# taz.de -- Yanis Varoufakis im Interview: „Mein Plan für Europa“ | |
> Warum tritt Yanis Varoufakis bei der Europawahl eigentlich für | |
> Deutschland an? Wieso ist es wichtig, sich als Europäer*in zu fühlen? Wir | |
> haben ihn in Berlin getroffen. | |
Bild: Früher griechischer Finanzminister, heute Spitzenkandidat von DiEM25 | |
INTERVIEW: [1][JAN FEDDERSEN] UND [2][TORBEN BECKER] | |
Während des Gesprächs hat der Winter Berlin noch fest im Griff. Doch im | |
Kreuzberger Pressebüro von „Demokratie in Europa“, die als Teil von DiEM25 | |
zur Europawahl antreten wird, spricht Yanis Varoufakis von den Knospen | |
eines bevorstehenden „europäischen Frühlings“. | |
taz: Herr Varoufakis, Sie sind das Gesicht Ihrer europäischen | |
Demokratiebewegung namens „DiEM25“. Für diese kandidieren Sie nun für das | |
EU-Parlament. Was für eine Bewegung ist das? | |
Yanis Varoufakis: Wir reden hier über eine gemeinsame Basis, auf der wir | |
uns in ganz Europa und über alle politischen Parteien hinweg erfolgreich | |
zusammenschließen können. „Demokratie in Europa“ hier in Deutschland, für | |
die ich in der Europawahl antreten werde, ist Teil von DiEM25. Wir sind | |
Linke, Liberale, progressive Konservative, Ökologen und Feministen, die | |
zusammenkommen, ohne dabei unsere nationalen Identitäten zu verlieren, | |
sondern um eine vereinigte europäische Bewegung mit einer gemeinsamen | |
Agenda zu schaffen. | |
## Welche Rolle spielt bei Ihnen die Zusammenarbeit mit anderen Parteien | |
oder Organisationen? | |
Im März 2018 haben wir den „European Spring“ ins Leben gerufen. Dort kamen | |
mit DiEM25 politische Kräfte zusammen, um gemeinsam unser Programm, den | |
„New Deal for Europe“, zu gestalten. | |
## Um die EU sozial und ökonomisch zu reformieren, kandidieren Sie für die | |
Europawahl. Wieso ausgerechnet in Deutschland? | |
Aus dem gleichen Grund, warum wir 2016 DiEM25 an der Volksbühne in Berlin | |
gegründet haben. Deutschland ist das Herz der politischen Ökonomie Europas. | |
Wie wollen zeigen, dass es nie einen Konflikt zwischen den Griechen und den | |
Deutschen gab, sondern zwischen progressiver Politik und Autoritarismus. | |
## Und was wollen Sie ernsthaft politisch? | |
Mein Plan für Europa ist: 500 Milliarden Euro müssen jährlich für neue | |
Projekte zur Schaffung von Ökostrom, Infrastruktur und neuen Technologien | |
ausgegeben werden. Dadurch kann Europa hochwertige Arbeitsplätze schaffen, | |
Kriminalität und Klimawandel beenden. | |
Das Geld wird aber nicht von Regierungen oder zusätzlichen Steuern stammen, | |
sondern aus Anleihen, die jedes Jahr von der EZB ausgegeben werden. Zudem | |
müsste der Rat der Europäischen Union eine neue Organisation innerhalb der | |
Europäischen Kommission schaffen, um paneuropäische Projekte zu benennen, | |
in die dieses Geld investiert wird. | |
## Welche Art von Projekten? | |
In den USA gibt es beispielsweise die Institution der Food Stamps: | |
Verpflegungsmarken für arme Familien. Wenn es ein solches Versorgungssystem | |
länderübergreifend in Europa für Lebensmittel, Mindestenergiebedarfe oder | |
Transport gäbe, dann würden sich die Empfänger als Europäer fühlen – das | |
beste Mittel gegen Populismus und Euroskeptizismus. | |
## Aber wo sind Ihre Verbündeten? Die Linke ist es nicht, für die sind Sie | |
Konkurrenz, die Grünen ebenso wenig. DiEM25 ist eine sehr kleine Gruppe. | |
Gute Dinge können mit kleinen Gruppen beginnen. Leider sind politische | |
Parteien nach dem Vorbild von Nationalstaaten aufgebaut, aber die Probleme, | |
die wir haben, enden nicht an deren Grenzen. Deshalb wird die Linke | |
zunehmend irrelevant, denn Einheit reicht nicht aus. Man braucht Kohärenz. | |
Um gute Menschen in der Linken, der SPD und den Grünen zusammenzubringen, | |
müssen wir unser Programm offen darlegen und die Wähler entscheiden lassen, | |
ob sie es unterstützen wollen. | |
## DiEM25 soll ja eine Graswurzelbewegung sein, doch wo sind diese Wurzeln? | |
Wir haben wenig Geld, und wir haben bei null angefangen, trotzdem zählen | |
wir schon 100.000 Mitglieder in Europa. | |
## Im taz-Gebäude arbeiten derzeit Teppichleger. Von DiEM25 haben sie noch | |
nichts gehört. Sie waren eher darum besorgt, warum ihre Löhne niedrig und | |
ihre Renten unsicher sind. Wie werden diese konkreten Anliegen von | |
Arbeiter*innen bei DiEM25 repräsentiert? | |
Dass sie uns nicht kennen, verwundert mich nicht. Wir haben gerade erst mit | |
„Demokratie in Europa“ als Teil von DiEM25 in Deutschland angefangen. Die | |
interessantere Frage ist: Was sind unsere Ansichten zum Schutz der | |
Interessen der Arbeitnehmer? Die oberste Priorität sind Investitionen. | |
Deutschland schwimmt in Geld und hat dennoch die niedrigste | |
Investitionsrate im Verhältnis zu seinen Ersparnissen. Deshalb brauchen wir | |
die 500 Milliarden, um Einsparungen anzuregen und sie in qualitativ | |
hochwertige grüne Arbeitsplätze zu leiten. Das ist der wichtigste Schutz | |
für die Arbeitnehmer. | |
## In Ihrer Argumentation schimmert stets der Begriff der Klasse durch. Ist | |
dieser heute für die Politik überhaupt noch adäquat? | |
Ohne das Verständnis von Klassenkonflikten kann man die Welt, in der wir | |
leben, nicht verstehen. Niemand kümmert sich um die Armen und deshalb | |
triumphieren Menschen wie Donald Trump. Die Krise treibt die Mittelschicht | |
in einen Zustand der Unsicherheit. Und die größte Angst der Mittelschicht | |
ist, dass sie auf das Niveau des Proletariats fallen könnte. | |
Diese Angst macht sie doppelt so aggressiv gegenüber der Arbeiterklasse und | |
deshalb empfänglich für Parteien wie die AfD. Unser „European Spring“ ist | |
also ein Verständnis von Kapitalismus, das zutiefst auf Klassenkonflikten | |
basiert. Unser Schwerpunkt liegt daher auf Investitionen und auf der | |
Schaffung eines bedingungslosen Grundeinkommens in Europa. | |
➡ Auf dem taz lab:[3][„Athen Macht Europa“, taz Kantine, 13 Uhr] | |
28 Mar 2019 | |
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## AUTOREN | |
Torben Becker | |
Jan Feddersen | |
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