Demokratie. Das man eine Mehrheit braucht.
Deswegen finde ich es sehr gut, wenn Sie eine Mehrheit der Jungen für
ernsthafte Klimapolitik gewinnen.
Ja, sicherlich. Es ist ja eben nicht damit getan, zu sagen, wir finden eine
Partei, die Klimaschutz feiert, und dann legen wir los. Nein. Wir gehen
unfassbare Veränderungen an, eine riesengroße Transformation. Da reicht
nicht ein politischer Akteur oder eine Partei.
Warum, Frau Neubauer, konzentriert sich zumindest die öffentliche
Aufmerksamkeit auf junge Frauen als Verkünderinnen dieser lang ignorierten
Wahrheit, nachdem Ökograubärte und die mit sich selbstbeschäftigten Grünen
vierzig Jahre nicht durchdrangen?
Kommunikationspsychologen können das sicherlich fundierter erklären, aber
es ist ein gigantischer Unterschied, wer eine Botschaft verkündet. Junge
Menschen, die man lange als Durchhänger abgestempelt hatte, erscheinen auf
der Bildfläche und benutzen eine andere Sprache, die nicht schon dreizehn
Runden durch den Bundestag gezogen ist. Ganz entscheidend ist, dass wir den
Anspruch erheben können, weil es um unsere Zukunft geht. Wir können sagen:
Ihr nehmt, was wir noch gar nicht hatten und damit auch nicht mehr kriegen.
Dass junge Frauen vorne stehen, finde ich jetzt nicht so wahnsinnig
erstaunlich. Wir sind eine emanzipierte Generation und das heißt, natürlich
achten wir auf Gender Balance bei den Speakern.
Wo sind die Jungs?
Die sind auch da, sie machen unfassbar wichtige Arbeit, vor und oftmals
auch hinter den Kulissen. Tauchen aber statistisch tatsächlich weniger auf
unseren Streiks auf.
Haben Sie persönlich Vorbilder?
Wie ich sagte, das war ein relativ unbespieltes und damit freies Feld, es
gibt da keine präsenten klimapolitischen Stimmen, mit denen ich
aufgewachsen bin. Naomi Klein vielleicht?
Aber keine Angela Davis.
Tut mir leid, die kenne ich nicht. Was noch wichtig ist, bei der Frage um
die weibliche Erscheinung der Bewegung: Wenn da jemand steht, der jung ist
und weiblich wie Greta, inspiriert und spricht das ganz anders junge
weibliche Personen an. Das, glaube ich, hat einen großen Effekt.
Brauchen wir demnach Gendersternchen?
Wir brauchen Wege, damit Sprache verschiedene Geschlechter bedenkt. Ob das
jetzt das Gendersternchen ist oder nicht – sollen die Leute so
praktizieren, wie sie es glücklich macht. Aber ich fühle mich definitiv
nicht angesprochen, wenn da steht: »Die Klimastreiker rufen zum Streik
auf.« Wenn wir nicht anfangen, die Hälfte der Gesellschaft in unserer
Sprache mitzunehmen, dann glaube ich nicht, dass wir mit einem
emanzipatorischen Projekt ausreichend Erfolg haben können.
Muss die nächste Bundeskanzlerin eine Frau sein?
Wenn es so eine wäre wie Annegret Kramp-Karrenbauer, dann danke bestens.
Liebäugeln Sie insgeheim mit Ökosozialismus?
Was ist das?
Die Vorstellung, den Kapitalismus zu überwinden und Öko und Sozialismus in
perfect harmony zusammenzubringen.
Ich glaube, dass Herr Lindner denkt, dass wir das wollen, oder? Die
Planwirtschaft?
Der FDP-Vorsitzende spricht bisweilen so.
Ich glaube, das möchte er glauben, dass wir das wollen.
Also kein Ökosozialismus.
Wenn wir die Klimakrise ernsthaft angehen, dann werden wir feststellen,
dass wir ganz viel verändern müssen. Und nach diesen ganzen Veränderungen,
werden wir feststellen, dass wir nicht mehr in einem Kapitalismus leben,
wie wir ihn heute erleben. Aber ich glaube nicht, dass das dann ein
Sozialismus ist und auch kein Ökosozialismus. Das wird eine andere Form
sein von einem Wirtschaftssystem. Der richtige Ansatz ist nicht zu fragen,
was das dann ist.
Sondern?
Wo wollen wir hin, wie kommen wir dahin und was sind die Alternativen? Das
Wie ist entscheidend.
Wann ist FFF überflüssig?
Uh, cool! Gute Frage. Was macht uns überflüssig? Die Entdeckung des
Selbsterhaltungstriebs der bundesdeutschen Politik und Industrie. Wir
erschaffen Lebensräume, die nicht mehr sicher für Menschen sind. Das muss
man sich mal reinziehen. Ich glaube, sich dieser Absurdität, dieses
existenziellen Widerspruchs erst wirklich bewusst zu werden, ist der
entscheidende Schritt als Gesellschaft, als politisches Ganzes. Aber ich
sehe keinen Anlass, sich darauf zu verlassen, dass schnell gehandelt wird.
Die Lage hat sich ja nicht verbessert in den letzten dreißig Jahren. Seit
dem Pariser Abkommen 2015 ist sogar alles drastischer geworden. Also, ich
bin tragischerweise zuversichtlich, dass wir noch eine Weile protestieren
werden müssen.
Interview: [1][PETER UNFRIED]
12 Sep 2019
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## AUTOREN
Peter Unfried
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